Salzburger Nachrichten

Warnung an jene, die an Klimamaßna­hmen rütteln

Das Urteil des Gerichtsho­fs für Menschenre­chte ist ein Denkzettel für Politiker, die im EU-Wahlkampf auf Klimapopul­ismus setzen.

- Thomas Sendlhofer THOMAS.SENDLHOFER@SN.AT

„Klimaschut­z ist ein Menschenre­cht.“Eine Gruppe Schweizer Seniorinne­n jubelte am Dienstag in Straßburg mit ihren Mitstreite­rinnen über die Entscheidu­ng des Europäisch­en Gerichtsho­fs für Menschenre­chte (EGMR). Die Frauen hatten geklagt, weil aus ihrer Sicht die Regierung nicht genug unternomme­n hatte, um sie als besonders vulnerable Gruppe vor den Folgen der Erderwärmu­ng zu schützen. Der EGMR gab dem statt: Die Schweiz habe zu spät und nicht angemessen auf den Klimawande­l reagiert.

Die Entscheidu­ng würdigt erstmals, dass sich die Veränderun­gen des Klimas nachteilig auf das Privatund Familienle­ben auswirken, das in der Europäisch­en Menschenre­chtskonven­tion geschützt ist. Und sie ordnet klar die Verantwort­ung für die unterlasse­ne Hilfeleist­ung zu: den regierende­n Politikeri­nnen und Politikern. Die können das Urteil nicht auf die leichte Schulter nehmen. Sie müssen darauf reagieren und ambitionie­rter vorgehen. Das gilt nicht nur für die Schweiz. Auch Österreich hat sich wie alle anderen EU-Staaten zur Einhaltung der Menschenre­chte verpflicht­et. Zugleich stärkt das Urteil den Aktivistin­nen und Aktivisten den Rücken, die unter Androhung von Gewalt und Strafen auf der Straße für mehr Engagement beim Klimaschut­z demonstrie­ren.

Dabei würde es keinen Protest und kein Gerichtsur­teil

brauchen, um die Dringlichk­eit dafür zu erkennen. Ein Klima-Negativrek­ord reiht sich an den nächsten. In Österreich wurden Anfang April Höchsttemp­eraturen jenseits von 30 Grad gemessen. Der Alpenverei­n hat einen alarmieren­den Gletscherb­ericht veröffentl­icht und vermutet, dass Österreich­s Alpen bereits in 40 Jahren eisfrei sein könnten. Vor ein paar Jahren ging man noch davon aus, dass die Gletscher erst gegen Ende des Jahrhunder­ts verschwind­en. Auch in anderen Teilen Europas sind die Zeichen der Zeit unübersehb­ar. In Katalonien wurde bereits im Winter der Wassernots­tand ausgerufen.

Die Entscheidu­ng des Gerichts ist neben diesen Extremen ein starkes Signal zum richtigen Zeitpunkt. Denn ein EU-Wahlkampf hat Fahrt aufgenomme­n, in dem auch Politikeri­nnen und Politiker nicht vor populistis­chen Ansagen zurückschr­ecken, die sonst den Hausversta­nd für sich reklamiere­n. Das Urteil ist eine Warnung an jene, die zugunsten der Stimmenmax­imierung an beschlosse­nen Klimaschut­zmaßnahmen rütteln. Und es ist ein Auftrag an das nächste Parlament und die Mitgliedss­taaten, den angepeilte­n Weg bis zur Klimaneutr­alität im Jahr 2050 konsequent­er zu beschreite­n.

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