Das Treffen der Hochbegabten
Nur zwei Prozent der Bevölkerung haben einen IQ von mehr als 130. Das Leben macht das nicht immer leichter.
Beim Kaffee tauscht man sich über Astrophysik und Philosophisches aus. Vor dem Vortrag über Radioaktivität oder die koreanische Schrift ist noch Zeit für ein 1000-Teile-Puzzle. Und am Rande einer Zechen-Führung lässt sich gut über IT-Fragen oder Windkraft plaudern. Wenn mehr als 1000 Hochbegabte mit einem IQ von mindestens 130 zusammenkommen, sind die Gesprächs- und Seminarthemen breit gefächert und intellektuell anspruchsvoll.
„Wir können keinen Small Talk, sind immer auf der Suche nach Tiefgang und sprechen auch gerne über mehrere Themen gleichzeitig“, schildert Claus Melder vom Mensa-Vorstand. Der Verein Mensa, mit rund 16.000 Mitgliedern das größte Netzwerk für Hochbegabte in Deutschland, hat ein Treffen in Duisburg ausgerichtet.
Die Teilnehmerschar – aus ganz Deutschland dem deutschsprachigen Ausland – ist bunt. Siefke Lüers erzählt: „Bei mir läuft alles wie von selbst, das war so in Schule und Studium und das ist so im Beruf.“Mit einem IQ von 145 ist der aus München angereiste Unternehmer sogar höchstbegabt.
Rund zwei Prozent der Bevölkerung sind nach Mensa-Angaben hochbegabt mit einem IQ von mindestens 130. Ab 145 wird von Höchstbegabung gesprochen. Bei den meisten Menschen liegt der Intelligenzquotient bei 100.
„Alles, was ich jemals blauäugig angepackt habe, hat funktioniert“, sagt Lüers, locker, selbstsicher. „Ich hatte kein akademisches Umfeld, komme vom Bauernhof und umgebe mich auch nicht so gerne mit Akademikern.“
Seine Partnerin Sabine Lettenmeyer räumt schmunzelnd ein: „Er hat ein enormes Wissen und kann gut argumentieren, da komme ich schon an meine Grenzen.“Und: „Er ist sozial sehr kompetent. Das kann man nicht in allen Fällen so sagen.“
Tatsächlich zeigt sich schnell: Hochbegabung ist nicht gleichzusetzen mit einem Leben im unbeschwerten Überflieger-Modus. Sie kann auch mit vielen Hürden verbunden sein, zur Belastung werden, krank machen. Das Gefühl, abgelehnt zu werden, als verschrobener Nerd abgestempelt zu werden, kennen viele.
Als ihr Freunde vor zehn Jahren sagten, sie sei „anders“, machte sich Ulrike Alt zunächst auf die Suche im Internet. „Ich habe nach psychischen Störungen gesucht, welche ich wohl habe“, berichtet die Mentaltrainerin. „Ich habe immer Wissen gesammelt. Sobald ich etwas verstanden habe, habe ich etwas
Neues gemacht.“Sie war eine schlechte Schülerin, hat zwei „Ehrenrunden“gedreht, ihre Hochbegabung blieb unentdeckt. Nach Stationen als Schmuckunternehmerin, IT-Projektmanagerin und Zauberkünstlerin bietet die 49-Jährige nun Coachings für Hochbegabte und Begabungsdiagnostik an.
Mensa-Vorstand Melder sagt: „Manche Hochbegabte haben eine schlechte Frusttoleranz.“In Schule und Studium hätten viele alles ohne Arbeitsaufwand abgehakt. Man habe nicht gelernt, mit Problemen umzugehen, die sich dann spätestens im Job einstellten – etwa im Umgang mit Vorgesetzten.
„Wir neigen zu komplexem, vernetztem Denken. Das kommt im Beruf oft nicht so gut an. Da heißt es dann: Stell doch nicht immer alles infrage“, erklärt Melder. Weil Hochbegabte schneller sind, langweilen sie sich auch schnell, verlieren die Lust. Und: „Wir stürzen uns oft mit Volldampf in eine Mission Impossible und fahren dann auch schon mal vor die Wand“, sagt der Maschinenbauingenieur. Die verbreitete Annahme, dass Hochbegabung immer auch Karriere bedeute, sei falsch.
Claus Melder ist höchstbegabt, hatte leitende Posten bei Industriekonzernen und -verbänden inne, berät Investmentbanker, schreibt Kinderbücher, ist von Psychologie und Philosophie fasziniert.
Er gehöre zu den „Späterkennern“, habe erst mit 40 Jahren einen Intelligenztest gemacht – und verstanden, warum er als Jugendlicher als Exot gegolten hatte. Mehr Beratung und die Förderung junger hochbegabter Menschen in der Schule, aber auch außerschulisch seien wichtig, um die wertvollen Potenziale und Talente zu heben, sagt Melder.
Mehr Verständnis, Aufklärung und Förderung werden gewünscht. Viele Hochbegabte sind im Schulunterricht massiv unterfordert, was teilweise fatale Folgen für deren Lernmotivation und auch Gesundheit bedeuten könne, unterstreicht die Deutsche Gesellschaft für das hochbegabte Kind. Manche seien permanent gelangweilt, unzufrieden, traurig. Andere würden als „Klugscheißer“beleidigt, es gebe traurige Schicksale, auch Verhaltensauffälligkeiten. Nötig seien bessere Erkennung und Förderung sowie mehr Flexibilität im Schulsystem – etwa über Früheinschulung oder mehrfaches Klassenüberspringen.
Ingenieur Ulrich Pieper beobachtet: „Die Gesellschaft tut sich sehr schwer mit der Integration von oben.“