Preis für spielt verrückt
Ohne Lithium keine Energiewende. Warum trotz massiv steigender Nachfrage weltweit die Preise im Keller sind – und warum das für die Versorgung nicht unbedingt eine gute Nachricht ist.
WIEN. Die angestrebte Energiewende hat für einen Boom jener Rohstoffe gesorgt, die die Umstellung von fossilen Quellen zur Nutzung erneuerbarer Energie erst möglich machen. Lithium, Kobalt oder Nickel sind unentbehrlich für die Herstellung von Hochleistungsbatterien und somit auch für den Ausbau der E-Mobilität. Für die Herstellung der Batterie für ein E-Auto werden rund zehn Kilo Lithium benötigt.
Das Leichtmetall Lithium wurde zwar schon vor mehr als 200 Jahren als eigenes Element entdeckt. Ins Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt ist es allerdings erst mit der verstärkten Produktion von Lithiumbatterien, die vor allem bei der E-Mobilität zum Einsatz kommen.
Die Nachfrage nach diesen Rohstoffen steigt seit Jahren kräftig und stark. Der Bedarf nach Lithium etwa wächst seit einigen Jahren um 20 bis 25 Prozent. „Das ist mit das stärkste Wachstum bei Rohstoffen, das wir sehen“, sagt Daniel Bathe, Rohstoffexperte bei der Fondsgesellschaft Union Investment. In dieser Dynamik dürfte es weitergehen.
Denn der überwiegende Teil des weltweit gewonnenen Lithiums geht direkt in die Produktion von Hochleistungsbatterien. 80 bis 85 Prozent des zuletzt gewonnenen Lithiums kommen direkt in der E-Mobilität zum Einsatz. Bathe nennt das ein „pure play“, ein „reines Spiel“, also eine direkte Korrelation ohne nennenswerte Nebeneinflüsse.
Auf die deutlich steigende Nachfrage müsste der Preis reagieren und ebenfalls steigen. Doch diese wirtschaftliche Grundregel scheint bei dem „weißen Öl“, als das Lithium auch bezeichnet wird, außer Kraft gesetzt. Zumindest vorerst. Nach Höchstständen um 80.000 US-Dollar (73.804 Euro) ist der Preis für Lithium im Vorjahr massiv abgestürzt und betrug zuletzt nur noch um die 14.000 Dollar (12.916 Euro) je Tonne. Wie ist das möglich?
Experten sehen mehrere Gründe. So steige nicht nur die Nachfrage, sondern auch das Angebot sei zuletzt kräftig ausgeweitet worden.
Auch hier habe es jährliche Zuwachsraten von 25 Prozent gegeben, sodass am Markt keine echte Knappheit entstanden sei.
Im Gegenteil, meint Experte Bathe, im Jahr 2023 habe sich sogar ein „Nachfrageloch“aufgetan – als Reaktion auf die Verwerfungen, ausgelöst durch den Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine im Februar 2022. „Durch den Krieg kam es zu Vorzieheffekten, die den Preis für Lithium stark steigen ließen.“Der Kriegsausbruch löste massive Verschiebungen und den Umbau von Lieferketten aus. So habe China seine Kapazitäten hochgefahren. Längerfristig erwartete Entwicklungen seien vorgezogen und in kürzester Zeit umgesetzt worden.
Der vergleichsweise kleine und junge Markt für Lithium habe auf die Entwicklungen stark überreagiert, sagt Experte Gregor Holek, der in der Raiffeisen-Kapitalanlagegesellschaft die Arbeitsgruppe „Zukunftsthema Rohstoffe“leitet. Anders als etablierte Märkte wie jener für Kupfer, das seit Jahrtausenden gefördert werde, sei „bei Lithium die Disziplin des Angebots nicht stark ausgeprägt“, meint Holek. Das heißt, es kann sehr schnell zu Überhängen oder Defiziten vor allem auf der Angebotsseite kommen – samt entsprechenden Preissprüngen. Schon ein Engpass oder ein Unfall in einer Mine kann dazu führen, dass der Markt sehr eng wird und der Preis wieder komplett aus dem Ruder läuft.
Diese Entwicklung könnte durchaus Folgen für die Gesamtversorgung haben, befürchtet das USSpezialchemieunternehmen Albemarle, das sich als Weltmarktführer bei der Produktion von Lithium versteht. Das aktuelle Preisniveau sei nicht nachhaltig, sagt AlbemarleChef Kent Masters. Manche Hersteller könnten nicht mehr profitabel abbauen und produzieren.
Eine Reihe von Projekten im Frühstadium würden sich bei diesen Preisen nicht mehr rechnen, manche Hersteller könnten vor dem Aus stehen. Das australische Unternehmen Core Lithium hat den Abbau aus Kostengründen bereits eingestellt – und auch Albemarle hat die Produktion an einzelnen Standorten wie den Greenbuch-Minen deutlich zurückgefahren.
Droht also eine ernsthafte Verknappung des Angebots, könnte es zu Lithiumknappheit kommen? Raiffeisen-Rohstoffexperte Holek rechnet nicht damit. „Niemand muss sich Sorgen machen“, meint er. Grundsätzlich gebe es genug Lithium auf der Welt – und „der Abbau ist kein Hexenwerk“. Aber es könne aus Kostengründen zu Verschiebungen der Marktanteile sowie der Herstellungs- und Verarbeitungsmethoden kommen. „Sobald der Preis fällt, gehen manche Produzenten aus dem Markt.“Und Investitionen in neue Anlagen rentierten sich aktuell nicht. Das führe auch zu unerfreulichen Entwicklungen wie jener, dass manche australische Unternehmen Lithium unverarbeitet direkt nach China lieferten, wo es dann in Batterien eingebaut würde – mit Energie aus Kohlekraftwerken –, was die Idee der Energiewende ad absurdum führe.
Chile, Australien und China zählen zu den größten Herkunftsländern von Lithium. Großes Potenzial gibt es unter anderem auch noch in Bolivien, Argentinien, den USA oder Kanada. Auch in Österreich gibt es Vorkommen, allerdings in einem vergleichsweise kleinen Projekt. Lithium ist kein Einzelfall. Ähnliche Entwicklungen und Preissprünge sind auch bei anderen durch die Energiewende getriebenen Rohstoffen zu beobachten – etwa bei Nickel.
„Nachfrage steigt jährlich um 25 Prozent.“