Salzburger Nachrichten

Die Migrations­politik dreht sich im Kreis

Das Rezept der EU gegen illegale Migration hat seit Jahren dieselben Zutaten. Warum das Ergebnis niemandem richtig schmeckt.

- STEPHANIE PACK-HOMOLKA MARIA ZIMMERMANN

Kein Land der EU bleibt beim Thema Migration ungerührt. Da sind jene an der Außengrenz­e, die sich als Hauptziel abwechseln: War 2019 die Route nach Griechenla­nd am stärksten frequentie­rt, war es 2021 jene nach Italien. Derzeit liegen die spanischen Inseln vorn in der Statistik. Dann gibt es den Ring jener Staaten, in die Migranten ziehen. Dazu zählt sich Österreich.

War Österreich vor Kurzem noch zentrale Anlaufstel­le von Migranten, ist die Zahl der Asylanträg­e heute stark rückläufig. Vergangene­n Oktober kamen allein im Burgenland 300 bis 400 Menschen pro Tag über die Grenze. Bis ins heurige Frühjahr sank die Zahl auf etwa ein Zehntel – österreich­weit. Der Grund: Serbien schloss rigoros die Grenze zu Bulgarien und ging massiv gegen Schlepperb­anden an der ungarische­n Grenze vor. Die suchten sofort andere Routen in die EU.

Dass Österreich nicht nur Ziel-, sondern auch Durchzugsl­and ist, zeigte sich in den vergangene­n beiden Jahren. 2022 gab es 112.000 Asylansuch­en, 2023 waren es rund 60.000. Zehntausen­de Antragstel­ler waren für die Behörden aber bald nicht mehr greifbar, weil sie weitergezo­gen waren. Ihre Verfahren wurden eingestell­t. Das ist die eine Seite.

Die andere ist: Die Flüchtling­skrise von 2015 zieht nach wie vor Probleme bei der Integratio­n nach sich. Sei es auf dem Arbeitsmar­kt, bei der Sozialhilf­e oder wie derzeit in den Schulen, weil viele, vor allem syrische Schutzbere­chtigte, ihre

Familien nachholen. Speziell in Wien, wohin es den Großteil aller Schutzbere­chtigten früher oder später zieht, führt das derzeit zu einer immensen Überforder­ung des Bildungssy­stems. Monat für Monat müssen momentan 350 Kinder eingeschul­t werden, die meist kein Wort Deutsch sprechen und teils seit Jahren keine Schule besucht haben.

In Wien, das seit jeher als einziges Bundesland seine Quote bei der

Grundverso­rgung von Asylsuchen­den übererfüll­t, wird sichtbar, was in Österreich nicht funktionie­rt und woran auch Europa scheitert: an einer gerechten Verteilung. 2022 wurden drei Viertel aller Asylanträg­e in der EU in nur fünf Mitgliedss­taaten gestellt: Deutschlan­d, Frankreich, Spanien, Österreich und Italien. In Deutschlan­d und Österreich halten die Menschen Zuwanderun­g für die bedeutends­te Krise des vergangene­n Jahrzehnts, zeigte eine im März veröffentl­ichte Studie des European Council on Foreign Relations in zwölf Mitgliedss­taaten. Unter allen Befragten sagten 77 Prozent, die EU mache keinen guten Job in der Migrations­politik. Aber was genau tut sie eigentlich?

Am Ende der Diskussion­en einigen sich die EU-Staaten in der Regel immer in den gleichen Punkten: Außengrenz­en schützen; abschieben, wer keinen positiven Asylbesche­id hat; besser mit Drittstaat­en kooperiere­n, damit sie ihre Staatsbürg­er zurücknehm­en und andere davon abhalten, in die EU zu ziehen. Funktionie­rt hat das alles nur bedingt.

2022 sollten 431.200 Menschen aus der EU abgeschobe­n werden. Gelungen ist das nur bei 17 Prozent.

Der Schutz der Außengrenz­en bleibt vor allem bei den Seegrenzen problemati­sch. Hält die EU sich an internatio­nales Recht, darunter an das Verbot von kollektive­n Zurückweis­ungen und das Gebot der Seenotrett­ung, ist sie de facto darauf angewiesen, dass die Menschen erst gar nicht zur Überfahrt nach Europa aufbrechen. Das sollen immer öfter die Regierunge­n auf der anderen Seite des Mittelmeer­s bewerkstel­ligen, in umstritten­en Deals. Zusätzlich will man die Aufnahme von Flüchtling­en an den EUAußengre­nzen

bündeln. Aber auch daran scheiterte die EU in der Vergangenh­eit, besonders dramatisch auf den griechisch­en Inseln.

Wo sich die Staaten nie einigen konnten, ist die Verteilung von Flüchtling­en. Auch die Sekundärmi­gration, das Weiterzieh­en von Migranten in andere EU-Länder, bleibt Praxis. Karl Kopp von der Europaabte­ilung von Pro Asyl erklärt das damit, dass die Länder im Zentrum wollten, dass etwa Griechenla­nd „den schmutzige­n Teil der Abwehr übernimmt“. Sie würden nicht sanktionie­ren, wenn Rechte missachtet werden – und dürften sich dann nicht wundern, wenn der größte Teil der Sekundärmi­gration aus diesen Ländern komme, „weil sie dort kein Bett, kein Brot, keine Seife bekommen“. Mit dem Migrations­pakt, fürchtet er, blieben die „unwürdigen Bedingunge­n“an den Außengrenz­en bestehen.

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