Warnung an jene, die an Klimamaßnahmen rütteln
Das Urteil des Gerichtshofs für Menschenrechte ist ein Denkzettel für Politiker, die im EU-Wahlkampf auf Klimapopulismus setzen.
„Klimaschutz ist ein Menschenrecht.“Eine Gruppe Schweizer Seniorinnen jubelte am Dienstag in Straßburg mit ihren Mitstreiterinnen über die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR). Die Frauen hatten geklagt, weil aus ihrer Sicht die Regierung nicht genug unternommen hatte, um sie als besonders vulnerable Gruppe vor den Folgen der Erderwärmung zu schützen. Der EGMR gab dem statt: Die Schweiz habe zu spät und nicht angemessen auf den Klimawandel reagiert.
Die Entscheidung würdigt erstmals, dass sich die Veränderungen des Klimas nachteilig auf das Privatund Familienleben auswirken, das in der Europäischen Menschenrechtskonvention geschützt ist. Und sie ordnet klar die Verantwortung für die unterlassene Hilfeleistung zu: den regierenden Politikerinnen und Politikern. Die können das Urteil nicht auf die leichte Schulter nehmen. Sie müssen darauf reagieren und ambitionierter vorgehen. Das gilt nicht nur für die Schweiz. Auch Österreich hat sich wie alle anderen EU-Staaten zur Einhaltung der Menschenrechte verpflichtet. Zugleich stärkt das Urteil den Aktivistinnen und Aktivisten den Rücken, die unter Androhung von Gewalt und Strafen auf der Straße für mehr Engagement beim Klimaschutz demonstrieren.
Dabei würde es keinen Protest und kein Gerichtsurteil
brauchen, um die Dringlichkeit dafür zu erkennen. Ein Klima-Negativrekord reiht sich an den nächsten. In Österreich wurden Anfang April Höchsttemperaturen jenseits von 30 Grad gemessen. Der Alpenverein hat einen alarmierenden Gletscherbericht veröffentlicht und vermutet, dass Österreichs Alpen bereits in 40 Jahren eisfrei sein könnten. Vor ein paar Jahren ging man noch davon aus, dass die Gletscher erst gegen Ende des Jahrhunderts verschwinden. Auch in anderen Teilen Europas sind die Zeichen der Zeit unübersehbar. In Katalonien wurde bereits im Winter der Wassernotstand ausgerufen.
Die Entscheidung des Gerichts ist neben diesen Extremen ein starkes Signal zum richtigen Zeitpunkt. Denn ein EU-Wahlkampf hat Fahrt aufgenommen, in dem auch Politikerinnen und Politiker nicht vor populistischen Ansagen zurückschrecken, die sonst den Hausverstand für sich reklamieren. Das Urteil ist eine Warnung an jene, die zugunsten der Stimmenmaximierung an beschlossenen Klimaschutzmaßnahmen rütteln. Und es ist ein Auftrag an das nächste Parlament und die Mitgliedsstaaten, den angepeilten Weg bis zur Klimaneutralität im Jahr 2050 konsequenter zu beschreiten.