Budgetpolitik ohne Ambitionen
Warum Österreich keinen Spielraum mehr hat zur Bewältigung künftiger Krisen, warum es noch größere Probleme gibt als die Pensionsfinanzierung und was jetzt dringend getan werden müsste zwecks Konsolidierung der Finanzen.
Der zwecks Überwachung der Staatsfinanzen eingerichtete Fiskalrat spielte diese Woche den Partycrasher: Statt, wie vom Finanzminister prognostiziert, 2,7 beziehungsweise 2,9 Prozent werde das staatliche Defizit heuer 3,4 Prozent des Bruttoinlandsprodukts betragen. Also etliche Milliarden mehr als eingeplant, sagten die Stabilitätshüter in ihrer jüngsten Analyse voraus. Das Finanzministerium kann diese Rechnung „nicht nachvollziehen“. Die SN sprachen mit dem Vorsitzenden des Fiskalrats, dem renommierten Ökonomen Christoph Badelt.
SN: Wie geht es den österreichischen Staatsfinanzen?
Christoph Badelt: Die Staatsfinanzen sind, was den Jetzt-Zustand betrifft, zwar nicht super, aber auch nicht in einer katastrophalen Lage. Was mir aber wirklich Sorgen macht, sind die Perspektiven. Es hat nämlich schon bei der Verabschiedung des laufenden Budgets keine Ambitionen gegeben, das Defizit wieder zu verkleinern.
SN: Das heißt, das vom Finanzminister für 2024 ursprünglich eingeplante Defizit von 2,7 Prozent war zu wenig ehrgeizig?
Ja, bereits dieses Defizit war zu hoch. Und auch im Finanzrahmenplan bis 2027 wurde keine Reduktion des Defizits vorgenommen – und das in einer Zeit, in der man mit einiger Sicherheit sagen konnte, dass die großen Krisen vorbei sind. Ich habe da keine Ambition gesehen, den Haushalt wieder in Ordnung zu bringen. Wenn dann eine weitere Krise ausbricht, muss der Finanzminister noch etwas drauflegen und das Defizit wird noch größer. Genau das ist ja jetzt geschehen.
SN: Der Finanzminister sieht die Zahlen nicht so dramatisch wie Sie, er hat das Defizit nur von 2,7 auf 2,9 Prozent korrigiert und nicht auf 3,4 Prozent wie der Fiskalrat. Glauben Sie, das ist wahlkampfbedingter Optimismus?
Ich glaube, dass das mit dem Wahlkampf per se nichts zu tun hat. Aber natürlich pflegt man im Finanzministerium eine zweckoptimistische Darstellung, im Gegensatz zu früher, wo man zweckpessimistisch war. Und wenn sie mir im Finanzministerium jetzt schriftlich ausrichten, sie können die Rechnung des Fiskalrats nicht nachvollziehen, dann muss ich ihnen ausrichten, ich kann die ihre nicht nachvollziehen. Allein wenn ich das gegenüber den Planungen im Herbst deutlich schlechtere Budgetdefizit im Jahr 2023, die zusätzlichen Maßnahmen der Bundesregierung und die Verschlechterung der Wirtschaftslage in Rechnung stelle, dann kann ich nicht nachvollziehen, wieso das Defizit nur 2,9 Prozent betragen soll.
SN: Auch die Wirtschaftsforschungsinstitute und der Internationale Währungsfonds sehen die Lage weit weniger dramatisch als Sie.
Ich sage Ihnen eines: Die anderen Institute werden auch kräftig hinaufgehen mit ihrer Defizitprognose. Wir vom Fiskalrat sind bloß die Ersten
Christoph Badelt,
gewesen, die auf Basis neuer Zahlen prognostizieren. Und den Währungsfonds versteht überhaupt keiner. Weil dessen Experten waren im Februar im Lande. Wie die da auf 2,6 Prozent Defizitschätzung kommen, also optimistischer sind als der Finanzminister zu diesem Zeitpunkt, das hat mir noch keiner erklären können.
SN: Gibt’s eine Chance, von dem hohen Defizit herunterzukommen?
Ich glaube, dass wir im Jahr 2024 nicht mehr viel tun können. Es wird nicht ein schon beschlossenes Budget wieder aufgemacht werden, um es sparsamer neu zu erstellen. Das bedeutet aber, dass der Referenzpfad nach den neuen EU-Finanzregeln, der im Juni kommen wird, ganz schön tough wird. Ich beneide keinen Finanzminister, der das ausbaden muss. Die EU wird natürlich darauf drängen, dass man einen Pfad aufzeigt, wie man wieder auf die vorgesehenen 60 Prozent Staatsverschuldung kommt.
SN: Wo liegt das Problem?
Wir brauchen einen Spielraum, um Krisen bewältigen zu können. Wir hatten vor der Covidkrise fast ein ausgeglichenes Budget. Deshalb haben wir die ganzen zusätzlichen Ausgaben dann relativ gut weggesteckt. Das ist jetzt aber ganz anders.
Wo lauern die größten Gefahren für das Budget?
SN:
Wenn wir bei den künftigen Budgets die jetzigen Ansätze fortschreiben, dann geht die Schere zwischen Ausgaben und Einnahmen weiter auf. Wenn man dazu noch bedenkt, dass wohl eine neue Regierung Ideen und Pläne haben wird, dann sind zusätzliche Ausgaben oder Steuersenkungen zu erwarten. Denken Sie an den Nehammer-Plan oder an das, was Andreas Babler an Entlastungen verspricht. Babler will zwar auch Vermögenssteuern einheben, er operiert aber mit Fantasiezahlen. Das glaubt er wohl selbst nicht, dass auf diese Weise fünf Milliarden lukriert werden können.
SN: Wie sieht es mit der Finanzierung der Pensionen aus?
Es geht gar nicht so sehr um das Pensionssystem an sich, sondern um die Gesamtsituation. Die Pensionsausgaben werden zwar bis 2033 um 1,3 Prozentpunkte des BIP steigen, aber hätten wir nur dieses Problem, könnten wir das wahrscheinlich stemmen. Aber wir haben eben viele andere Probleme. Demnächst kommt der neue Ageing-Report der EU-Kommission. Soweit ich die Tabellen kenne, ist der Konsolidierungsbedarf im Gesundheits- und im Pflegewesen noch größer als im Pensionswesen.
Der Bericht kommt alle drei Jahre und beschäftigt sich mit den budgetären Folgekosten der Alterung.
SN: Kann die Regierung etwas gegen die hohe Inflation tun?
Jein. Natürlich könnte man theoretisch noch stärker in die Preise eingreifen. Doch derzeit sind die Preissteigerungen nicht mehr so groß, dass man das wirklich tun sollte. Wobei die Energiepreise ein eigenes Thema sind.
SN:
Weil es in hohem Maße ärgerlich ist, dass bei uns die Strom- und Gaspreise für den Konsumenten viel langsamer sinken als in anderen Ländern. Da haben wir durch die Eigentumsstruktur bei Energieabgabefirmen ein Problem. Aber das können Sie nicht so leicht regeln. Was ebenfalls nicht wirklich zu regeln ist, sind die Unterschiede im Warenkorb, die uns ja vor allem von der deutschen, aber auch von der
Inwiefern?
EU-Inflation unterscheiden. Wir haben Kostentreiber, die im österreichischen Warenkorb viel stärker gewichtet sind als in anderen Ländern. Das liegt an den Konsumgewohnheiten der Österreicher und kann politisch nicht geändert werden. Und je länger die Inflation andauert, desto stärker schlagen vor allem bei den Dienstleistungen auch die Lohnerhöhungen durch. Und dann befindet man sich wirklich in einem Teufelskreis.
SN: Gibt es einen Ratschlag, den Sie den Regierenden mit auf den Weg geben wollen?
Ja. Der Ratschlag klingt trivial, aber ich glaube, dass das eigentlich der Punkt ist: Bitte macht nicht gleichzeitig Projekte auf der Einnahmenseite – Klammer auf: Steuersenkungen – und auf der Ausgabenseite – Klammer auf: Ausgabenerhöhungen –, die nicht zusammenpassen. Auch wenn jedes Projekt für sich sinnvoll sein mag.