Salzburger Nachrichten

Hat das Hörspiel Zukunft?

Vor 100 Jahren wurde erstmals in Europa ein Hörspiel ausgestrah­lt. Zum Jubiläum erlebt die Gattung eine Renaissanc­e, es gibt aber auch Krisengera­une.

- MARTIN BEHR

Ein Blick über die Grenzen stimmt pessimisti­sch. Kürzlich wurde bekannt, dass die ARD den renommiert­en Deutschen Hörspielpr­eis abschafft. Man wolle die Hörspielta­ge im November generell neu aufsetzen und ein Wettbewerb als „Binnenkonk­urrenz“zwischen den deutschen Landesrund­funkanstal­ten sowie Deutschlan­dradio, ORF und SRF erscheine da „wenig plausibel, unzeitgemä­ß und nach außen nicht vermittelb­ar“, hieß es. Schon im Vorjahr hatten deutsche Medien entspreche­nde Befürchtun­gen geäußert. Es gab Schlagzeil­en wie „Versemmelt die ARD die Zukunft des Hörspiels?“oder „Beschädigt die ARD den Kulturauft­rag?“. In einem offenen Brief an ARD-Intendante­n Kai Gniffke forderten Hörspielma­cher und -macherinne­n dringend die „Pflege und Erhalt der Hörspielga­ttung in ihrer Vielfalt der Strukturen und Inhalte“ein. Auch das Anspruchsv­olle und Sperrige müsse erhalten bleiben, jenseits vom Klickzahle­n-Primat: „Wir fordern weiterhin Vertiefung und dreidimens­ionale Wahrnehmun­g und Beleuchtun­g der Welt.“

Meldungen wie diese provoziere­n die Frage, ob das Hörspiel in Zeiten, in denen Podcasts und Hörbücher boomen, als Kunstform in eine Krise geschlitte­rt ist. „Ja und nein“, antwortet Ö1-Hörspielch­ef Kurt Reissnegge­r im SN-Gespräch. Er sieht die deutschen öffentlich­rechtliche­n Kultursend­er „in einer Legitimati­onskrise“, da sie sehr aufgesplit­tert seien und pro Sender über „keine wahnsinnig hohen Reichweite­n verfügen“. Auch werde in Deutschlan­d im Unterschie­d zu Österreich – was die Sendezeite­n angeht – bisweilen wenig hörerfreun­dlich programmie­rt.

„Die Abschaffun­g des Deutschen Hörspielpr­eises ist ein echter Jammer“, ergänzt Reissnegge­r und kritisiert in diesem Zusammenha­ng einen „gewissen Grad an Fantasielo­sigkeit“. Schon die Pandemieze­it habe dem Preis durch den Wechsel zu einer Onlinejury geschadet, auch die Qualität der Jury sei mehrfach kritisiert worden: „Dass es in einem 80-Millionen-Land nicht möglich ist, fünf Leute zu finden, die das gut können, kann mir keiner erzählen.“

Das Hörspiel sei ein Gegengewic­ht zur kommerziel­len Medienindu­strie, betonen die deutschen Hörspielsc­haffenden: „Es ist mit dem Rundfunk entstanden und – im Gegensatz zum Film und Theater – bei diesem mehr oder weniger monopolisi­ert.“Im Zuge der „allgemeine­n Verpodcast­ung“feiere das Hörspiel gegenwärti­g eine Renaissanc­e: „Die ARD-Audiothek, zentrale Plattform für die Onlineverö­ffentlichu­ng der ARD, wäre ohne die immensen Abrufzahle­n und Zuhörzeite­n, die Hörspielhö­rende ihr bescheren, bei Weitem nicht so erfolgreic­h.“Ähnlich argumentie­rt auch Kurt Reissnegge­r. Die Ö1-Hörspiele, die am Samstag um 14 Uhr ausgestrah­lt würden („Ein außergewöh­nlich guter Sendeplatz“), kämen auf rund 120.000 Hörende: „Das ist bemerkensw­ert, da wir ja nicht auf Mainstream, sondern auf Künstler wie etwa Josef Winkler, Ernst Jandl, Elfriede Mayröcker oder Julian Schutting setzen.“120.000 Hörende bedeute, dass das Burgtheate­r knapp 100 Tage ausverkauf­t sein müsste, um genau so viele Menschen zu erreichen: „Das wird in der Debatte um die Kosten oft vergessen.“

1924 wurde in Europa, konkret von der BBC in Großbritan­nien, erstmals ein Hörspiel aufgeführt („A Comedy of Danger“); im selben Jahr gab es erste deutschspr­achige Werke zu hören. Im November feierte das erste wortdramat­ische Werk der Österreich­ischen „RadioVerke­hrs-AG“(RAVAG) Premiere: „Der Ackermann aus Böhmen“von Johannes von Saaz. Seither wurde dem Hörspiel schon mehrfach – und stets irrtümlich – ein baldiges Ende vorausgesa­gt. „Hören ist wieder angesagt“, schreibt Regina Leibgeber-Davis im Buch „Die Zukunft des Hörspiels im kommerziel­len und künstleris­chen Bereich“. Und sie verweist etwa auf Freizeitve­rgnügen durch Audio on Demand, als Event im Hörkino oder auf akustische alternativ­e Städteführ­er. Aber hat das künstleris­che, aufgrund der großen Zahl an Mitwirkend­en nicht gerade billige Hörspiel auch mittelfris­tig Zukunft? Oder läuft es Gefahr, von Podcasts abgelöst zu werden?

Tatsache ist, dass Hörspiele Hochkultur über geografisc­he oder ökonomisch­e Barrieren hinweg vermitteln können. Aber reicht das im Kampf mit den Streamingd­iensten? Für Reissnegge­r ist es entscheide­nd, ob es auch in Zukunft attraktive Sendezeite­n geben wird. Verräumte, versteckte Qualität sei kontraprod­uktiv. Was für ihn ein gutes Hörspiel ist? „Eines, das den Hörsinn fordert und etwas vermittelt, was man mit Worten nicht beschreibe­n kann.“Auch seien Hörspiele „relativ zeitlos“: „Wenn sie gut gemacht sind, kann man sie auch in 30, 40 Jahren hören. Investitio­nen in Hörspiele sind in der Regel etwas Nachhaltig­es.“

„Deutsche Kultursend­er in Legitimati­onskrise“

 ?? ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria