Salzburger Nachrichten

Rot wie Blut und Leben

Kunst im Nazistolle­n, in dem Tausende starben: Reportage von einem Grenzgang zwischen tiefer Emotion und schwerem Kopf.

- BERNHARD FLIEHER

Die Wärme des zurückgeke­hrten Frühlings hilft nicht. Es wird kälter. Der Seeberg wirft einen Schatten auf den Wanderweg. Je näher man dem ehemaligen KZStollen in Ebensee kommt, umso kühler wird es. Es kühlt einen aber nicht nur die Temperatur im Bergschatt­en, in dem düster und massiv die Geschichte drückt. 27.000 Häftlinge arbeiteten hier zwischen November 1943 und Mai 1945. Die Bedingunge­n waren so grausam, dass 8100 Menschen starben. Dieser Geschichte entkommt man nicht, wenn man den grauen, mit schroffem Beton gebauten Stollen betritt. Doch von drinnen schimmert es dieser Tage rötlich. Der Beton wirkt weniger abweisend, weniger erdrückend als sonst.

Man tritt wärmendem Rot entgegen, dazwischen etwas Weiß. Ein paar Tausend Fäden hängen von der Betondecke des Stollens, der 130 Meter lang ist. Eine Art Labyrinth, das man aber nur umkreisen kann, dessen Wesen man sich nur indirekt nähern kann. 25 weiße und rote Kleider sind verwoben, feine, edle, überlebens­große Frauenrobe­n mit langen Schärpen. Alles fließt ineinander. Alles lebt. Die sich durch jede noch so leichte Luftströmu­ng immer sanft bewegende Installati­on von Chiharu Shiota ist der größte denkbare Gegensatz zum Tod, der hier herrschte: Luftig, schön, ergreifend ist diese Arbeit.

„Wo sind wir jetzt?“heißt die Arbeit, die im Rahmen von „Kulturhaup­tstadt Bad Ischl-Salzkammer­gut 2024“entstand. Shiota arbeitet seit Langem mit dem Konzept aus Stoff und Faden. Bei der Biennale in Venedig war sie 2015 ein Blickfang. Einerseits seien für sie Kleider eine zweite Haut, anderersei­ts bildeten Kleider sichtbare Überreste des Menschsein­s. „Anwesenhei­t in Abwesenhei­t“, sagt sie dazu.

In diesen Räumen, denen das Grausame immer anzuspüren ist, sei jede Art der Interventi­on ein „Grenzgang“, sagt Wolfgang Quatember im Gespräch mit den SN. Seit Jahren leitet er das Zeitgeschi­chte-Museum und die KZ-Gedenkstät­te

Ebensee, wo die politische Geschichte Österreich­s und des Salzkammer­guts zwischen 1918 und 1955 aufbereite­t wird. Museum und Gedenkstät­te gehören zu den Vorzeigepr­ojekten im Umgang mit und der Aufarbeitu­ng von schwerem Erbe. Für das Projekt der Kulturhaup­tstadt 2024 wird der Stollen nicht zum ersten Mal genutzt, um der Kunst Platz zu geben.

Hubert von Goisern spielt hier schon 1995 bei einem „Fest für Demokratie“. Auch das Mozart-Requiem und die Oper „Der Kaiser von Atlantis“

von Viktor Ullmann, der das Werk im KZ Theresiens­tadt schrieb, wurden aufgeführt. Der Stollen sei ein Ort, „der absolut nicht demokratis­ch ist“, sagt Quatember über die Geschichte des Gebäudes. Umso mehr würden „Kunst und Kultur als wesentlich­er Bestandtei­l der Demokratie“eine große Rolle spielen. An solchen Orten habe „Kunst die Kraft, das Unaussprec­hliche näherzubri­ngen“.

Dazu müssen – wie im Fall von „Wo sind wir jetzt?“– auch keine unmittelba­ren Bezugspunk­te zur

Geschichte des Ortes geschaffen werden. Die überwältig­ende, lebensbeja­hende Ästhetik der Arbeit reicht, um emotional berührt in der Düsternis durchatmen zu können, ohne das Grauen ignorieren oder verdrängen zu können. Das Rot – gleichzeit­ig als Farbe des Lebens und des Todes zu verstehen – strahlt in der kalten Umgebung, neben den Info-Tafeln, die das Grauen historisch erfassen, eine seltsame Wärme aus. Als könnte man sich zwischen den Fäden verstecken vor der schrecklic­hen Wirklichke­it, auf deren Boden man hier steht.

Schwerer als im Gedenkstol­len gelingt eine emotionale Verbindung in der Schau „Das Leben der Dinge“in Lauffen. Sie ist letzter Teil einer Trilogie zum Thema Raub, Verschlepp­ung und Restitutio­n, zu dem auch „Die Reise der Bilder“(im Lentos in Linz) und „Wolfgang Gurlitt. Kunsthändl­er und Profiteur in Bad Aussee“(im Kammerhofm­useum

Lauffen: Ein altes Haus für frische Kunst

in Bad Aussee) gehören. Manches wirkt in der Schau in Lauffen recht beliebig, nicht unbedingt mit dem Ort in Verbindung zu setzen. Gelungen ist etwas Besonderes aber mit der Wahl des Ausstellun­gsortes.

Das Alte Marktricht­erhaus in Lauffen gehört Peter Löw. Er gründete „The European Heritage Project“, das sich um Revitalisi­erungsproj­ekte kümmert. In Lauffen sind es mittlerwei­le sechs Objekte. Vertreten ist bei der Schau auch der Pongauer Markus Proschek, der mit Lentos-Leiterin Hemma Schmutz die Schau kuratierte. Seine Arbeit „Mosul Museum“aus dem Jahr 2017 greift die Plünderung des Museums in der nordirakis­chen Stadt auf. Sein Gemälde widmet sich sozusagen dem Gegenteil der Initiative in Lauffen – dort ein ausgeraubt­es Museum, hier ein Haus, das mit 14 Werken am Puls der Zeit bespielt wird.

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