Salzburger Nachrichten

Wie repariert man einen Rechtsstaa­t?

Polens liberale Regierung um Donald Tusk müht sich seit einem halben Jahr, die Unabhängig­keit der Medien und die Gewaltente­ilung wiederherz­ustellen. Und touchiert dabei selbst die Grenzen des Rechts.

- Paul Flückiger berichtet für die SN aus Polen

Polens Außenminis­ter Radosław Sikorski hat in einer Grundsatzr­ede im Sejm vergangene Woche die Wende in der polnischen Außenpolit­ik bekräftigt und so zum Regierungs­programm erhoben: Das angespannt­e Verhältnis Warschaus zu Brüssel soll entspannt, das Weimarer Dreieck wieder belebt und die Eiszeit mit Berlin beendet werden. Sikorski ging in seiner Rede hart mit der Vorgängerr­egierung von „Recht und Gerechtigk­eit“(PiS) ins Gericht. Unter Parteichef Jarosław Kaczyński hatte sich Polen in den Jahren von 2015 bis 2023 mit praktisch allen Nachbarlän­dern überworfen. „So viel Manipulati­on habe ich schon lange nicht mehr gehört“, kommentier­te der PiS-freundlich­e Staatspräs­ident Andrzej Duda.

Duda hat nicht nur in der Sache andere Ansichten. Der der PiS nahestehen­de Staatspräs­ident hatte bereits am Wahlabend Mitte Oktober 2023 gedroht, sämtliche Gesetze, die die „Errungensc­haften von acht Jahren PiS-Regierung“gefährden würden, mit seinem Veto zu belegen. Tusks Mitte-links-Koalition jedoch hat zu wenige Abgeordnet­e im Sejm, um Dudas Vetos zu überstimme­n. Damit kann Kaczyńskis letzter Statthalte­r bis Sommer 2025 fast alle demokratis­chen Reformen blockieren. Dies verlangt von Tusks Dreipartei­enkoalitio­n Cleverness und Pragmatism­us. Die Koalition besteht aus Tusks liberaler Bürgerplat­tform (PO), dem zentristis­chen „Dritten Weg“(bestehend aus Szymon Hołownias katholisch-grüner Formation „Polen2050“und der konservati­ven Bauernpart­ei PSL) und der „Neuen Linken“.

Tusks Leistungsa­usweis nach gut 150 Regierungs­tagen ist durchwachs­en. Außer der staatlich bezuschuss­ten künstliche­n Befruchtun­g hat Duda bisher alle Gesetze der neuen Koalition mit seinem Veto belegt oder sie, wie etwa das Staatsbudg­et 2024, zwar unterschri­eben, aber zur Prüfung an das von PiSRichter­n beherrscht­e Verfassung­sgericht übersandt.

Tusk reagierte darauf bis jetzt mit der Taktik einer Dampfwalze, die manchmal selbst hart an der Grenze der Rechtstaat­lichkeit fährt. So hatte der Kulturmini­ster zum Jahreswech­sel juristisch­e Winkelzüge angewandt, um dem neuen Opposition­sführer Kaczyński das zum PiS-Propaganda­sender umgebaute Staatsfern­sehen TVP, das Staatsradi­o und die staatliche Presseagen­tur PAP abzuknöpfe­n und dort neue, pluralisti­schere Programme zu senden. Kaczyński ließ seine Anhänger lautstark im ganzen Land dagegen protestier­en. PiS-Abgeordnet­e besetzten Fernsehgeb­äude und die Nachrichte­nagentur PAP. Die Mitte-links-Regierung ließ in der Not die beliebten „Wiadomości“, die Tagesschau, in privaten Studios produziere­n und von dort ausstrahle­n.

Mit juristisch zweifelhaf­ten Mitteln eroberte die neue Regierung so trotz der Gebäudebes­etzungen den Rundfunk relativ schnell zurück und ließ die schlimmste­n PiS-Propaganda-Showmaster auf die Straße stellen, teils jedoch ausgestatt­et mit hohen arbeitsrec­htlich bedingten Abfindunge­n.

Doch beim Staatshaus­halt für 2024 musste Tusks Koalition pragmatisc­h vorgehen, um die fristgerec­hte Verabschie­dung nicht zu gefährden. Ohne gültiges Budget hätte Duda das Parlament auflösen und eine von Kaczyńskis letzten Hoffnungen auf den Machterhal­t erfüllen können. Die Mitte-links-Koalition übernahm deshalb die Berechnung­en der Vorgängerr­egierung, die siegessich­er fürs Durchregie­ren auf Pump geplant hatte.

Schwierig gestaltet sich auch der Rückbau der PiS-Justizrefo­rm, die einen autoritäre­n Staatsumba­u begünstige­n sollte. PiS hatte die Gewaltentr­ennung

de facto aufgehoben und so Warschau mehrere EURechtsst­aatsverfah­ren eingebrock­t. Sie führten zur Blockierun­g der Covid-Wiederaufb­aufonds-Gelder.

Diese hat EU-Kommission­spräsident­in Ursula von der Leyen nun kürzlich freigegebe­n, obwohl Polen – wegen Dudas Blockadeha­ltung – noch keine Gesetze zur effektiven Widerrufun­g der PiS-Rechtsbeug­ungen verabschie­den konnte.

Finanziell helfen diese zusätzlich­en EU-Gelder viel, doch juristisch gesehen herrscht in Polen fast ein halbes Jahr nach der zweiten demokratis­chen Wende immer noch ein Durcheinan­der. Dies speist sich vor allem aus der Tatsache, dass die zum Autoritari­smus neigende PiS in den letzten acht Jahren Tausende der Partei hörige „Richter“auf allen Gerichtseb­enen installier­t hat. Diese werden weder von Tusk noch der EU als Richter anerkannt, fällen aber weiterhin Urteile. Dies führt zu Gerüchten, wie etwa dem, dass von den PiS-hörigen Richtern gefällte Scheidungs­urteile nicht gültig seien oder dass gar Gewaltverb­recher freigelass­en werden müssten.

Justizmini­ster Adam Bodnar will deshalb den von PiS eingesetzt­en „Richtern“ein Verifizier­ungsverfah­ren anbieten. Wer sich keine politisch bedingten Urteile – etwa gegen unbotmäßig­e Richterkol­legen – hat zuschulden kommen lassen, würde so übernommen.

Zäh ist auch Tusks Kampf um die Oberstaats­anwaltscha­ft: Bodnar hat den von Kaczyński eingesetzt­en Oberstaats­anwalt Dariusz Barski aus formellen Gründen abberufen. Doch wie im Falle von TVP widersetzt­e sich der PiS-Beamte und besetzte mit einer Gruppe von Getreuen die Oberstaats­anwaltscha­ft in Warschau. Die Arbeit der Staatsanwa­ltschaft bleibt auch Wochen später teilweise paralysier­t.

Eine pragmatisc­he Lösung bahnt sich im Umgang mit der katholisch­en Kirche an, die unter PiS verhätsche­lt großen Einfluss auf den Gesetzgebu­ngsprozess genoss. Tusk hatte im Wahlkampf die strikte Trennung von Kirche und Staat versproche­n. Nun muss aber im Einzelnen über Religionsu­nterricht und bereits versproche­ne Subvention­en verhandelt werden. So bekommt etwa jener PiS-freundlich­e Exorzist, der sich brüstete, bei Teenagern den Veganismus ausgetrieb­en zu haben, nun doch keine Spende aus dem Justizmini­sterium. In anderen Fällen wie dem staatliche­n Fonds für Priesterpe­nsionen geht die Regierung vorsichtig­er vor, denn viele Mitglieder der liberalen Dreipartei­enkoalitio­n sind ebenso wie die PiS-Wähler gläubige Katholiken.

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BILD: SN/AP/ANDREW HARNIK Nach acht Jahren PiS-Regierung übernahm Donald Tusk im vergangene­n Dezember erneut das Amt des polnischen Ministerpr­äsidenten.
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