„Erwartung ist unrealistisch“
Eishockey-Teamchef Roger Bader erklärt, warum die kommende WM so wichtig ist, wie er die Entwicklung im heimischen Eishockey sieht und auf welchen speziellen WM-Moment er hofft.
Der Schweizer Roger Bader ist seit 2016 Eishockey-Teamchef von Österreich, seit 2017 als Sportdirektor auch für die Entwicklung verantwortlich. Am Rand des Länderspiels gegen Deutschland (2:1) stand er den SN in Zell am See für ein Exklusiv-Interview zur Verfügung.
SN: Für den Teamchef war die lange Finalserie wohl ein Albtraum: Sie haben erst in dieser Woche den WM-Kader zusammen. Ein Problem?
Roger Bader: Die WM-Vorbereitung ist immer ein rollender Prozess. Vor zwei Jahren hat Salzburg die Serie schnell beendet, da war das Team drei Wochen vor der WM schon zusammen. Heuer ist es nicht so. Anders wäre es mir lieber, aber es ist, wie es ist, ich beklage mich nicht.
SN: Eines Ihrer Markenzeichen ist die relativ lange WM-Vorbereitung. Welchen Sinn hat es, drei Wochen mit Spielern zu trainieren, die dann vor der WM ausgemustert werden?
Ich wundere mich wirklich, dass die Frage in Österreich jedes Jahr kommt. Jede große Eishockey-Nation hat eine ähnliche Vorbereitung über mehrere Wochen. Unser erstes Testspiel haben wir vor vier Wochen gegen Lettland gespielt, glauben Sie, dass die da schon den WMKader zusammengehabt haben? Dazu gibt es WM-Kandidaten, die seit vier Wochen kein Spiel mehr bestritten haben – wäre es für die sinnvoll, noch länger zu warten? Und es gibt immer wieder Spieler, die sich aufdrängen. Die Entwicklung, die etwa Ian Scherzer gemacht hat, war so nicht absehbar.
SN: Warum hat genau diese WM im Mai in Prag für Sie einen so großen Stellenwert?
Ich habe immer gesagt: Wenn wir drei Mal hintereinander den Klassenerhalt schaffen, dann dürfen wir uns eine echte A-Nation nennen. Zwei Mal ist es uns jetzt gelungen,
darum nennen wir die WM heuer intern unsere Mission „Triple A“: drei Mal die A-Klasse halten.
SN: Die letzten zwei Mal lief es auf ein Herzschlagfinale im letzten Spiel hinaus. Wird das heuer auch so sein?
Realistisch wird Spiel sieben gegen Großbritannien das Entscheidungsspiel sein. Wir haben auch heuer die deutlich schwierigere Gruppe erwischt, es ist ungewöhnlich, dass der Erste und Zweite der Weltrangliste in einer Gruppe sind (Finnland und Kanada, Anm.), dazu kommen Gastgeber Tschechien und die Schweiz. Das sind die vier logischen Viertelfinalisten und wenn ich dann lese, dass man sogar vom Viertelfinal-Aufstieg träumt, dann kann ich nur sagen: Ist Österreich eine internetfreie Zone? Manchmal sind die Erwartungen in dem Land einfach unrealistisch.
SN: Bleiben mit Norwegen, Dänemark und Großbritannien noch drei Gegner auf Augenhöhe …
Wie kommen Sie darauf, dass wir mit Norwegen und Dänemark auf Augenhöhe sind? Das sind im Unterschied zu uns langjährige A-Nationen. Nehmen wir nur die Dänen: Die haben Spieler in der NHL, in der DEL, in Schweden und in Tschechien. Wie viele Spieler haben wir in Schweden? Oder Norwegen: Die haben mit Henrik Haukeland in Düsseldorf einen absoluten Spitzenkeeper.
SN: Das heißt: Es hängt wieder alles vom Spiel gegen Großbritannien ab?
Das ist ein realistisches Szenario. Aber es heißt nicht, dass uns die sechs Partien vorher egal sind.
SN: Wie beurteilen Sie die Entwicklung des heimischen Eishockeys generell?
Wir haben zehn Jahre keinen NHLDraft gehabt, die letzten Jahre aber wieder regelmäßig, das ist eine schöne Entwicklung. Wir haben ein Überangebot an Klassestürmern und über unsere Problemzone brauche ich nicht zu reden.
Sie sprechen die Torhüter-Position an. Dort werden die Probleme nicht geringer, zumal die letztjährige Nummer 1, Bernhard Starkbaum, die Karriere beendet hat?
SN:
Im letzten Jahr waren wir bei der WM unter 16 Ländern die Nummer 1 im Powerplay, die Nummer 9 im Boxplay (Unterzahl, Anm.) und die Nummer 16 bei den Torhütern. Das sind Fakten. Aber darüber will ich jetzt so kurz vor der WM nicht diskutieren, dazu habe ich schon genug gesagt.
SN: Das WM-Match gegen die Schweiz wird wohl ein besonders emotionaler Moment für Sie?
Emotional ist es das nur davor, im Spiel selbst ist es dann ein Match wie jedes andere. Im Schweizer Aufgebot könnte noch mein Sohn stehen (Stürmer Thierry Bader, Anm.). Vater gegen Sohn bei der WM – das wäre dann ein wirklich besonderer Moment für mich.