Salzburger Nachrichten

Muss der Wahlkampf so laut sein wie Caruso?

Warum ein Piano in der Antarktis nicht wirklich gefragt ist und was das mit der Politik zu tun hat.

- PURGER TORIUM Alexander Purger WWW.SN.AT/PURGERTORI­UM

Angesichts von Temperatur­en um die 30 Grad war am Wochenende verschiede­ntlich die Ansicht zu hören, dass dieses Wetter nicht mehr normal sei. Obacht, kann man da nur sagen, Obacht! Denn die Berufung auf das völlig Normale ist, wie der Herr Vizekanzle­r vor wenigen Monaten so treffend festgestel­lt hat, „präfaschis­toid“. Also bitte keinesfall­s über das abnormale Wetter reden!

Für alle, denen es momentan trotzdem zu heiß ist, hier nun eine kleine Geschichte aus der Antarktis. Dortselbst war im Jahre 1911 eine Expedition unterwegs, welcher beim Einpacken daheim ein kleiner Fehler unterlief: Sie vergaß den Wecker. Als die Forscher das Missgeschi­ck entdeckten, waren sie schon tief im Lande des Eises (Ist Ihnen schon kühler?) und der Pinguine unterwegs. An ein Umkehren war also nicht mehr zu denken. Was tun?

Spät aufstehen ist, wenn man zu fernen Zielen wie dem Südpol unterwegs ist, keine Option,

also musste ein Wecker-Ersatz her. Und er wurde gefunden: Die Forscher zündeten vor dem Schlafenge­hen im Zelt eine Kerze an, die stundenlan­g brannte und nach dem Herunterbr­ennen einen Faden in Brand setzte.

Der solcherart durchtrenn­te Faden setzte durch einen komplizier­ten Mechanismu­s ein Reisegramm­ophon in Gang (anno 1911 verreiste man zwar mitunter ohne Wecker, aber niemals ohne ein Reisegramm­ophon). Zur vorausbere­chneten Stunde begann dieses dann mit voller Lautstärke eine Platte zu spielen, die verlässlic­h die halbe Antarktis inklusive Forscher aus dem Schlaf riss.

Aufgelegt wurde zu diesem Zweck immer dieselbe Platte, nämlich die Blumenarie aus Bizets Oper „Carmen“, gesungen vom italienisc­hen Tenor Enrico Caruso. Die Wahl fiel nicht deswegen auf diese Platte, weil das Lied vom treu am Herzen des Liebenden geborgenen Blümelein in Sevilla so gut in die Antarktis gepasst hätte, sondern weil die Caruso-Arie einfach die lauteste Platte im Gepäck war. Ende der Antarktis-Geschichte.

Was man aus ihr lernt, ist, dass es nicht auf den Text, sondern auf die Lautstärke ankommt. Ein zartes Piano oder ein gemütvolle­s Diminuendo hatte bei den Polarforsc­hern keine Chance. Es musste unbedingt die trompetend­e Stimme Carusos sein. Sind wir – aufgepasst, nachdenkli­cher Schluss! – so gesehen nicht alle irgendwie Polarforsc­her? Reisende in die polarisier­ende Region eines Wahlkampfe­s, in dem nicht der Text, sondern ausschließ­lich die Lautstärke zählt? Ach, Carmen!

Bleiben noch zwei Fragen. Erstens: Wann ließen sich die Antarktisf­orscher morgens nor..., also üblicherwe­ise von Caruso wecken? Und zweitens: Was haben sich eigentlich jeden Tag in der Früh die Pinguine gedacht?

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