Biden warnt Iran: „Tut es nicht“
Nach den wahrscheinlich von Israel ausgeführten Raketenangriffen auf das iranische Konsulat in Damaskus halten die USA einen Vergeltungsschlag für „unvermeidlich“. Kommt es nun zur großen Konfrontation im Nahen Osten?
BEIRUT. US-Präsident Joe Biden sagte am Freitag, seiner Erwartung nach stehe ein iranischer Vergeltungsschlag gegen Israel „eher früher als später“bevor. Auf die Frage einer Journalistin, was seine Botschaft an Teheran sei, antwortete er: „Tut es nicht.“
Irans Revolutionsführer Ali Khamenei, der in allen staatspolitischen Angelegenheiten das letzte Wort hat, drohte hingegen in Teheran mit Vergeltungsschlägen für den Raketenangriff auf das iranische Konsulat in Damaskus. „Das böse Regime wird bestraft werden“, sagte der Ajatollah wörtlich.
1. Wie realistisch ist ein Vergeltungsschlag?
Die Angriffe in der syrischen Hauptstadt, die Khamenei als „Angriff auf unseren Boden“wertet, bringen Iran unter Zugzwang. Über die Schweizer Botschaft in Teheran, die die US-Interessen in der Islamischen Republik vertritt, hatte die iranische Diplomatie umgehend eine „sehr wichtige Botschaft“nach Washington geschickt. Teheran, so informierte Quellen, habe darin explizit einen Vergeltungsschlag gegen Israel angekündigt, falls der Krieg im Gazastreifen nicht beendet werde. Sechs Tage später zog Israel den Großteil seiner Truppen dort ab. Trotzdem wurde die Drohung von Khamenei bekräftigt.
2. Werden die Iraner nun sofort losschlagen?
Das „Wall Street Journal“berichtete am Freitag unter Berufung auf USQuellen, ein Angriff Irans könnte „in den nächsten 24 bis 48 Stunden“erfolgen. Das österreichische Außenministerium hat alle Österreicherinnen und Österreicher dazu aufgefordert, den Iran zu verlassen. „Insbesondere in den kommenden Tagen ist aufgrund der aktuell angespannten Lage in der Region von einer erhöhten Gefährdung auszugehen“, hieß es auf der Internetseite des Außenministeriums.
Was dagegen spricht, dass ein Vergeltungsschlag unmittelbar bevorstehen könnte: Im Nahen Osten wird „Eid al-Fitr“, das Fest des Fastenbrechens nach dem Ramadan, begangen. Vermutlich werden die Iraner daher ihre Politik der „strategischen Geduld“noch fortsetzen, also abwarten und sich auf die Operationen ihrer Regionalverbündeten im Libanon, Syrien, Irak und Jemen beschränken.
Angesichts seiner militärischen Fähigkeiten und prekären wirtschaftlichen sowie politischen Lage sei Iran ohnehin nicht zu einer großen Konfrontation mit Israel fähig, sagte der Iran-Analyst Ali Sadrzadeh der BBC. Auch wenn Israel Iran militärisch gedemütigt habe, seien direkte Vergeltungsmaßnahmen unwahrscheinlich, meint auch Fawaz Gerges, Professor für internationale Beziehungen an der London School of Economics. Außenminister Hossein Amir-Abdollahian habe signalisiert, dass der Iran eine unkontrollierbare Eskalation vermeiden will, hieß es in iranischen Kreisen. Demnach hat der Minister auch die Bereitschaft zur Deeskalation signalisiert, sollten bestimmte Forderungen erfüllt werden. Dazu gehöre ein dauerhafter Waffenstillstand in Gaza. Das lehnt Israel ab, solange die Hamas nicht vernichtet ist.
3. Verfügen die Iraner über Mittel für direkte Vergeltungsschläge in Israel?
Durchaus. Iran hatte erst im Februar seine Langstreckenrakete „Fattah“(Eroberer) mit einer Reichweite von 1700 Kilometern getestet. Mit dem Test sei ein Angriff auf die israelische Luftwaffenbasis Palmachim „simuliert“worden. Im Jänner hatten die Revolutionsgardisten Stellungen in Syrien und Irak in 1200 Kilometern Entfernung attackiert. Die Angriffe wurden als Signal an Israel interpretiert, weil die Entfernung in etwa die gleiche ist.
4. Welche Alternativen zu „Fattah“hätten die Iraner?
Sie könnten dem Bau einer Atombombe Vorrang geben. Teheran „sammelt Energie, reichert Uran an und macht dabei große Fortschritte“, sagt Gerges: „Der große Preis für Iran ist es jetzt nicht, 50 ballistische Raketen auf Israel abzufeuern und dabei 100 Israelis zu töten, sondern eine strategische Abschreckung aufzubauen, die sich auch gegen die USA richtet.“
5. Biden hat Israel im Fall eines Vergeltungsschlags „felsenfeste Unterstützung“zugesagt. Was ist zu erwarten?
Die US-Streitkräfte, vor allem die im Persischen Golf stationierte fünfte US-Flotte, würden Israel direkt unterstützen. Vermutlich würden die stationierten Kriegsschiffe iranische Ziele mit Marschflugkörpern bombardieren.
6. Wären auch andere Staaten der Region betroffen?
Mit Sicherheit der Libanon, wo die Hisbollah über 130.000 einsatzbereite Raketen und Flugkörper verfügen soll. Auch Syrien und Irak wären betroffen sowie vermutlich Bahrain und die Vereinigten Arabischen Emirate. Ein iranischer Marinekommandant hatte am Dienstag behauptet, dass Israel in beiden Staaten, die mit Jerusalem diplomatische Beziehungen unterhalten, eine militärische Präsenz aufbaue. Diese Bindungen müssten die Emirate und Bahrain kappen, verlangte Khamenei.
7. Wie reagiert Israel auf die Drohungen aus Teheran?
Israel gibt sich vorbereitet. „Ein direkter iranischer Angriff wird eine angemessene israelische Antwort erfordern“, sagte Verteidigungsminister Yoav Gallant im Gespräch mit seinem US-Kollegen Lloyd Austin. Israels Armee sei auf einen Angriff und „die daraus folgende Verteidigung“vorbereitet, sagte auch Armeesprecher Daniel Hagari. Austin sicherte Gallant „die eiserne Unterstützung“zu. Die USA wollen ihre Militärpräsenz in der Region verstärken. „Wir verlegen zusätzliche Mittel in die Region, um die Abschreckungsbemühungen zu verstärken und den Truppenschutz für US-Streitkräfte zu erhöhen“, teilte ein Pentagon-Beamter am Freitag mit. Ein hochrangiger US-General habe eine geplante Reise nach Israel vorverlegt.