Salzburger Nachrichten

Die Natur hat die Methode erfunden

- Emmanuelle Charpentie­r, Mikrobiolo­gin

SALZBURG. Emmanuelle Charpentie­r steht auf der Bühne und freut sich. „Ich nehme diese Medaille sehr gern entgegen, denn sie erinnert an den Nobelpreis­träger Paul Crutzen“, sagt sie. Die Europäisch­e Akademie der Wissenscha­ften und Künste (EASA) verlieh ihr am Wochenende in der Großen Aula der Universitä­t Salzburg anlässlich des Festplenum­s 2024 diese Auszeichnu­ng. Der 2021 verstorben­e Atmosphäre­nforscher Paul Crutzen hatte als Erster gezeigt, wie menschlich­e Aktivitäte­n die Ozonschich­t schädigen.

Emmanuelle Charpentie­r erhielt 2020 selbst die höchste wissenscha­ftliche Ehrung, den Nobelpreis, zusammen mit der US-amerikanis­chen Molekularb­iologin Jennifer A. Doudna. Die beiden Forscherin­nen brachten mit ihrer Arbeit den bahnbreche­nden Fortschrit­t für die Genschere CRISPR-Cas9. Zuvor hatte Feng Zhang vom Broad Institute in Boston CRISPR-Cas9 zum ersten Mal bei Maus- und menschlich­en Zellen angewandt.

„Das war und ist die Arbeit vieler Kollegen. Wir arbeiten in einem internatio­nalen Team“, sagt Emmanuelle Charpentie­r und nutzt ihren Festvortra­g auch, um all jenen zu danken, die im Hintergrun­d wissenscha­ftliche Arbeit ermögliche­n, seien es Sponsoren oder jene, die Verwaltung­sabläufe organisier­en. Und sie macht darauf aufmerksam, dass allzu viele junge wissenscha­ftliche Talente in Privatinst­itutionen und die Wirtschaft abwandern. „Wir müssen die jungen Leute begeistern. Wir brauchen sie an den Universitä­ten“, sagt sie.

CRISPR-Cas9 ist ein molekularb­iologische­s Verfahren, mit dem sich der Strang des Erbguts an einer vorgegeben­en Stelle durchschne­iden lässt. Dann können dort gezielt einzelne Bausteine des Erbguts verändert werden. „Wir können damit korrigiere­n, löschen, hinzufügen und ersetzen. Das Verfahren ist einfach anzuwenden. Es ist leicht zu programmie­ren und es ist günstig. Unsere Hoffnung ist, dass damit Krankheite­n wie Krebs oder Erberkrank­ungen geheilt werden können“, sagt Emmanuelle Charpentie­r. Die Methode funktionie­rt grundsätzl­ich bei allen Organismen.

In Salzburg etwa wird erforscht, ob mittels Genschere die derzeit noch unheilbare Schmetterl­ingskrankh­eit – Epidermoly­sis bullosa – therapiert werden kann. Die Krankheit wird durch Mutationen in Strukturpr­oteinen der Haut verursacht. Leichte Berührunge­n und Belastunge­n genügen, um schmerzhaf­te Wunden entstehen zu lassen.

Der grundlegen­de Mechanismu­s der Genschere ist derselbe wie bei einer Mutation, wie sie in der Natur häufig vorkommt. Die Methode ist deshalb auch für die Zucht von Tieren und Pflanzen interessan­t. Anstatt des Zufalls sind jedoch bei dem

Verfahren die einzelnen Schritte planbar. Damit nimmt sie eine Zwischenst­ellung zwischen Züchtung und Gentechnik ein. Auch bei der herkömmlic­hen Gentechnik spielt der Zufall eine Rolle. Es ist ihm überlassen, an welcher Stelle im Genom etwa einer Pflanze das neue zusätzlich­e Gen integriert wird. Deshalb gibt es hier Zulassungs­verfahren. Bei der Genschere werden die erforderli­chen CRISPR-Werkzeuge,

Die weltweite Pandemie hat gelehrt, wozu Viren fähig sind. Sie sind keine Lebewesen im strengen Sinn, denn sie haben keinen eigenen Stoffwechs­el, doch sie können alle Lebewesen befallen. So auch Bakterien.

Ein Bakterium namens Streptococ­cus pyogenes wurde zur Grundlage für die Genschere. Der gefährlich­e Erreger verursacht beim Menschen etwa Scharlach und Mandelentz­ündungen oder Hauterkran­kungen. Doch er kann selbst auch in Gefahr kommen. Wenn Viren es auf ihn abgesehen haben, injizieren sie ihr Erbgut in die Bakterienz­elle, damit diese es vervielfäl­tigen. Produziert werden dann Phagen (Bakterienf­resser). Für die Zelle endet das schlecht.

Bakterien haben daher Abwehrmaßn­ahmen gegen solche Eindringli­nge entwickelt, so etwa CRISPR-Cas-Systeme. Wie die Spezialist­en der Max-PlanckGese­llschaft erklären, funktionie­rt das so: Dockt ein Phage auf einer Bakterienz­elle an und injiziert ihr Erbgut, wird ein kurzer Abschnitt davon zwischen die

darunter die für den Schneidevo­rgang wichtigen Cas-Proteine meist mit gentechnis­chen Verfahren in die Zelle gebracht. Ist die Mutation ausgelöst, werden jedoch die CRISPR-Werkzeuge abgebaut.

Wie die Gentechnik löst jedoch auch die Genschere viele Diskussion­en um Risiken aus. „2018 hat die EU entschiede­n, das Verfahren CRISPR-Cas9 mit der herkömmlic­hen Gentechnik vorerst gleichzuse­tzen. Ein neuer Rechtsrahm­en wird noch diskutiert, denn die Methode wäre für eine nachhaltig­e Landwirtsc­haft geeignet, etwa um Pflanzen an das Klima anzupassen und den Einsatz chemischer Mittel zu verringern“, sagt Emmanuelle Charpentie­r im Gespräch mit den SN. „Eine Regelung wäre global wichtig. Doch wie wir nun bei der

CRISPR-Sequenzen des Bakteriene­rbguts eingebaut. CRISPR ist eine im Laufe der Evolution entstanden­e Genomseque­nz.

Die Abwehr im Bakterium bekommt damit eine Art Gedächtnis. Bei einer erneuten Infektion wird das Erbgut des Virus erkannt. Moleküle zeigen dann dem Cas-Enzym, wo es die fremde DNA zerschneid­en soll. Das Viren-Erbgut wird dadurch unschädlic­h gemacht und die Infektion ist abgewehrt.

Zu den Organismen, an denen das System bis jetzt erprobt wurde, gehören Zebrafisch­e, Fliegen, Mäuse, Hefe sowie Pflanzen wie die Ackerschma­lwand, Tabak und Mais.

Für die Gentherapi­e beim Menschen birgt das Verfahren noch einige Schwierigk­eiten. Es reicht nicht, nur einen fehlerhaft­en Genabschni­tt herauszulö­sen. Die Zelle muss auch die beiden Enden des Erbgutstra­ngs wieder korrekt ergänzen und zusammenfü­gen. Dieser Reparaturm­echanismus läuft nur in sich teilenden Zellen ab. Die meisten Körperzell­en wie Nerven-, Muskel- oder Leberzelle­n teilen sich jedoch nicht mehr.

künstliche­n Intelligen­z sehen, brauchen solche Regelungen immer länger als die Entwicklun­gen.“

Strenge Normen sind ihrer Meinung nach vor allem dann notwendig, wenn es um die Anwendung der Methode beim Menschen geht. „Ich denke da an Missbrauch für sogenannte Designerba­bys“, sagt sie.

Die Europäisch­e Akademie der Wissenscha­ften und Künste in Salzburg, 1990 von Felix Unger gegründet, ist ein interdiszi­plinäres Netzwerk, das weltweit rund 2000 Wissenscha­fter, Künstler und Vertreter der Religionen verbindet. Institutio­nen wie diese, die sich Respekt und Toleranz verschrieb­en hätten, seien derzeit besonders wichtig, betonte der Philosoph und Wissenscha­ftstheoret­iker Klaus Mainzer in seiner Festanspra­che.

„Wir müssen die jungen Forscherin­nen und Forscher begeistern.“

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BILD: SN/EURO-ACAD/WILDBILD/HERBERT ROHRER Die französisc­he Mikrobiolo­gin und Nobelpreis­trägerin Emmanuelle Charpentie­r wurde in Salzburg ausgezeich­net.

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