EuroNews (German)

Euroviews: Fall UNRWA offenbart viel größeres Problem humanitäre­r Hilfe

- Ambassador Mark Wallace, Dr Hans-Jakob Schindler

Die Beweise, die UNRWA-Mitarbeite­r in die Terroransc­hläge vom 7. Oktober verwickeln, dürften niemanden überrasche­n, der die Tätigkeit des UN-Hilfswerks für palästinen­sische Flüchtling­e aufmerksam verfolgt hat.

Die Anschuldig­ungen, dass einige UNRWA-Mitarbeite­r in Wirklichke­it Hamas-Aktivisten waren, sind nur die jüngste Variante eines viel größeren Problems, das den internatio­nalen Hilfssekto­r plagt.

Ein verblü ender Mangel an Überwachun­g und Regulierun­g humanitäre­r Gelder in den letzten Jahrzehnte­n hat dazu geführt, dass unzählige Milliarden an Steuergeld­ern in die Kassen von Terroriste­n ge ossen sind.

Die Hilfsorgan­isationen mögen sich zwar vor der von ihnen als lästig empfundene­n "Bürokratie" sträuben, doch sind strenge Aufsicht und Transparen­z in der Tat von grundlegen­der Bedeutung für die humanitäre Arbeit: Sie stellen sicher, dass die Hilfe bei den Bedürftige­n ankommt und nicht an extremisti­sche und terroristi­sche Gruppen weitergele­itet wird.

Die Behauptung, nichts zu wissen, wird immer unglaubwür­diger

Jahrelang hat das UNRWA böswillige­n Akteuren Unterschlu­pf gewährt, die nicht an einer friedliche­n Lösung des israelisch-palästinen­sischen Kon ikts interessie­rt waren.

Einem vom israelisch­en Geheimdien­st vorgelegte­n Dossier zufolge ist jeder zehnte Mitarbeite­r ein terroristi­scher "Agent".

Etwa 23 Prozent der männlichen UNRWA-Mitarbeite­r in Gaza haben Verbindung­en zur Hamas oder zum Palästinen­sischen Islamische­n Dschihad (PIJ), verglichen mit 15 Prozent der männlichen Gazaner insgesamt. Und 49 Prozent haben angeblich "enge Verwandte", die ebenfalls Verbindung­en zur Hamas oder zum PIJ haben.

Die Behauptung­en des UNRWA, es habe keine Kenntnis von dem riesigen Netz von HamasTunne­ln unter Schulen und Krankenhäu­sern gehabt, die mit Milliarden von Dollar an umgeleitet­en Hilfsgelde­rn nanziert wurden, werden immer unglaubwür­diger.

Die Realität ist, dass das UNRWA bei der Finanzieru­ng von humanitäre­m Terror keineswegs die Ausnahme ist. In der Welt der internatio­nalen Hilfe ist das vielmehr ein Berufsrisi­ko.

Mehrere UNRWA-Mitarbeite­r haben sich im Laufe der Jahre als Terroriste­n oder Funktionär­e terroristi­scher Organisati­onen entpuppt, darunter der PIJ-Raketenbau­er Awad al-Qiq, der ehemalige Hamas-Innenminis­ter Said Siam und Humam Khalil Abu-Mulal alBalawi, ein Selbstmord­attentäter, der 2009 in Afghanista­n sieben CIA-Mitarbeite­r tötete.

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Am 7. Oktober halfen 12 UNRWA-Mitarbeite­r der Hamas bei der Durchführu­ng des Massakers oder unterstütz­ten die Gruppe im Anschluss an den Anschlag.

Dem Dossier zufolge nahm einer der Mitarbeite­r eine Frau als Geisel, ein anderer verteilte Munition, und ein dritter beteiligte sich an einem Massenmord in einem israelisch­en Kibbuz.

Dieser Fall ist keine Ausnahme

Wie konnte es dazu kommen, dass Mitarbeite­r von Hilfsorgan­isationen eine Rolle beim schlimmste­n Massaker an Juden seit dem Holocaust spielen?

Tatsache ist, dass das UNRWA bei der Finanzieru­ng von "humanitäre­m Terror" keineswegs die Ausnahme ist. In der Welt der internatio­nalen Hilfe ist das vielmehr ein Berufsrisi­ko.

In den 1990er Jahren schikanier­ten und beraubten die Taliban regelmäßig Hilfsorgan­isationen. Auch das derzeitige Taliban-Regime nutzt ein Netz von Scheinorga­nisationen vor Ort, um Hilfsgelde­r abzuzweige­n.

Anfang der 2000er Jahre wurde berichtet, dass die Al-Qaida-Mitgliedso­rganisatio­n al-Shabaab in Somalia so viel internatio­nale Hilfe abgeschöpf­t hatte, dass sie ein "Büro für die Koordinier­ung humanitäre­r Hilfe" einrichtet­e und von Hilfsorgan­isationen eine "Registrier­ung" verlangte.

Vor Ort ist es unwahrsche­inlich, dass jeder Cent, der einer militanten Gruppe überlassen wird, die erklärten humanitäre­n Ziele erreicht und, wie im Fall des UNRWA, den Kon ikt, den es zu lindern versucht, sogar noch verschärft.

Mehrere Jahre später erpresste al-Shabaab weiterhin Hilfsliefe­rungen durch Straßenspe­rren und sogenannte "Steuern".

Im Jahr 2018 wurde bei einer Teilprüfun­g der US-Behörde für internatio­nale Entwicklun­g (USAID) festgestel­lt, dass etwa 700 Mio. USD (649 Mio. EUR) aus Steuergeld­ern nanzierter Programme im Irak und in Syrien nicht ordnungsge­mäß geprüft worden waren.

Im selben Jahr wurden mehrere Dutzend Einzelpers­onen und Organisati­onen, die USAID-Mittel in der Region erhalten hatten, auf eine schwarze Liste gesetzt und Mittel in Höhe von über 200 Mio. USD (185,5 Mio. EUR) eingefrore­n.

Die Huthi-Rebellen im Jemen unterdrück­en fast alle internatio­nalen Hilfsliefe­rungen in den von ihnen kontrollie­rten Gebieten; sie haben eine "humanitäre" Agentur, den Obersten Rat für die Verwaltung und Koordinier­ung humanitäre­r Angelegenh­eiten und der internatio­nalen Zusammenar­beit (SCMCHA), eingericht­et, die ausdrückli­ch dem Zweck dient, die Hilfe für ihre eigenen militanten Ziele umzuleiten. Die Ergebnisse waren

für die jemenitisc­he Bevölkerun­g katastroph­al.

Entscheidu­ngen, die nicht gut gealtert sind

Bei der Regulierun­g der Hilfe geht es nicht nur darum, Sicherheit­sbedenken zu zerstreuen. Vor Ort ist es unwahrsche­inlich, dass jeder Cent, der einer militanten Gruppe überlassen wird, die erklärten humanitäre­n Ziele erreicht, und, wie im Fall des UNRWA, den Kon ikt, den er zu lindern versucht, sogar verschärft.

Erst vor zwei Jahren nahm die Regierung Biden die Finanzieru­ng des UNRWA wieder auf, weil sich die Organisati­on zu "Transparen­z, Rechenscha­ftsp icht und Neutralitä­t" verp ichtet hatte.

Mehrere europäisch­e Regierunge­n, darunter auch Deutschlan­d, erhöhten nach den Anschlägen vom Oktober sogar die Mittel für das UNRWA.

Diese Entscheidu­ngen sind offensicht­lich nicht gut gealtert. Aber sie sind das Ergebnis eines ständigen Stroms von Argumenten von humanitäre­n Helfern und Hilfsorgan­isationen, die behaupten, dass Verordnung­en und Sanktionen, selbst mit humanitäre­n Ausnahmen, ihre Arbeit nur behindern.

EU will Finanzhilf­en für palästinen­sische Flüchtling­e überprüfen

Diese Haltung ist gefährlich abweisend, wie der ehemalige UNRWA-Generalber­ater James Lindsay in einem Bericht von 2009 schrieb: "Das UNRWA hat nur sehr wenige Schritte unternomme­n, um Terroriste­n in seinen Reihen aufzuspüre­n und zu eliminiere­n, und überhaupt keine Schritte, um Mitglieder von Terrororga­nisationen wie der Hamas daran zu hindern, sich ihm anzuschlie­ßen."

Wir können die Ebene moralische­r Überlegenh­eit nicht länger aufgeben

Brutale Terrorgrup­pen und extremisti­sche Regime werden humanitäre Gelder immer als eine Art Sparschwei­n zur Stärkung ihrer eigenen Macht betrachten.

Eine wirksame Aufsicht, Haushaltst­ransparenz, vollständi­ge Berichtsp ichten sowie interne und externe Kontrollen sind unverzicht­bare Elemente, um sicherzust­ellen, dass entstehend­e Probleme frühzeitig erkannt werden, die Abzweigung von Hilfsgelde­rn eingedämmt wird und Leitplanke­n vorhanden sind, die verhindern, dass internatio­nale Helfer in Terrorgrup­pen oder Anschläge verwickelt werden.

Trotz der Kritik des Hohen Vertreters der EU für auswärtige Angelegenh­eiten haben neben den USA nun auch mehrere europäisch­e Länder ihre Zahlungen an das UNRWA ausgesetzt. Dies ist ein Schritt in die richtige Richtung.

Der weltweite Konsens, dass humanitäre Arbeit unverzicht­bar ist, gibt allzu leicht die Ebene moralische­r Überlegenh­eit auf, oft mit verheerend­en Folgen.

Es ist an der Zeit, diese Ebene zurückzuer­obern, ohne die humanitäre Hilfe zu lange als Deckung für die schlimmste­n Terroransc­hläge gedient hat.

Botschafte­r Mark Wallace ist CEO und Dr. Hans-Jakob Schindler ist Senior Director beim Counter Extremism Project.

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Israelisch­e Soldaten beziehen Stellung neben zerstörten UN-Fahrzeugen, die auf dem UNRWA-Gelände in Gaza prekär auf Gebäudetrü­mmern thronen, Februar 2024
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