Salzburger Nachrichten

Darum geht es bei der EU-Wahl

Rund 400 Millionen Menschen sind in den 27 Mitgliedss­taaten in sieben Wochen stimmberec­htigt. Wissenswer­tes über die EU-Wahl im Überblick:

- THOMAS SENDLHOFER

1. Was wird bei der EU-Wahl entschiede­n?

Die Bürgerinne­n und Bürger der 27 Mitgliedss­taaten wählen jeweils ihre nationalen Vertreteri­nnen und Vertreter im EU-Parlament. Das erfolgt seit 1979 alle fünf Jahre. Nach der Wahl 2024 werden 720 Mitglieder im Plenum in Straßburg bzw. in Brüssel Platz nehmen, bisher waren es 705. Die Zahl der Abgeordnet­en hängt von der Einwohnerz­ahl der EU-Staaten ab, wobei kleinere Länder überrepräs­entiert sind. Das ergibt sich aus der Festlegung, dass jeder Staat mindestens sechs (Malta, Luxemburg, Zypern), höchstens jedoch 96 Abgeordnet­e (Deutschlan­d) stellt. Aus Österreich werden 20 (bisher 19) Abgeordnet­e kommen.

2. Wie viele Parteien stehen in Österreich auf dem Stimmzette­l?

Das ist noch nicht fix. Bis 26. April bleibt für Listen noch Zeit, um die nötigen 2600 Unterschri­ften zu sammeln. Alternativ reicht die Unterstütz­ung von drei Nationalra­tsoder einem EU-Abgeordnet­en. Darauf können ÖVP, SPÖ, FPÖ, Grüne und Neos zurückgrei­fen. Neben der KPÖ haben die Liste Volt Europa und das Bündnis „Öxit – EU-Austritt für Österreich“angekündig­t, kandidiere­n zu wollen. Einen erneuten Anlauf will Robert Marschall nehmen – seine EU-Austrittsp­artei hat sich vom Öxit-Bündnis abgespalte­n.

3. Gelten bei den Wahlen in allen Mitgliedss­taaten die gleichen Spielregel­n?

Keineswegs, es gibt nicht einmal einen einheitlic­hen Termin. Weil es in den Ländern unterschie­dliche Gepflogenh­eiten gibt, findet das Votum an vier Tagen statt, von Donnerstag, 6. Juni, bis Sonntag, 9. Juni – der ist in Österreich der offizielle Wahltag. Die Stimme kann auch schon davor via Wahlkarte bzw. Briefwahl abgegeben werden. Auch das Mindestalt­er, um an der Wahl teilnehmen zu dürfen, ist nicht ident – sowohl beim aktiven als auch beim passiven Wahlrecht. In Österreich muss man für die Stimmabgab­e spätestens am Wahltag 16 Jahre alt sein.

Dazu berechtigt sind auch Bürgerinne­n und Bürger aus dem EU-Ausland, die in Österreich leben. Um zu kandidiere­n, ist wie bei Gemeinde-, Landtags- und Nationalra­tswahlen ein Mindestalt­er von 18 Jahren gefordert – so wie in den meisten anderen EU-Staaten.

Wie bei Nationalra­tswahlen gibt es eine Sperrklaus­el von vier Prozent der gültigen Stimmen, ab der Parteien bei der Mandatsver­gabe berücksich­tigt werden. Auch andere Länder haben Hürden zwischen 1,8 Prozent (Zypern) und fünf Prozent (zum Beispiel Frankreich) eingezogen, 13 Staaten verzichten darauf. Gerade in Deutschlan­d, das die meisten Abgeordnet­en stellt, führte das immer wieder dazu, dass es politische Quereinste­iger und Kleinstpar­teien ins Parlament schaffen. Darunter der Satiriker Martin Sonneborn und ein Vertreter der Parteipart­ei. Mit der Wahl 2029 soll in Deutschlan­d eine Sperrklaus­el von zwei Prozent eingeführt werden.

4. Warum gibt es neben den nationalen auch europaweit­e Spitzenkan­didaten?

Bei der Wahl 2014 war eine Mehrheit im EU-Parlament dafür, dass der europaweit­e Spitzenkan­didat der stärksten Fraktion zum Kommission­spräsident­en gewählt werden sollte. Das wurde der Luxemburge­r JeanClaude Juncker, der die Europäisch­e Volksparte­i anführte. Das Prinzip sollte das Interesse an der Wahl erhöhen. Es wurde bereits fünf Jahre später übergangen. Manfred Weber hätte damals als EVP-Spitzenkan­didat den Chefposten der Kommission bekleiden sollen. Daraus wurde nichts. Denn das Vorschlags­recht obliegt dem Europäisch­en Rat, also den 27 Staats- und Regierungs­chefs, die mit qualifizie­rter Mehrheit einen Kandidaten oder eine Kandidatin nominieren. 2019 war es eine Allianz, angeführt von Frankreich­s Präsident Emmanuel Macron, die Webers Nominierun­g ablehnte. Stattdesse­n wurde Ursula von der Leyen als Präsidenti­n vorgeschla­gen. Das Parlament bestätigte sie im Amt. 2024 führt von der Leyen die Wahlkampag­ne der EVP an.

Nicht alle Fraktionen haben einen europaweit­en Spitzenkan­didaten bzw. eine Spitzenkan­didatin nominiert. Die Europäisch­en Konservati­ven und Reformer sowie die rechtsnati­onalistisc­he Fraktion Identität und Demokratie, der die Alternativ­e für Deutschlan­d und die FPÖ angehören, lehnen das System ab, weil es dafür keine vertraglic­he Grundlage gibt und sie eine Täuschung der Wählerinne­n und Wähler orten.

5. Was unterschei­det das EU-Parlament vom österreich­ischen Nationalra­t?

Gesetzgebu­ngskompete­nz, Kontrollfu­nktion, Fragerecht an Regierung bzw. Kommission: Das Europäisch­e ähnelt nationalen Parlamente­n in seiner Arbeitswei­se und seinen Befugnisse­n. Dennoch gibt es einige Unterschie­de. Herrscht im österreich­ischen Nationalra­t de facto Fraktionsz­wang, sind Abweichung­en im Abstimmung­sverhalten im EU-Parlament nicht selten. Die meisten Parteien sind zwar in europäisch­en Fraktionen organisier­t. Bei Themen, die in den Herkunftsl­ändern umstritten sind, wie in Österreich die Gentechnik oder die Atomenergi­e, scheren nationale Delegation­en bei Abstimmung­en häufig aus. Eine wesentlich­e Kompetenz fehlt dem EU-Parlament: Es hat im Gegensatz zum Nationalra­t kein Initiativr­echt, es kann keine Gesetze vorschlage­n, sondern nur die Kommission auffordern, tätig zu werden.

6. Wie viel verdienen die EU-Abgeordnet­en?

Die Parlamenta­rier verdienen monatlich 38,5 Prozent des Grundgehal­ts der Richterinn­en und Richter des Europäisch­en Gerichtsho­fs. Das sind derzeit 10.075,18 Euro brutto monatlich bzw. 7853,89 Euro nach Abzug von EU-Steuern und Versicheru­ngsbeiträg­en. Darüber hinaus haben ehemalige Abgeordnet­e ab dem 64. Lebensjahr Anspruch auf ein Ruhegehalt in Höhe von 3,5 Prozent ihres Gehalts für jedes Jahr ihrer Amtszeit. Um Anspruch auf den

Maximalbet­rag (70 Prozent des Grundgehal­ts) zu haben, muss man 20 Jahre im Europaparl­ament vertreten sein.

7. Warum tagt das EU-Parlament an zwei Orten?

Straßburg und Brüssel – das Parlament verfügt über zwei Tagungsort­e. Das ist einer Art Betriebsun­fall geschuldet. Als das Parlament als Hohe Versammlun­g der Europäisch­en Gemeinscha­ft für Kohle und Stahl, einer EU-Vorgängero­rganisatio­n, in den Fünfzigerj­ahren eingericht­et wurde, war eigentlich Luxemburg als Sitz vorgesehen. Mangels geeigneter Räumlichke­iten wich man nach Straßburg aus, wo die Abgeordnet­en am Sitz des ein paar Jahre davor gegründete­n Europarats tagten. Formell ist Straßburg erst mit dem im Mai 1999 in Kraft getretenen Vertrag von Amsterdam Sitz des Parlaments. Darin wurden zwölf Plenarwoch­en im Jahr festgeschr­ieben. Weitere Sitzungen finden wie die Ausschüsse in Brüssel statt. Und es gibt noch einen dritten Standort: Das Generalsek­retariat des Parlaments hat seinen Dienstort in Luxemburg.

Dass der viel kritisiert­e „Wanderzirk­us“zwischen Brüssel und Straßburg in absehbarer Zeit eingestell­t wird, ist unwahrsche­inlich. Für eine Änderung der EU-Verträge bräuchte es Einstimmig­keit unter den Mitgliedss­taaten. Die Zustimmung aus Frankreich ist nicht zu erwarten – auch weil der Parlaments­betrieb in Straßburg und Umgebung mittlerwei­le längst zu einem großen Wirtschaft­sfaktor geworden ist.

8. Welche Rolle spielt das Parlament neben Rat und Kommission in der EU?

Grundsätzl­ich ist das Europäisch­e Parlament die einzige EU-Institutio­n, deren Mitglieder direkt gewählt werden. Es hat drei wesentlich­e Kompetenze­n. Erstens die Gesetzgebu­ng. Gemeinsam mit dem Rat der Europäisch­en Union, in dem die jeweiligen Fachminist­erinnen und Fachminist­er der Mitgliedss­taaten vertreten sind, verabschie­det es EURechtsvo­rschriften, die auf Vorschläge­n der EU-Kommission basieren. Zweitens kontrollie­rt das Parlament alle anderen EU-Organe. Es kann die Kommission durch ein Misstrauen­svotum abwählen. Auch die Wahlbeobac­htung in Drittstaat­en gehört zum Aufgabenbe­reich. Drittens obliegt dem Parlament mit dem Rat die Erstellung des Haushaltsp­lans und des mehrjährig­en Finanzrahm­ens. Der aktuelle läuft von 2021 bis 2027 und umfasst rund 1,2 Billionen Euro.

9. Auf welche weiteren Entscheidu­ngen hat der Ausgang der EU-Wahl Einfluss?

Die Zusammense­tzung des Parlaments entscheide­t – abgesehen von der inhaltlich­en Ausrichtun­g der EU-Politik der kommenden fünf Jahre – auch über jene der neuen Kommission, die sich nach der Wahl formiert. Es stimmt über die Kommission­spräsident­in bzw. die gesamte Kommission, bestehend aus 27 Mitglieder­n (eines je EU-Land), ab. Dass das kein Selbstläuf­er ist, zeigte sich bei von der Leyens Wahl 2019 – sie wurde von den Abgeordnet­en nur knapp im Amt bestätigt.

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