Die Migrationspolitik dreht sich im Kreis
Das Rezept der EU gegen illegale Migration hat seit Jahren dieselben Zutaten. Warum das Ergebnis niemandem richtig schmeckt.
Kein Land der EU bleibt beim Thema Migration ungerührt. Da sind jene an der Außengrenze, die sich als Hauptziel abwechseln: War 2019 die Route nach Griechenland am stärksten frequentiert, war es 2021 jene nach Italien. Derzeit liegen die spanischen Inseln vorn in der Statistik. Dann gibt es den Ring jener Staaten, in die Migranten ziehen. Dazu zählt sich Österreich.
War Österreich vor Kurzem noch zentrale Anlaufstelle von Migranten, ist die Zahl der Asylanträge heute stark rückläufig. Vergangenen Oktober kamen allein im Burgenland 300 bis 400 Menschen pro Tag über die Grenze. Bis ins heurige Frühjahr sank die Zahl auf etwa ein Zehntel – österreichweit. Der Grund: Serbien schloss rigoros die Grenze zu Bulgarien und ging massiv gegen Schlepperbanden an der ungarischen Grenze vor. Die suchten sofort andere Routen in die EU.
Dass Österreich nicht nur Ziel-, sondern auch Durchzugsland ist, zeigte sich in den vergangenen beiden Jahren. 2022 gab es 112.000 Asylansuchen, 2023 waren es rund 60.000. Zehntausende Antragsteller waren für die Behörden aber bald nicht mehr greifbar, weil sie weitergezogen waren. Ihre Verfahren wurden eingestellt. Das ist die eine Seite.
Die andere ist: Die Flüchtlingskrise von 2015 zieht nach wie vor Probleme bei der Integration nach sich. Sei es auf dem Arbeitsmarkt, bei der Sozialhilfe oder wie derzeit in den Schulen, weil viele, vor allem syrische Schutzberechtigte, ihre
Familien nachholen. Speziell in Wien, wohin es den Großteil aller Schutzberechtigten früher oder später zieht, führt das derzeit zu einer immensen Überforderung des Bildungssystems. Monat für Monat müssen momentan 350 Kinder eingeschult werden, die meist kein Wort Deutsch sprechen und teils seit Jahren keine Schule besucht haben.
In Wien, das seit jeher als einziges Bundesland seine Quote bei der
Grundversorgung von Asylsuchenden übererfüllt, wird sichtbar, was in Österreich nicht funktioniert und woran auch Europa scheitert: an einer gerechten Verteilung. 2022 wurden drei Viertel aller Asylanträge in der EU in nur fünf Mitgliedsstaaten gestellt: Deutschland, Frankreich, Spanien, Österreich und Italien. In Deutschland und Österreich halten die Menschen Zuwanderung für die bedeutendste Krise des vergangenen Jahrzehnts, zeigte eine im März veröffentlichte Studie des European Council on Foreign Relations in zwölf Mitgliedsstaaten. Unter allen Befragten sagten 77 Prozent, die EU mache keinen guten Job in der Migrationspolitik. Aber was genau tut sie eigentlich?
Am Ende der Diskussionen einigen sich die EU-Staaten in der Regel immer in den gleichen Punkten: Außengrenzen schützen; abschieben, wer keinen positiven Asylbescheid hat; besser mit Drittstaaten kooperieren, damit sie ihre Staatsbürger zurücknehmen und andere davon abhalten, in die EU zu ziehen. Funktioniert hat das alles nur bedingt.
2022 sollten 431.200 Menschen aus der EU abgeschoben werden. Gelungen ist das nur bei 17 Prozent.
Der Schutz der Außengrenzen bleibt vor allem bei den Seegrenzen problematisch. Hält die EU sich an internationales Recht, darunter an das Verbot von kollektiven Zurückweisungen und das Gebot der Seenotrettung, ist sie de facto darauf angewiesen, dass die Menschen erst gar nicht zur Überfahrt nach Europa aufbrechen. Das sollen immer öfter die Regierungen auf der anderen Seite des Mittelmeers bewerkstelligen, in umstrittenen Deals. Zusätzlich will man die Aufnahme von Flüchtlingen an den EUAußengrenzen
bündeln. Aber auch daran scheiterte die EU in der Vergangenheit, besonders dramatisch auf den griechischen Inseln.
Wo sich die Staaten nie einigen konnten, ist die Verteilung von Flüchtlingen. Auch die Sekundärmigration, das Weiterziehen von Migranten in andere EU-Länder, bleibt Praxis. Karl Kopp von der Europaabteilung von Pro Asyl erklärt das damit, dass die Länder im Zentrum wollten, dass etwa Griechenland „den schmutzigen Teil der Abwehr übernimmt“. Sie würden nicht sanktionieren, wenn Rechte missachtet werden – und dürften sich dann nicht wundern, wenn der größte Teil der Sekundärmigration aus diesen Ländern komme, „weil sie dort kein Bett, kein Brot, keine Seife bekommen“. Mit dem Migrationspakt, fürchtet er, blieben die „unwürdigen Bedingungen“an den Außengrenzen bestehen.