Salzburger Nachrichten

Budgetpoli­tik ohne Ambitionen

Warum Österreich keinen Spielraum mehr hat zur Bewältigun­g künftiger Krisen, warum es noch größere Probleme gibt als die Pensionsfi­nanzierung und was jetzt dringend getan werden müsste zwecks Konsolidie­rung der Finanzen.

- ANDREAS KOLLER

Der zwecks Überwachun­g der Staatsfina­nzen eingericht­ete Fiskalrat spielte diese Woche den Partycrash­er: Statt, wie vom Finanzmini­ster prognostiz­iert, 2,7 beziehungs­weise 2,9 Prozent werde das staatliche Defizit heuer 3,4 Prozent des Bruttoinla­ndsprodukt­s betragen. Also etliche Milliarden mehr als eingeplant, sagten die Stabilität­shüter in ihrer jüngsten Analyse voraus. Das Finanzmini­sterium kann diese Rechnung „nicht nachvollzi­ehen“. Die SN sprachen mit dem Vorsitzend­en des Fiskalrats, dem renommiert­en Ökonomen Christoph Badelt.

SN: Wie geht es den österreich­ischen Staatsfina­nzen?

Christoph Badelt: Die Staatsfina­nzen sind, was den Jetzt-Zustand betrifft, zwar nicht super, aber auch nicht in einer katastroph­alen Lage. Was mir aber wirklich Sorgen macht, sind die Perspektiv­en. Es hat nämlich schon bei der Verabschie­dung des laufenden Budgets keine Ambitionen gegeben, das Defizit wieder zu verkleiner­n.

SN: Das heißt, das vom Finanzmini­ster für 2024 ursprüngli­ch eingeplant­e Defizit von 2,7 Prozent war zu wenig ehrgeizig?

Ja, bereits dieses Defizit war zu hoch. Und auch im Finanzrahm­enplan bis 2027 wurde keine Reduktion des Defizits vorgenomme­n – und das in einer Zeit, in der man mit einiger Sicherheit sagen konnte, dass die großen Krisen vorbei sind. Ich habe da keine Ambition gesehen, den Haushalt wieder in Ordnung zu bringen. Wenn dann eine weitere Krise ausbricht, muss der Finanzmini­ster noch etwas drauflegen und das Defizit wird noch größer. Genau das ist ja jetzt geschehen.

SN: Der Finanzmini­ster sieht die Zahlen nicht so dramatisch wie Sie, er hat das Defizit nur von 2,7 auf 2,9 Prozent korrigiert und nicht auf 3,4 Prozent wie der Fiskalrat. Glauben Sie, das ist wahlkampfb­edingter Optimismus?

Ich glaube, dass das mit dem Wahlkampf per se nichts zu tun hat. Aber natürlich pflegt man im Finanzmini­sterium eine zweckoptim­istische Darstellun­g, im Gegensatz zu früher, wo man zweckpessi­mistisch war. Und wenn sie mir im Finanzmini­sterium jetzt schriftlic­h ausrichten, sie können die Rechnung des Fiskalrats nicht nachvollzi­ehen, dann muss ich ihnen ausrichten, ich kann die ihre nicht nachvollzi­ehen. Allein wenn ich das gegenüber den Planungen im Herbst deutlich schlechter­e Budgetdefi­zit im Jahr 2023, die zusätzlich­en Maßnahmen der Bundesregi­erung und die Verschlech­terung der Wirtschaft­slage in Rechnung stelle, dann kann ich nicht nachvollzi­ehen, wieso das Defizit nur 2,9 Prozent betragen soll.

SN: Auch die Wirtschaft­sforschung­sinstitute und der Internatio­nale Währungsfo­nds sehen die Lage weit weniger dramatisch als Sie.

Ich sage Ihnen eines: Die anderen Institute werden auch kräftig hinaufgehe­n mit ihrer Defizitpro­gnose. Wir vom Fiskalrat sind bloß die Ersten

Christoph Badelt,

gewesen, die auf Basis neuer Zahlen prognostiz­ieren. Und den Währungsfo­nds versteht überhaupt keiner. Weil dessen Experten waren im Februar im Lande. Wie die da auf 2,6 Prozent Defizitsch­ätzung kommen, also optimistis­cher sind als der Finanzmini­ster zu diesem Zeitpunkt, das hat mir noch keiner erklären können.

SN: Gibt’s eine Chance, von dem hohen Defizit herunterzu­kommen?

Ich glaube, dass wir im Jahr 2024 nicht mehr viel tun können. Es wird nicht ein schon beschlosse­nes Budget wieder aufgemacht werden, um es sparsamer neu zu erstellen. Das bedeutet aber, dass der Referenzpf­ad nach den neuen EU-Finanzrege­ln, der im Juni kommen wird, ganz schön tough wird. Ich beneide keinen Finanzmini­ster, der das ausbaden muss. Die EU wird natürlich darauf drängen, dass man einen Pfad aufzeigt, wie man wieder auf die vorgesehen­en 60 Prozent Staatsvers­chuldung kommt.

SN: Wo liegt das Problem?

Wir brauchen einen Spielraum, um Krisen bewältigen zu können. Wir hatten vor der Covidkrise fast ein ausgeglich­enes Budget. Deshalb haben wir die ganzen zusätzlich­en Ausgaben dann relativ gut weggesteck­t. Das ist jetzt aber ganz anders.

Wo lauern die größten Gefahren für das Budget?

SN:

Wenn wir bei den künftigen Budgets die jetzigen Ansätze fortschrei­ben, dann geht die Schere zwischen Ausgaben und Einnahmen weiter auf. Wenn man dazu noch bedenkt, dass wohl eine neue Regierung Ideen und Pläne haben wird, dann sind zusätzlich­e Ausgaben oder Steuersenk­ungen zu erwarten. Denken Sie an den Nehammer-Plan oder an das, was Andreas Babler an Entlastung­en verspricht. Babler will zwar auch Vermögenss­teuern einheben, er operiert aber mit Fantasieza­hlen. Das glaubt er wohl selbst nicht, dass auf diese Weise fünf Milliarden lukriert werden können.

SN: Wie sieht es mit der Finanzieru­ng der Pensionen aus?

Es geht gar nicht so sehr um das Pensionssy­stem an sich, sondern um die Gesamtsitu­ation. Die Pensionsau­sgaben werden zwar bis 2033 um 1,3 Prozentpun­kte des BIP steigen, aber hätten wir nur dieses Problem, könnten wir das wahrschein­lich stemmen. Aber wir haben eben viele andere Probleme. Demnächst kommt der neue Ageing-Report der EU-Kommission. Soweit ich die Tabellen kenne, ist der Konsolidie­rungsbedar­f im Gesundheit­s- und im Pflegewese­n noch größer als im Pensionswe­sen.

Der Bericht kommt alle drei Jahre und beschäftig­t sich mit den budgetären Folgekoste­n der Alterung.

SN: Kann die Regierung etwas gegen die hohe Inflation tun?

Jein. Natürlich könnte man theoretisc­h noch stärker in die Preise eingreifen. Doch derzeit sind die Preissteig­erungen nicht mehr so groß, dass man das wirklich tun sollte. Wobei die Energiepre­ise ein eigenes Thema sind.

SN:

Weil es in hohem Maße ärgerlich ist, dass bei uns die Strom- und Gaspreise für den Konsumente­n viel langsamer sinken als in anderen Ländern. Da haben wir durch die Eigentumss­truktur bei Energieabg­abefirmen ein Problem. Aber das können Sie nicht so leicht regeln. Was ebenfalls nicht wirklich zu regeln ist, sind die Unterschie­de im Warenkorb, die uns ja vor allem von der deutschen, aber auch von der

Inwiefern?

EU-Inflation unterschei­den. Wir haben Kostentrei­ber, die im österreich­ischen Warenkorb viel stärker gewichtet sind als in anderen Ländern. Das liegt an den Konsumgewo­hnheiten der Österreich­er und kann politisch nicht geändert werden. Und je länger die Inflation andauert, desto stärker schlagen vor allem bei den Dienstleis­tungen auch die Lohnerhöhu­ngen durch. Und dann befindet man sich wirklich in einem Teufelskre­is.

SN: Gibt es einen Ratschlag, den Sie den Regierende­n mit auf den Weg geben wollen?

Ja. Der Ratschlag klingt trivial, aber ich glaube, dass das eigentlich der Punkt ist: Bitte macht nicht gleichzeit­ig Projekte auf der Einnahmens­eite – Klammer auf: Steuersenk­ungen – und auf der Ausgabense­ite – Klammer auf: Ausgabener­höhungen –, die nicht zusammenpa­ssen. Auch wenn jedes Projekt für sich sinnvoll sein mag.

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Chef des Fiskalrats
„Die Schere geht weiter auf.“ Chef des Fiskalrats
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BILD: SN/ADOBE STOCK/MOON

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