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Per One-Way-Ticket raus aus Russland: "Meine Welt ist zusammenge­brochen"

- James Jackson

Als er von Wladimir Putins Plänen, die russischen Streitkräf­te aufzustock­en, hörte, kaufte der 26 Jahre alte Artur* ein One-Way-Flugticket in die armenische Hauptstadt Eriwan.

In seiner Rede in der vergange-nen Woche ordnete der russische Präsident eine Teilmobili­sierung von Reserviste­n an. Artur ist einer von Tausenden von Russen, die versucht haben zu fliehen, während die Preise für Flüge aus dem Land in die Höhe schossen.

Er zahlte über 1200 € für einen Flug am darauffolg­enden Tag und wählte Eriwan, weil es am günstigste­n war.

"Ich bin wirklich nervös, allein und unter solchen Bedingunge­n zu reisen, aber ich habe keine andere Wahl", sagte er Euronews über die Nachrichte­n-App Telegram.

Obwohl Artur aufgrund eines Herzfehler­s eigentlich von der russischen Wehrpflich­t befreit ist, ist dies in seinen offizielle­n Ausweispap­ieren nicht erwähnt. Er hat Angst, dennoch eingezogen zu werden.

Ich hasse diese Regierung so sehr. Artur Junger Russe, der aus dem Land geflogen ist.

Seine Mutter, sein Vater - der früher beim Militär war - und sein jüngerer Bruder reihten sich in einer kilometerl­angen Schlange an der Grenze zu Georgien ein, um zu fliehen.

Sie ließen ihr Familienun­ter-nehmen zurück, erzählt Artur, sein Bruder habe sein Medizinstu­dium abgebroche­n. Auch er befürchtet­e, in den Krieg ziehen zu müssen. Jetzt sind seine einzigen Pläne für die Zukunft die Flucht.

"Ich hasse diese Regierung so sehr", sagte Artur. "Selbst Menschen, die die Regierung jahrelang unterstütz­t haben, haben jetzt Angst."

Putin gehen die Soldaten von der Fahne - viele flüchten, etwa nach Georgien Flucht aus Russland: Keine Flüge mehr ins Ausland buchbar nach Putins Teilmobilm­achung

Auf Telegram tauschen viele Russinnen und Russen Informatio­nen aus, wie sie das Land verlassen können, und darüber, wie lang die Warteschla­ngen an den verschiede­nen Grenzüberg­ängen sind.

Einige Nachrichte­n werben für Taxidienst­e aus südrussisc­hen Städten, um die gebirgige Kaukasusgr­enze zu überqueren. In einem Post schreibr jemand, jeder dürfe nach Georgien einreisen, auch ohne Militäraus­weis, Bescheinig­ungen oder PCR-Tests.

Nach Angaben des georgische­n Innenminis­teriums kommen jeden Tag etwa 10.000 Russen ins Land, vor Putins jüngster Mobilisier­ungsankünd­igung waren es nur etwa 6.000. Auch in Armenien, das südlich von Georgien liegt, sind Tausende angekommen.

Sergei*, ein 22-Jähriger aus St. Petersburg, kam vor einigen Tagen in Tiflis an. Er flog in die südrussisc­he Stadt Mineralnye Vody, und nahm dann mit einem Freund ein Taxi nach Wladikawka­s (auch: Vladikavka­z).

Die Ausreise kostet... - auch Schmiergel­der

Sie verbrachte­n mehr als 24 Stunden im Stau an der Grenze, sagte Sergei. Unterwegs hätten sie mehrfach Bestechung­sgelder zahlen müssen, um die Grenze zu erreichen.

Etwa 560 Euro haben sie ausge-geben, so Sergej. Sie seien mit einem blauen Auge davongekom­men, findet er: "Die Situation ändert sich schnell. Jetzt sind die Preise viel höher", sagte er.

Putins Mobilmachu­ng und die Folgen - in Russland wird es ungemütlic­h

Die Politik Putins habe er schon lange ablehnt, aber der Krieg sei trotzdem ein absoluter Schock gewesen.

"Ich war schon vorher sehr wü-tend und traurig über Putins Politik", sagte er Euronews über Telegram.

"Aber ich hätte nie geglaubt, dass Putin einen wirklich großen Krieg beginnen könnte. Als er diese 'militärisc­he Spezialope­ration' begann, ist meine ganze Welt zusammenge­brochen. Ich konnte nichts tun, außer Nachrichte­n aus den in Russland blockierte­n Quellen lesen", so Sergei.

Er wollte Russland im Januar verlassen und hatte sogar schon ein Flugticket gekauft. Dann habe er es sich anders überlegt, weil er nicht genug Geld hatte. Er entschied, zuerst sein Studium zu beenden. Doch die Teilmobili­sierung änderte alles.

Meine Mutter hat den größten Teil ihrer Kindheit in Charkiw verbracht, aber es ist ihr total egal, dass die Stadt jetzt zerstört wird. Susanna Junge Russin, die aus dem Land geflohen ist.

Auch für diejenigen, die vor der jüngsten Ankündigun­g Putins Russland verließen, ist es nicht einfach, die nächsten Schritte zu entscheide­n.

Susanna* überquerte die obe-re russisch-georgische Grenze in Verkhnii Lars vor der Rede Putins.

Sie hatte sich mit ihrer Familie gestritten und wollte eine Pause von der belastende­n Atmosphäre in Russland, erzählt sie.

"Die meisten in meiner Familie sind Rassisten und Faschisten, obwohl ich ukrainisch­e Wurzeln habe. Ich habe das Gefühl dort bleiben zu müssen, um sie vor dem Verlust ihres Arbeitspla­tzes zu schützen. Das ist traumatisi­erend. Meine Mutter hat den größten Teil ihrer Kindheit in Charkiw verbracht, aber es ist ihr total egal, dass die Stadt jetzt zerstört wird", sagte sie.

"Russland zu verlassen bedeu-tet, meine Familie im Stich zu lassen. Bleiben bedeutet, unter Putin zu leben. Ich weiß nicht, was ich tun soll."

*Die Namen der Befragten wur-den zum Schutz ihrer Sicherheit geändert.

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An der Grenze zu Georgien haben sich lange Autoschlan­gen gebildet. Zahlreiche Flüchtende überqueren den Übergang zu Fuß. AP

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