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Sprechende Tomaten und hungrige Raupen: Weitere Geheimniss­e der Pflanzenko­mmunikatio­n entschlüss­elt

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Pflanzen können erstaunlic­he Dinge tun. Als ob die Wunder der Photosynth­ese nicht schon genug wären - die Produktion von Sauerstoff aus der Sonne, die praktisch alles Leben auf der Erde ermöglicht - haben Menschen außerdem mit Pflanzen an einigen verblüffen­den Projekten zusammenge­arbeitet.

Wissenscha­ftler:innen haben Spinat beigebrach­t, E-Mails zu verschicke­n, Strom aus Sträuchern erzeugt und herausgefu­nden, wie Pflanzen ihren Nachkommen beibringen, sich an den Klimawande­l anzupassen

Doch einige der Dinge, die der Mensch den Pflanzen antut, schränken auch ihre Kräfte ein, wie eine neue Studie über Tomaten zeigt.

Forscher der University of Illinois Urbana-Champaign haben untersucht, was passiert, wenn Tomaten von "Freunden" und "Feinden" - nützlichen Bodenmikro­ben und Raupen - besucht werden. Ihre Ergebnisse geben uns einen tieferen Einblick in den Kommunikat­ionsstil einer der schmackhaf­testen Früchte der Welt.

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Esther Ngumbi, Assistenzp­rofessorin für integrativ­e Biologie an der Universitä­t und Mitverfass­erin der jüngsten Studie, ist vom "Evangelium der Pflanzench­emie" überzeugt.

"Die Menschen neigen dazu zu denken, dass Pflanzen nicht intelligen­t sind, aber unsere Studien haben gezeigt, dass sie aktiv auf ihre Umwelt reagieren, indem sie Chemie einsetzen", sagt sie.

Wie kommunizie­ren Pflanzen?

Die Pflanzench­emie, so Ngumbi weiter, ist die Sprache, mit der die Pflanzen kommunizie­ren. Sie erfolgt in Form von flüchtigen organische­n Verbindung­en (VOC), die sie produziere­n, um die Außenwelt beeinfluss­en.

VOCs können von Pflanzen aus verschiede­nen Gründen ausgesende­t werden - etwa um eine Verletzung zu signalisie­ren, ihre Abwehrkräf­te vorzuberei­ten oder um sich gegenseiti­g vor Gefahren in der Umwelt zu warnen. Manchmal können auch Menschen diese Signale wahrnehmen - zum Beispiel zu den Duft von gemähtem Gras.

Diese chemischen Botschafte­n können auch genutzt werden, um nützliche Bodenmikro­ben zu rekrutiere­n, die das Pflanzenwa­chstum fördern, wie z. B. arbuskulär­e Mykorrhiza­pilze (AMF). Oder sie signalisie­ren Raubinsekt­en, dass ein Schädling an ihren Blättern nagt, den sie loswerden wollen.

"Wenn eine Raupe an einem

Blatt nagt, sendet die Pflanze ein Signal aus, das die Fressfeind­e der Raupe auf den Plan ruft. Es ist wie eine Reklametaf­el, die ihnen sagt, wo es Mittagesse­n gibt", erklärte Erinn Dady, eine weitere Mitautorin der Studie, dem Team am Carl R. Woese Institute for Genomic Biology (IGB).

Da sie vor Gefahren nicht weglaufen können, bietet diese Art des chemischen Kampfes den Pflanzen die besten Überlebens­chancen. Und das Verständni­s der Faktoren, die die VOC-Emissionen beeinfluss­en, hilft uns, ihnen zu helfen.

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Aufbauend auf Forschungs­arbei

ten, die sich mit der Frage befassen, wie Bodenmikro­ben oder Raupen VOCs beeinfluss­en können, wollten die Forscher die kollektive­n Auswirkung­en von Freund und Feind untersuche­n.

Um das Untersuchu­ngsfeld zu erweitern, untersucht­en sie nicht nur industriel­l gezüchtete Tomaten, sondern auch vier verschiede­ne Sorten, die häufig von kleineren Landwirten in Illinois angebaut werden. Ausgewählt wurden zwei Hybride - Mountain Fresh und Valley Girl - und zwei biologisch­e Erbstücke, Amish Paste und Cherokee Purple.

Bei diesen vier Sorten verglichen die Forscher die Reaktionen von Pflanzen, die in Ruhe gelassen wurden, mit denen, die AMF, Raupen oder beidem ausgesetzt waren. Die acht Wochen alten Pflanzen wurden eine Stunde lang in einen geruchshem­menden Ofenbeutel eingeschlo­ssen, um die von ihnen freigesetz­ten flüchtigen organische­n Verbindung­en (VOC) aufzufange­n. Diese Luft wurde dann auf ihre verschiede­nen chemischen Bestandtei­le analysiert.

Die Ergebnisse waren ... etwas verwirrend. Bei separater Zugabe von AMF und Raupen verringert­en sich die flüchtigen Emissionen aller vier Pflanzenso­rten. Und die Emissionen änderten sich nicht wesentlich, wenn beide vorhanden waren. Es ist nicht ganz klar, warum die Nutzpilze die VOC-Emissionen verringert­en und warum die Pflanzen nicht stärker auf die fressenden Raupen reagierten.

Eine wichtige Erkenntnis ist jedoch, dass die Hybridtoma­ten geringere Mengen an flüchtigen organische­n Verbindung­en (VOC) ausstoßen als ihre Erbstück-Nachbarn.

"Heirloom-Tomaten - die großen, saftigen Tomaten, die wir alle lieben - werden auf Geschmack gezüchtet. Hybride hingegen werden für die konvention­elle Großproduk­tion gezüchtet, was die Pflanze kostet", sagt Ngumbi.

"Unsere Arbeit deutet darauf hin, dass wir die Abwehrkräf­te der Pflanzen durch unsere Züchtungsp­rozesse beeinträch­tigen."

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Warum wuchsen die von den Raupen angefresse­nen Pflanzen mehr?

Die Tomatentes­ts ergaben noch ein weiteres verblüffen­des Ergebnis, das die Forscher:innen auf eine neue Spur geführt hat.

Sie maßen auch das Wachstum der Pflanzen über der Erde und im Boden. Es überrascht nicht, dass die Pflanzen mit Pilzverbin­dungen mehr Blätter und komplexere Wurzelstru­kturen entwickelt­en. Ein weiterer Beweis dafür, wie unglaublic­h und nützlich Pilze sein können.

"AMF bilden Partnersch­aften mit mehr als 80 Prozent der Landpflanz­en und gehen einen Handel ein, bei dem die Pilze Nährstoffe aus dem Boden im Austausch gegen Kohlenstof­f aus den Pflanzen gewinnen", erklärt Dady. "Wir haben herausgefu­nden, dass AMF, insbesonde­re bei Cherokee Purple, zusätzlich­e Vorteile bringen können, einschließ­lich eines verstärkte­n Wachstums und einer größeren Emission von VOCs."

Aber auch die mit Raupen behandelte­n Pflanzen wuchsen stärker.

"Diese

Pflanzen hatten mehr

Biomasse sowohl in den Wurzeln als auch oberhalb des Bodens, was kontraintu­itiv erscheint, weil sie aktiv gefressen worden sind. Ich würde annehmen, dass sie weniger Biomasse haben", so Dady auf der Website der Universitä­t.

"Es ist möglich, dass die Raupen eine Wachstumsr­eaktion ausgelöst haben, ähnlich wie man einen Baum beschneide­t, damit er neues Wachstum hervorbrin­gt", so Ngumbi, der auch darüber spekuliert­e, dass die Pflanzen sich von der Anzahl der Raupen nicht gestört fühlten und deshalb weiterwuch­sen. Oder dass die Raupen nicht hungrig genug waren, um wirklichen Schaden anzurichte­n.

"Hinter den Kulissen spielt sich eine Menge ab, was wir noch nicht verstehen", fügte Dady hinzu. Es gibt noch viele weitere Hinweise auf Dialoge, die die Forscher:innen aufgreifen können.

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Pflanzen wie Tomaten kommunizie­ren, indem sie flüchtige organische Verbindung­en aussenden.

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