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Debatte: Was bedeutet das italienisc­he Wahlergebn­is für Europa?

- Stefan Grobe

Nach den Wahlen in Italien hat Euronews eine Debatte veranstalt­et, um zu diskutiere­n, was das Ergebnis für die Europäisch­e Union bedeutet.

An der Diskussion nahmen vier Mitglieder des Europäisch­en Parlaments teil: Juan Fernando Lopez Aguilar von den Sozialiste­n und Demokraten; Roberts Zīle von den Europäisch­en Konservati­ven und Reformiste­n (ECR), Lukas Mandl von der Europäisch­en Volksparte­i (EVP) und Alexandra Geese von den Grünen.

Hier sind die Höhepunkte der von Euronews-Korrespond­ent Méabh Mc Mahon moderierte­n Debatte.

Was denken die EU-Politiker über das italienisc­he Wahlergebn­is?

Die Wahl am vergangene­n Sonntag führte dazu, dass Giorgia Melonis rechtsextr­eme Partei „Brüder Italiens“den ersten Platz belegte. Nun wird allgemein erwartet, dass sie mit ihren Koalitions­partnern – Matteo Salvinis populistis­cher Lega Nord und Silvio Berlusconi­s Forza Italia – eine neue Regierung bilden wird.

„Es ist allgemein bekannt, dass Italien seit Jahren ein politische­s Labor ist. Für einige von uns ist es auch eine Vorwegnahm­e dessen, was in anderen Mitgliedss­taaten Europas passieren könnte. Aber sicherlich war es ein Schock“, sagte der spanische Europaabge­ordnete Juan Fernando Lopez Aguilar, von den Sozialiste­n und Demokraten.

Lopez Aguilar wies darauf hin, dass man aus der Wahl viele Lehren ziehen könne, auch aus der geringen Wahlbeteil­igung.

Der österreich­ische Europaab- geordnete Lukas Mandl von der Europäisch­en Volksparte­i sagte, er werde sich "wohl fühlen, wenn Italien und die neue italienisc­he Regierung und die Kollegen im neuen italienisc­hen Parlament unter dem Dach unseres gemeinsame­n europäisch­en Ansatzes agieren werden".

„Ich würde sagen, wir müssen sie an ihren Taten messen“, fügte er hinzu und verwies auf die zahlreiche­n Krisen, mit denen Europa derzeit konfrontie­rt ist.

Die deutsche Europaabge­ord-nete Alexandra Geese von den Grünen sagte, das Wahlergebn­is sei besorgnise­rregend.

„Wir sind ziemlich besorgt dar-über, was in Italien passieren wird nach dem antieuropä­ischen Wahlkampf. Zu sagen, dass diesem Wahlergebn­is die Party in Europa vorbei ist, wenn Italien in den letzten Jahren tatsächlic­h sehr in die europäisch­e Politik involviert war und eine sehr wichtige Rolle gespielt, ist eine Leugnung der Realität", sagte Geese.

Der lettische Europaabge­ord-nete Roberts Zīle von den Europäisch­en Konservati­ven und Reformiste­n, der gleichen Fraktion wie Giorgia Meloni, die als nächste italienisc­he Ministerpr­äsidentin gehandelt wird, sah die Situation positiver.

Zīle sagte, die anderen Abge-ordneten hätten ein „zu dunkles“Bild des Wahlergebn­isses gezeichnet, und fügte hinzu, dass sie mit dem bestehende­n Plan fortfahren werde, EU-Mittel zu erhalten.

Er sagte, die Fraktion sei mit dem Wahlergebn­is zufrieden.

Was bedeutet die neue Re-gierung für die EU-Beziehunge­n?

Mandl sagte, sobald eine neue Regierung in Italien gebildet sei, werde sie sich wahrschein­lich mit dem scheidende­n Ministerpr­äsidenten Mario Draghi abstimmen.

„(Draghi) war wirklich ein sehr guter Mann zur richtigen Zeit für Italien und ganz Europa während der Pandemie und dann während der anderen Krisen, die auftauchte­n“, fügte er hinzu.

Geese sagte, sie sei besorgt, dass Meloni "zwei Koalitions­partner habe, die enge Freunde oder Bewunderer von Putin sind".

"Ich weiß nicht, wie Giorgia Me-loni das in einer Koalition kontrollie­ren soll. Man muss immer Zugeständn­isse machen", fügte sie hinzu.

Aber aus Sicht von Zīle wird es "keinen Kompromiss in dieser Frage geben, um mit den starken Sanktionen gegen Russland fortzufahr­en".

„Wir müssen uns beruhigen. Wir befinden uns wegen der russischen Aggression in der Ukraine in einer sehr ernsten Sicherheit­slage, und das ist derzeit das wichtigste Thema“, fügte er hinzu.

Was bedeutet das Ergebnis für Italiens Wirtschaft?

Die italienisc­he Politologi­n Na-thalie Tocci, Direktorin des Istituto Affari Internazio­nali, sagte Euronews zuvor, dass aufgrund der Schuldensi­tuation alle Augen auf das Land gerichtet seien.

„Es gehört zu den Ländern, die am stärksten von dieser Energieund damit Wirtschaft­skrise betroffen sein werden“, sagte sie.

„(Meloni) weiß, dass dies eine Zeit ist, in der sie wenig Spielraum hat. Dies ist eine Zeit, in der Italien Europa braucht. Europa gibt Italien tatsächlic­h Geld. Es nimmt es Italien nicht weg.“

Lopez Aguilar sagte, dass „Itali-en zahlenmäßi­g die drittgrößt­e Volkswirts­chaft ist. Wenn es um das soziale Gleichgewi­cht geht, steckt Italien in Schwierigk­eiten.“

„In Italien gibt es viele soziale Spannungen. Es gibt sowohl regionale als auch territoria­le Ungleichhe­iten, aber auch soziale Ungleichhe­iten zwischen Arm und Reich, mit einer verarmten Mittelund Arbeiterkl­asse, mit hoher Inflation, sozialen Spannungen in jeder Hinsicht“, fügte er hinzu.

„Wenn Italien sich stark nach rechts neigt, kann es sich nicht einfach Ungarn und Polen anschließe­n, die nicht Teil des Euro sind. Italien braucht Bündnisse innerhalb der Eurogruppe.“

Geese sagte, wenn die neue Re-gierung bei den von Draghi geplanten Reformen bleibt, um auf mehr als 200 Milliarden Euro an EU-Geldern zuzugreife­n, "wird es keinen Konflikt geben. Es besteht keine Notwendigk­eit für einen Konflikt."

„Sie war die einzige Vorsitzend­e der einzigen Partei in Italien, Fratelli d'Italia, die nicht Teil der Regierung Draghi war“, sagte Zīle, der hinzufügte, dass sie eine große Menge an Staatsschu­lden geerbt habe.

„Deshalb glaube ich, dass die Leute ihr vertraut haben.“

Was könnte aus den Plänen der EU für einen neuen Pakt zu Migration und Asyl werden?

„Italien steht an einem Scheide-weg des Migrantenh­andels“, sagte ECR-MdEP Zīle und fügte hinzu, dass er die Unterstütz­ung von Flüchtling­en aus der Ukraine für wichtiger halte, „weil es hauptsächl­ich Frauen und Kinder sind, nicht junge Männer aus Afrika oder dem Nahen Osten."

Aber Lopez Aguilar, der Vorsit-zende des Innenaussc­husses des Europäisch­en Parlaments, sagte, er erinnere sich, als Matteo Salvini Innenminis­ter Italiens und "extrem dysfunktio­nal war, nicht nur mit aggressive­r Rhetorik, sondern auch mit Aktionen, die unverblümt gegen EU-Recht verstießen".

„EU-Recht bedeutet, dass wir einen ganzheitli­chen Ansatz verfolgen müssen … wir müssen das humanitäre Völkerrech­t und das EURecht respektier­en, wenn es um Suche und Rettung geht“, fügte er hinzu.

Der frühere Innenminis­ter Sal-vini will sich Melonis neuer Rechtskoal­ition anschließe­n.

Der Europaabge­ordnete Lopez Aguilar sagte, er sei besorgt über Melonis Widerstand gegen die gemeinsame Verantwort­ung der Mitgliedst­aaten im neuen Migrations­pakt.

Mandl fügte hinzu, dass Europa durch den Ukraine-Krieg mit neuen Formen der Migration und einer möglichen Migrations­krise, aber auch mit Hunger konfrontie­rt sei, weshalb es wichtig sei, sich mit dem Vorschlag der Kommission auseinande­rzusetzen.

„Ich bin optimistis­ch, dass auch die italienisc­he Regierung (den Migrations­pakt) konstrukti­v diskutiere­n wird“, sagte er.

Ist Italiens mögliche erste Ministerpr­äsidentin stark für Frauenrech­te?

Geese wies darauf hin, dass der Großteil von Melonis Partei namens „Brüder Italiens“aus Männern besteht.

„Es ist sicher ihr Verdienst, dass sie es geschafft hat, diese Partei sehr, sehr erfolgreic­h zu führen, muss ich zugeben. Aber ich habe nicht gehört, dass sie sich insgesamt für Frauen einsetzt“, sagte Geese.

Lopez Aguilar fügte hinzu: „Es ist an der Zeit, dass es eine Ministerpr­äsidentin gibt, aber das reicht nicht aus, um zu sagen, dass wir einen echten Fortschrit­t in Bezug auf Rechte und Gleichbere­chtigung haben, insbesonde­re in sensiblen Fragen des Rechts auf Abtreibung.“

Bewegt sich Europa nach rechts?

„Vor zwei Jahren haben alle da-von gesprochen, die EVP würde alles übernehmen. Dann hatten wir eine Riesenwell­e sozialdemo­kratischer Parteien. Das ist Demokratie“, sagte Mandl.

"Das gefällt mir an der Demo-kratie, dass sich Dinge ändern, weil sich das Wahlverhal­ten der Menschen ändert und sich die Politik ändert."

Geese stimmten zu.

„Niemand kann sagen, was passieren wird. Wichtig ist, dass wir dafür sorgen, dass es immer noch Demokratie­n geben wird, dass die Regeln gleich sind, dass wir alle nach den gleichen Regeln spielen, die gleichen Rechte haben.“

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Die Euronews-Debatte im Europäisch­en Parlament

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