Hat das Hörspiel Zukunft?
Vor 100 Jahren wurde erstmals in Europa ein Hörspiel ausgestrahlt. Zum Jubiläum erlebt die Gattung eine Renaissance, es gibt aber auch Krisengeraune.
Ein Blick über die Grenzen stimmt pessimistisch. Kürzlich wurde bekannt, dass die ARD den renommierten Deutschen Hörspielpreis abschafft. Man wolle die Hörspieltage im November generell neu aufsetzen und ein Wettbewerb als „Binnenkonkurrenz“zwischen den deutschen Landesrundfunkanstalten sowie Deutschlandradio, ORF und SRF erscheine da „wenig plausibel, unzeitgemäß und nach außen nicht vermittelbar“, hieß es. Schon im Vorjahr hatten deutsche Medien entsprechende Befürchtungen geäußert. Es gab Schlagzeilen wie „Versemmelt die ARD die Zukunft des Hörspiels?“oder „Beschädigt die ARD den Kulturauftrag?“. In einem offenen Brief an ARD-Intendanten Kai Gniffke forderten Hörspielmacher und -macherinnen dringend die „Pflege und Erhalt der Hörspielgattung in ihrer Vielfalt der Strukturen und Inhalte“ein. Auch das Anspruchsvolle und Sperrige müsse erhalten bleiben, jenseits vom Klickzahlen-Primat: „Wir fordern weiterhin Vertiefung und dreidimensionale Wahrnehmung und Beleuchtung der Welt.“
Meldungen wie diese provozieren die Frage, ob das Hörspiel in Zeiten, in denen Podcasts und Hörbücher boomen, als Kunstform in eine Krise geschlittert ist. „Ja und nein“, antwortet Ö1-Hörspielchef Kurt Reissnegger im SN-Gespräch. Er sieht die deutschen öffentlichrechtlichen Kultursender „in einer Legitimationskrise“, da sie sehr aufgesplittert seien und pro Sender über „keine wahnsinnig hohen Reichweiten verfügen“. Auch werde in Deutschland im Unterschied zu Österreich – was die Sendezeiten angeht – bisweilen wenig hörerfreundlich programmiert.
„Die Abschaffung des Deutschen Hörspielpreises ist ein echter Jammer“, ergänzt Reissnegger und kritisiert in diesem Zusammenhang einen „gewissen Grad an Fantasielosigkeit“. Schon die Pandemiezeit habe dem Preis durch den Wechsel zu einer Onlinejury geschadet, auch die Qualität der Jury sei mehrfach kritisiert worden: „Dass es in einem 80-Millionen-Land nicht möglich ist, fünf Leute zu finden, die das gut können, kann mir keiner erzählen.“
Das Hörspiel sei ein Gegengewicht zur kommerziellen Medienindustrie, betonen die deutschen Hörspielschaffenden: „Es ist mit dem Rundfunk entstanden und – im Gegensatz zum Film und Theater – bei diesem mehr oder weniger monopolisiert.“Im Zuge der „allgemeinen Verpodcastung“feiere das Hörspiel gegenwärtig eine Renaissance: „Die ARD-Audiothek, zentrale Plattform für die Onlineveröffentlichung der ARD, wäre ohne die immensen Abrufzahlen und Zuhörzeiten, die Hörspielhörende ihr bescheren, bei Weitem nicht so erfolgreich.“Ähnlich argumentiert auch Kurt Reissnegger. Die Ö1-Hörspiele, die am Samstag um 14 Uhr ausgestrahlt würden („Ein außergewöhnlich guter Sendeplatz“), kämen auf rund 120.000 Hörende: „Das ist bemerkenswert, da wir ja nicht auf Mainstream, sondern auf Künstler wie etwa Josef Winkler, Ernst Jandl, Elfriede Mayröcker oder Julian Schutting setzen.“120.000 Hörende bedeute, dass das Burgtheater knapp 100 Tage ausverkauft sein müsste, um genau so viele Menschen zu erreichen: „Das wird in der Debatte um die Kosten oft vergessen.“
1924 wurde in Europa, konkret von der BBC in Großbritannien, erstmals ein Hörspiel aufgeführt („A Comedy of Danger“); im selben Jahr gab es erste deutschsprachige Werke zu hören. Im November feierte das erste wortdramatische Werk der Österreichischen „RadioVerkehrs-AG“(RAVAG) Premiere: „Der Ackermann aus Böhmen“von Johannes von Saaz. Seither wurde dem Hörspiel schon mehrfach – und stets irrtümlich – ein baldiges Ende vorausgesagt. „Hören ist wieder angesagt“, schreibt Regina Leibgeber-Davis im Buch „Die Zukunft des Hörspiels im kommerziellen und künstlerischen Bereich“. Und sie verweist etwa auf Freizeitvergnügen durch Audio on Demand, als Event im Hörkino oder auf akustische alternative Städteführer. Aber hat das künstlerische, aufgrund der großen Zahl an Mitwirkenden nicht gerade billige Hörspiel auch mittelfristig Zukunft? Oder läuft es Gefahr, von Podcasts abgelöst zu werden?
Tatsache ist, dass Hörspiele Hochkultur über geografische oder ökonomische Barrieren hinweg vermitteln können. Aber reicht das im Kampf mit den Streamingdiensten? Für Reissnegger ist es entscheidend, ob es auch in Zukunft attraktive Sendezeiten geben wird. Verräumte, versteckte Qualität sei kontraproduktiv. Was für ihn ein gutes Hörspiel ist? „Eines, das den Hörsinn fordert und etwas vermittelt, was man mit Worten nicht beschreiben kann.“Auch seien Hörspiele „relativ zeitlos“: „Wenn sie gut gemacht sind, kann man sie auch in 30, 40 Jahren hören. Investitionen in Hörspiele sind in der Regel etwas Nachhaltiges.“
„Deutsche Kultursender in Legitimationskrise“