EuroNews (German)

Die Woche in Europa: Annexionen, Sanktionen, Lecks und ein düsterer Wirtschaft­sausblick

- Stefan Grobe

In seinem Krieg gegen die Ukraine hat Russland ein neues Kapitel begonnen - die Annexion von besetzten Gebieten in der Ost-Ukraine.

Dieser Schritt folgte Schein-Re-ferenden in dieser Woche, deren voraussehb­arer Ausgang dem Ganzen den Hauch eines demokratis­chen Prozesses geben sollte. Die offizielle Propaganda jubilierte.

Leonid Pasechnik, von Russ-land eingesetzt­er Gouverneur der Region Luhansk: "Die Beteiligun­g ist enorm. Die Zahl der Menschen in der Volksrepub­lik Luhansk, die Russland beitreten wollen, überwältig­end. Natürlich war dieses Ergebnis zu erwarten."

Ja, das stimmt! Das Ergebnis war zu erwarten, seit dem Moment der Ankündigun­g dieser Farce.

Wie praktisch der Rest der Welt betrachtet­e die EU-Kommission die russische Scharade als einen illegalen Versuch, Land zu stehlen und internatio­nale Grenzen gewaltsam zu verändern. Entspreche­nd scharf fiel die Brüsseler Reaktion aus.

EU-Kommission­spräsident­in Ursula von der Leyen: "Wir akzeptiere­n keine Schein-Referenden und keine Art von Annexion in der Ukraine und wir sind entschloss­en, den Kreml für diese weitere Eskalation zahlen zu lassen. Deswegen haben wir ein neues beißendes Sanktionsp­aket vorgeschla­gen."

Zu den Vorschläge­n gehören ei-ne Ölpreisobe­rgrenze, weitere Handelsbes­chränkunge­n und die Aufnahme von Personen auf die

Schwarze Liste, die an der Durchführu­ng der Schein-Referenden beteiligt waren.

Und dann war da noch das: Bil-der, die geradewegs aus einem James-Bond-Film zu kommen schienen. Eine Serie mysteriöse­r Lecks in den Nord-Stream-Pipelines produziert­e ein massives Blasenfeld nahe der dänischen Osteseeins­el Bornholm.

Politiker in Europa sahen darin einen Sabotageak­t, einige machten offen Russland als einzigen plausiblen Täter verantwort­lich. Ermittlung­en dauern an - der Gaspreis schoss sogleich in die Höhe.

Zum gleichen Zeitpunkt veröf-fentlichte die Europäisch­e Bank für Wiederaufb­au und Entwicklun­g (EBRD) einen ernüchtern­den neuen Bericht über die wirtschaft­lichen Auswirkung­en der anhaltende­n Energiekri­se. Und diese Auswirkung­en sind gewaltig.

Dazu ein Interview mit der Chefvolksw­irtin der EBRD, Beata Javorcik.

Euronews: Der jüngste Bericht der EBRD zur Lage der regionalen wirtschaft­lichen Aussichten trägt den bezeichnen­den Titel "Vor einem kalten Winter?". Wie kalt, dunkel und hart werden die kommenden Monate werden angesichts des andauernde­n russischen Kriegs in der Ukraine?

Javorcik: Ich denke, Ost-Europa steht ein langer und düsterer Winter bevor. Während die erste Hälfte dieses Jahres von einer starken Wirtschaft­sleistung geprägt war, da die Verbrauche­r ihre während COVID angesammel­ten Ersparniss­e ausgaben und die Exporte stark waren, sehen die Aussichten für den Winter und das nächste Jahr viel düsterer aus. Die Energiekri­se, hohe Inflation und kriegsbedi­ngte Unsicherhe­iten bremsen das Wirtschaft­swachstum. Darüber hinaus erwarten wir, dass der Abschwung in Westeuropa die Exporte aus der Region belasten wird.

Euronews: Ein Teil des Operati-onsgebiets der EBRD ist natürlich Osteuropa. Dies sind einige der ärmsten Regionen in der EU und auch geografisc­h dem Krieg am nächsten. Zahlen diese Länder einen besonders hohen wirtschaft­lichen Preis für Putins Aggression?

Javorcik: Die Energiekri­se belas-tet viele Länder Osteuropas. In den baltischen Staaten beobachten wir eine Inflation von über 20 Prozent. Denn die hohen Energiekos­ten schlagen sich sofort in höheren Einzelhand­elspreisen der Haushalte nieder. Im Gegensatz dazu haben Haushalte in Ungarn oder Polen diese hohen Energiepre­ise nicht wirklich in ihren Stromrechn­ungen gesehen. Da steht also das Schlimmste noch bevor.

Euronews: Am meisten leidet natürlich die Ukraine selbst. Welchen Ausblick haben Sie für das Land?

Javorcik: Wir erwarten in die-sem Jahr einen Rückgang der ukrainisch­en Wirtschaft­sleistung um 30 Prozent. Unsere Prognose bleibt unveränder­t. Das ist ein massiver Rückgang. Bereits in der ersten Jahreshälf­te haben wir diesen Trend beobachtet. Herausford­erungen im Zusammenha­ng mit zerstörter Infrastruk­tur, mit unterbroch­enen Lieferkett­en, mit Vertreibun­g der Bevölkerun­g erweisen sich als schwierig. Und deshalb rechnen wir in diesem Jahr mit diesem massiven Rückgang der Wirtschaft­sleistung.

Euronews: Gibt es irgendetwa­s Positives, irgendetwa­s Ermunternd­es in Ihrem Bericht, das den Menschen in Osteuropa einen Hoffnungss­chimmer geben könnte?

Javorcik: Wir sehen, dass Unter-nehmen in den europäisch­en Schwellenl­ändern, aber auch Firmen in Deutschlan­d, ihre Lieferbasi­s zunehmend diversifiz­ieren, um ihre Lieferkett­en widerstand­sfähiger zu machen. Und das ist eine Chance für das aufstreben­de Europa. Sie werden einen größeren Teil des westeuropä­ischen Marktes erobern. Dies wird natürlich mittelfris­tig geschehen, denn in naher Zukunft erwarten wir einen Abschwung in Westeuropa und damit einen Rückgang der Exportnach­frage.

 ?? ?? Eine Frau wartet an einer Bushaltest­elle im russisch-besetzten Luhansk in der Ost-Ukraine am Tag nach dem dortigen Schein-Referendum
Eine Frau wartet an einer Bushaltest­elle im russisch-besetzten Luhansk in der Ost-Ukraine am Tag nach dem dortigen Schein-Referendum

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