Darum geht es bei der EU-Wahl
Rund 400 Millionen Menschen sind in den 27 Mitgliedsstaaten in sieben Wochen stimmberechtigt. Wissenswertes über die EU-Wahl im Überblick:
1. Was wird bei der EU-Wahl entschieden?
Die Bürgerinnen und Bürger der 27 Mitgliedsstaaten wählen jeweils ihre nationalen Vertreterinnen und Vertreter im EU-Parlament. Das erfolgt seit 1979 alle fünf Jahre. Nach der Wahl 2024 werden 720 Mitglieder im Plenum in Straßburg bzw. in Brüssel Platz nehmen, bisher waren es 705. Die Zahl der Abgeordneten hängt von der Einwohnerzahl der EU-Staaten ab, wobei kleinere Länder überrepräsentiert sind. Das ergibt sich aus der Festlegung, dass jeder Staat mindestens sechs (Malta, Luxemburg, Zypern), höchstens jedoch 96 Abgeordnete (Deutschland) stellt. Aus Österreich werden 20 (bisher 19) Abgeordnete kommen.
2. Wie viele Parteien stehen in Österreich auf dem Stimmzettel?
Das ist noch nicht fix. Bis 26. April bleibt für Listen noch Zeit, um die nötigen 2600 Unterschriften zu sammeln. Alternativ reicht die Unterstützung von drei Nationalratsoder einem EU-Abgeordneten. Darauf können ÖVP, SPÖ, FPÖ, Grüne und Neos zurückgreifen. Neben der KPÖ haben die Liste Volt Europa und das Bündnis „Öxit – EU-Austritt für Österreich“angekündigt, kandidieren zu wollen. Einen erneuten Anlauf will Robert Marschall nehmen – seine EU-Austrittspartei hat sich vom Öxit-Bündnis abgespalten.
3. Gelten bei den Wahlen in allen Mitgliedsstaaten die gleichen Spielregeln?
Keineswegs, es gibt nicht einmal einen einheitlichen Termin. Weil es in den Ländern unterschiedliche Gepflogenheiten gibt, findet das Votum an vier Tagen statt, von Donnerstag, 6. Juni, bis Sonntag, 9. Juni – der ist in Österreich der offizielle Wahltag. Die Stimme kann auch schon davor via Wahlkarte bzw. Briefwahl abgegeben werden. Auch das Mindestalter, um an der Wahl teilnehmen zu dürfen, ist nicht ident – sowohl beim aktiven als auch beim passiven Wahlrecht. In Österreich muss man für die Stimmabgabe spätestens am Wahltag 16 Jahre alt sein.
Dazu berechtigt sind auch Bürgerinnen und Bürger aus dem EU-Ausland, die in Österreich leben. Um zu kandidieren, ist wie bei Gemeinde-, Landtags- und Nationalratswahlen ein Mindestalter von 18 Jahren gefordert – so wie in den meisten anderen EU-Staaten.
Wie bei Nationalratswahlen gibt es eine Sperrklausel von vier Prozent der gültigen Stimmen, ab der Parteien bei der Mandatsvergabe berücksichtigt werden. Auch andere Länder haben Hürden zwischen 1,8 Prozent (Zypern) und fünf Prozent (zum Beispiel Frankreich) eingezogen, 13 Staaten verzichten darauf. Gerade in Deutschland, das die meisten Abgeordneten stellt, führte das immer wieder dazu, dass es politische Quereinsteiger und Kleinstparteien ins Parlament schaffen. Darunter der Satiriker Martin Sonneborn und ein Vertreter der Parteipartei. Mit der Wahl 2029 soll in Deutschland eine Sperrklausel von zwei Prozent eingeführt werden.
4. Warum gibt es neben den nationalen auch europaweite Spitzenkandidaten?
Bei der Wahl 2014 war eine Mehrheit im EU-Parlament dafür, dass der europaweite Spitzenkandidat der stärksten Fraktion zum Kommissionspräsidenten gewählt werden sollte. Das wurde der Luxemburger JeanClaude Juncker, der die Europäische Volkspartei anführte. Das Prinzip sollte das Interesse an der Wahl erhöhen. Es wurde bereits fünf Jahre später übergangen. Manfred Weber hätte damals als EVP-Spitzenkandidat den Chefposten der Kommission bekleiden sollen. Daraus wurde nichts. Denn das Vorschlagsrecht obliegt dem Europäischen Rat, also den 27 Staats- und Regierungschefs, die mit qualifizierter Mehrheit einen Kandidaten oder eine Kandidatin nominieren. 2019 war es eine Allianz, angeführt von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, die Webers Nominierung ablehnte. Stattdessen wurde Ursula von der Leyen als Präsidentin vorgeschlagen. Das Parlament bestätigte sie im Amt. 2024 führt von der Leyen die Wahlkampagne der EVP an.
Nicht alle Fraktionen haben einen europaweiten Spitzenkandidaten bzw. eine Spitzenkandidatin nominiert. Die Europäischen Konservativen und Reformer sowie die rechtsnationalistische Fraktion Identität und Demokratie, der die Alternative für Deutschland und die FPÖ angehören, lehnen das System ab, weil es dafür keine vertragliche Grundlage gibt und sie eine Täuschung der Wählerinnen und Wähler orten.
5. Was unterscheidet das EU-Parlament vom österreichischen Nationalrat?
Gesetzgebungskompetenz, Kontrollfunktion, Fragerecht an Regierung bzw. Kommission: Das Europäische ähnelt nationalen Parlamenten in seiner Arbeitsweise und seinen Befugnissen. Dennoch gibt es einige Unterschiede. Herrscht im österreichischen Nationalrat de facto Fraktionszwang, sind Abweichungen im Abstimmungsverhalten im EU-Parlament nicht selten. Die meisten Parteien sind zwar in europäischen Fraktionen organisiert. Bei Themen, die in den Herkunftsländern umstritten sind, wie in Österreich die Gentechnik oder die Atomenergie, scheren nationale Delegationen bei Abstimmungen häufig aus. Eine wesentliche Kompetenz fehlt dem EU-Parlament: Es hat im Gegensatz zum Nationalrat kein Initiativrecht, es kann keine Gesetze vorschlagen, sondern nur die Kommission auffordern, tätig zu werden.
6. Wie viel verdienen die EU-Abgeordneten?
Die Parlamentarier verdienen monatlich 38,5 Prozent des Grundgehalts der Richterinnen und Richter des Europäischen Gerichtshofs. Das sind derzeit 10.075,18 Euro brutto monatlich bzw. 7853,89 Euro nach Abzug von EU-Steuern und Versicherungsbeiträgen. Darüber hinaus haben ehemalige Abgeordnete ab dem 64. Lebensjahr Anspruch auf ein Ruhegehalt in Höhe von 3,5 Prozent ihres Gehalts für jedes Jahr ihrer Amtszeit. Um Anspruch auf den
Maximalbetrag (70 Prozent des Grundgehalts) zu haben, muss man 20 Jahre im Europaparlament vertreten sein.
7. Warum tagt das EU-Parlament an zwei Orten?
Straßburg und Brüssel – das Parlament verfügt über zwei Tagungsorte. Das ist einer Art Betriebsunfall geschuldet. Als das Parlament als Hohe Versammlung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl, einer EU-Vorgängerorganisation, in den Fünfzigerjahren eingerichtet wurde, war eigentlich Luxemburg als Sitz vorgesehen. Mangels geeigneter Räumlichkeiten wich man nach Straßburg aus, wo die Abgeordneten am Sitz des ein paar Jahre davor gegründeten Europarats tagten. Formell ist Straßburg erst mit dem im Mai 1999 in Kraft getretenen Vertrag von Amsterdam Sitz des Parlaments. Darin wurden zwölf Plenarwochen im Jahr festgeschrieben. Weitere Sitzungen finden wie die Ausschüsse in Brüssel statt. Und es gibt noch einen dritten Standort: Das Generalsekretariat des Parlaments hat seinen Dienstort in Luxemburg.
Dass der viel kritisierte „Wanderzirkus“zwischen Brüssel und Straßburg in absehbarer Zeit eingestellt wird, ist unwahrscheinlich. Für eine Änderung der EU-Verträge bräuchte es Einstimmigkeit unter den Mitgliedsstaaten. Die Zustimmung aus Frankreich ist nicht zu erwarten – auch weil der Parlamentsbetrieb in Straßburg und Umgebung mittlerweile längst zu einem großen Wirtschaftsfaktor geworden ist.
8. Welche Rolle spielt das Parlament neben Rat und Kommission in der EU?
Grundsätzlich ist das Europäische Parlament die einzige EU-Institution, deren Mitglieder direkt gewählt werden. Es hat drei wesentliche Kompetenzen. Erstens die Gesetzgebung. Gemeinsam mit dem Rat der Europäischen Union, in dem die jeweiligen Fachministerinnen und Fachminister der Mitgliedsstaaten vertreten sind, verabschiedet es EURechtsvorschriften, die auf Vorschlägen der EU-Kommission basieren. Zweitens kontrolliert das Parlament alle anderen EU-Organe. Es kann die Kommission durch ein Misstrauensvotum abwählen. Auch die Wahlbeobachtung in Drittstaaten gehört zum Aufgabenbereich. Drittens obliegt dem Parlament mit dem Rat die Erstellung des Haushaltsplans und des mehrjährigen Finanzrahmens. Der aktuelle läuft von 2021 bis 2027 und umfasst rund 1,2 Billionen Euro.
9. Auf welche weiteren Entscheidungen hat der Ausgang der EU-Wahl Einfluss?
Die Zusammensetzung des Parlaments entscheidet – abgesehen von der inhaltlichen Ausrichtung der EU-Politik der kommenden fünf Jahre – auch über jene der neuen Kommission, die sich nach der Wahl formiert. Es stimmt über die Kommissionspräsidentin bzw. die gesamte Kommission, bestehend aus 27 Mitgliedern (eines je EU-Land), ab. Dass das kein Selbstläufer ist, zeigte sich bei von der Leyens Wahl 2019 – sie wurde von den Abgeordneten nur knapp im Amt bestätigt.