Südafrika steht vor einer Zeitenwende
Rund die Hälfte der Bevölkerung ist jünger als 30 Jahre und mit dem ANC in der Regierung aufgewachsen. Viele hoffen auf den Machtwechsel.
Aus einem weißen Zelt in Durban wummern Bässe. Der DJ läuft sich warm für die Wahlkampfveranstaltung von Rise Mzanzi, einer von vielen neuen Parteien, die am 29. Mai zur Wahl stehen. Sie wollen die Mehrheit des Afrikanischen Nationalkongresses (ANC) brechen, der Südafrika seit 30 Jahren regiert. Das wünscht sich auch der 21-jährige Erstwähler Sthembiso Magwala. „Zuerst war ich nicht sicher, ob ich überhaupt abstimmen soll, weil mich keine der etablierten politischen Parteien repräsentiert“, sagt er. An Rise Mzanzi gefällt ihm das junge Führungsteam. Vom ANC, mit dem 71-jährigen Präsidenten Cyril Ramaphosa an der Spitze, fühlt sich der Mann nicht vertreten. „Sie feiern 30 Jahre Freiheit, aber ein junger Mensch, der keine wirtschaftliche Teilhabe hat, sieht diese Freiheit nicht.“
Magwala sagt, was viele im Land denken. Umfragen zufolge könnte der ANC erstmals seine absolute Mehrheit verlieren. Bei den ersten demokratischen Wahlen 1994 sei die Partei noch als Befreiungsbewegung gesehen worden, die das Unrecht der Apartheid wiedergutmachen wollte, sagt Politikwissenschafter Zakhele Ndlovu. „30 Jahre später hat sie darin versagt. Und zwar, weil sich ANC-Politiker selbst bereichern, Staatsressourcen plündern und nicht umsetzen, was sie versprechen.“Als Beispiele nennt er Kriminalität und Gesetzlosigkeit, tägliche Stromausfälle und Einschnitte bei der Wasserversorgung sowie wachsende Armut und eine
Jugendarbeitslosigkeit, die mit über 50 Prozent zu den höchsten der Welt zählt.
Südafrika gilt auch als Land mit der ausgeprägtesten sozialen Ungleichheit weltweit. Die demokratische Wende hat nicht den erhofften Wohlstand für alle gebracht. Das drückt sich in der Wahlbeteiligung aus – seit 1994 nimmt sie stetig ab. An der letzten Parlamentswahl hat erstmals weniger als die Hälfte aller wahlberechtigten Bürgerinnen und Bürger teilgenommen.
Auch in diesem Jahr erwartet Ben Roberts vom Forschungsinstitut Human Sciences Research Council keinen „radikalen Wandel“. Es hätten sich einfach nicht genügend junge Wählerinnen und Wähler registrieren lassen, um wirklich etwas zu verändern. Aber das bedeute nicht, dass die Jugend „politisch apathisch“sei, sagt Roberts. „Unsere Studie belegt, dass viele von ihnen die Demokratie weiterhin wichtig finden. Aber sie hat ihre Erwartungen nicht erfüllt, was eine bessere Lebensrealität betrifft.“
Was das konkret bedeutet, ist im Süden der Küstenstadt Durban unübersehbar. Hier drängen sich Wellblechhütten, sogenannte Shacks. Hunderte Familien teilen sich Waschräume in blauen Schiffscontainern. Männer sitzen mit Bierflaschen auf Holzbänken, Frauen hängen Wäsche auf, Kinder spielen neben Müllbergen. Diese Siedlung war eigentlich nur für den Übergang gedacht – bis der Staat für die Bürgerinnen und Bürger Häuser gebaut hat. „Aber das sind nur leere Versprechungen, die in jedem Wahlkampf gemacht werden“, erzählt Anwohner Nkululeko Ketelo. „Es ist traurig, dass solche Dinge, die für die Menschen wirklich wichtig sind, ausgenutzt werden, um die Wähler
zu manipulieren.“Ketelo misstraut nicht nur dem ANC, sondern allen politischen Parteien. Die Erfahrung zeige, dass sich „Politik und Korruption nicht trennen lassen“. Alle täten so, als wollten sie nur das Beste für die Bevölkerung. „Aber letztlich kämpfen sie nur um die Macht.
Denn wer die politische Macht besitzt, hat auch Zugriff auf die Staatsfinanzen“, sagt der 30-Jährige. Trotzdem will er sein Wahlrecht ausüben. Für wen er stimmen wird, weiß er noch nicht.
Die beiden größten Oppositionsparteien schließen eine Koalition
mit dem ANC nicht aus. Das spricht nicht für einen grundlegenden Kurswechsel, den sich junge Südafrikaner wie er wünschen.
Die Hauptsache sei, dass es friedlich bleibe, sagt Ketelo. Damit spielt er auf die neue Partei Umkhonto we Sizwe von Ex-Präsident Jacob Zuma an. Sie heißt wie der bewaffnete Arm des ANC zu Apartheid-Zeiten. Eine Beschwörung des Befreiungskampfs und eine Drohung. Mitglieder der Partei haben schon mehrmals zu Gewalt aufgerufen. Es herrscht Angst: vor Ausschreitungen und politischen Morden. In dem weißen Zelt hat ein privater Sicherheitsmann die junge Politikerin von Rise Mzanzi bei ihrer Wahlkampfrede nicht aus den Augen gelassen. Er begleite sie überallhin, sagt Nonkululeko HlongwaneMhlongo, die zugibt, Angst zu haben. „Natürlich sollten wir im Jahr 2024 nicht mehr sterben, weil wir uns politisch engagieren“, fügt die 37-Jährige hinzu, bevor sie sich wieder unter ihre Anhängerinnen und Anhänger mischt. So viele Menschen seien bereits für Südafrikas Demokratie gestorben.