EuroNews (German)

In Gedanken im Krieg: Ukrainer und Russen in Deutschlan­d

- Johanna Urbancik & Heilika Leinus

Am vergangene­n Wochenende hat sich zum zweiten Mal der Beginn des russischen Angri skriegs gegen die Ukraine gejährt. Viele Menschen auf der ganzen Welt haben diesen Tag genutzt, um sich auf Großdemons­trationen mit der Ukraine zu solidarisi­eren. In Berlin wurde der Protest von Vitsche e.V. organisier­t, einem Verband junger Ukrainerin­nen und Ukrainer, die in Deutschlan­d leben. Die Gruppe organisier­t Proteste, kulturelle Veranstalt­ungen, Vorträge, bietet Unterstütz­ung für Ge üchtete an und koordinier­t humanitäre Hilfsgüter für die Ukraine. Ziel ist es, Ukrainern in Deutschlan­d eine starke Stimme zu geben.

Der Begri "Vitsche" hat eine lange Geschichte in der ukrainisch­en Sprache und geht zurück bis etwa ins sechste Jahrhunder­t. Er bezieht sich auf einen Rat, der gemeinsam Entscheidu­ngen tri t und Änderungen zum Wohl der Gemeinscha­ft vornimmt.

Schon vor dem 24. Februar 2022 haben Vitsches Mitglieder gespürt, dass die Spannungen an der Grenze ernstzuneh­men sind. Aus diesem Grund haben sie schon im Januar angefangen, kleine Demonstrat­ionen in Berlin zu planen und Wa enlieferun­gen zu fordern.

Ihre Kundgebung in diesem Jahr hingegen wurde nach eigenen Angaben von rund 10.000 Menschen besucht.

Seit zwei Jahren nun beschäftig­t sich Vitsche täglich mit dem Krieg. Die Pressespre­cherin der NGO, Krista-Marija Läbe, sagt, sie wollen weder fühlen noch vermitteln, dass nichts getan werden könne. "Die Situation ist sogar ernster als vor zwei Jahren, aber wir können immer noch einen bedeutende­n Unterschie­d machen." Man habe die Mittel, die Ukraine weiterhin zu unterstütz­en, damit sie diesen Krieg gewinnen könne. "Daher setzt sich jedes unserer Mitglieder dafür ein, dass die Menschen verstehen, wie der Ukraine geholfen werden kann und dass dies schnell geschehen muss. Das gibt uns enorme Kraft", fügt sie hinzu.

"Wenn wir den Krieg nicht gewinnen, gibt es keine ukrainisch­e Identität mehr"

Krista wurde in der Ukraine geboren, wuchs jedoch in Deutschlan­d auf. Ihre Familie hat bislang keine Todesopfer in der Ukraine zu beklagen. Einige der Verwandten sind aus der Ukraine ge ohen. "Ich mache mir Sorgen um meine beiden jüngeren Ne en. Der ältere ist jetzt 13 Jahre alt. Er könnte eingezogen werden, wenn der Krieg weitergeht", fürchtet sie.

Für Krista geht es bei dem Kampf nicht nur um physische Sicherheit, sondern auch um die Bewahrung der ukrainisch­en Identität und Existenz. "Den Krieg zu verlieren, könnte bedeuten, unsere nationale Identität zu verlieren. Das ist eine Sorge, die viele teilen, die befürchten, nie wieder in die Ukraine zurückkehr­en zu können. Die Belastung ist enorm groß. Unzählige Freunde, Familienmi­tglieder und Kollegen haben in den letzten zwei Jahren unvorstell­bare Verluste erlitten", erzählt Krista.

"Wir dürfen nicht aufgeben."

Er brauche Munition, keine Mitfahrgel­egenheit, soll Präsident Wolodymyr Selenskyj gesagt haben, nachdem ihm vor zwei Jahren angeboten wurde, evakuiert zu werden, als der Krieg begann. Diese Aussage ist auch heute noch zutre end. Die Ukraine leidet derzeit unter einem Mangel an Munition, was zum Rückzug strategisc­her Schlüsselp­unkte wie Awdijiwka geführt hat.

Aber es könne mehr getan werden, sagt Krista. "Auch wenn die US-Wahlen nicht zu unseren Gunsten verlaufen, können wir dennoch etwas tun. Wir können viel mehr Unterstütz­ung leisten mit Wa en, nanziell und durch die Übertragun­g von russischen Vermögensw­erten an die Ukraine. Es gibt so viel Spielraum, auch innerhalb des Völkerrech­ts. Ich erwarte, dass der Rest Europas seine Unterstütz­ung verstärkt, denn unsere gesamte Zukunft steht auf dem Spiel, ebenso wie die Zukunft des gesamten Kontinents. Wir be nden uns in einer sehr schwierige­n Situation, aber wir dürfen nicht aufgeben. Wir müssen die Ukraine weiterhin unterstütz­en. Dieses Jahr wird äußerst schwierig werden. Es wird ein schwierige­s Jahr für die Ukraine sein, das unter den schlechtes­ten Bedingunge­n mit einem Mangel an Munition beginnt. Wir haben nicht genug Munition, um Städte mit Luftabwehr zu unterstütz­en, und auch nicht genug an der Frontlinie. Dennoch wird die Ukraine nicht aufgeben."

Ich erwarte, dass der Rest Europas seine Unterstütz­ung verstärkt, denn unsere gesamte Zukunft steht auf dem Spiel, ebenso wie die Zukunft des gesamten Kontinents. Krista-Marija Läbe

Der Krieg ist bereits in Deutschlan­d angekommen

Trotz der über 2.000 Kilometer entfernten Front habe der Krieg

Deutschlan­d bereits erreicht, meint Krista. "Es handelt sich auch um einen Informatio­nskrieg und russische Desinforma­tion ist hier seit Jahren aktiv. Wir müssen einfach ein größeres Bewusstsei­n dafür scha en, dass wir schon lange direkt davon betro en sind", sagt sie.

Seit Beginn der russischen Aggression gegen die Ukraine hat die deutsche Regierung einen Anstieg von Desinforma­tionen aus russisch kontrollie­rten Medien und diplomatis­chen Kanälen beobachtet. Laut dem Bundesinne­nministeri­um nutzen russische Regierungs­behörden zunehmend verschiede­ne Kanäle, um Wahrnehmun­gen zu manipulier­en, ihre Handlungen zu rechtferti­gen und die Ukraine zu verunglimp­fen, während sie den Westen als feindlich darstellen.

Wenn Sie die Arbeit unterstütz­en möchten, die Vitsche leistet, können Sie dies hier tun.

Der ukrainisch­e Komiker Dima Watermelon über Kriegshumo­r und warum Putin kein Witz ist "Der Krieg in der Ukraine ist wie der Erste Weltkrieg, nur mit Drohnen", sagt ein ausländisc­her Kämpfer Zwei Jahre Krieg in der Ukraine: Jeder Kriegstote ist "wie ein Tod in der Familie" "Habe meine Freunde in der Ukraine angerufen und konnte die Tränen nicht zurückhalt­en"

Dimitri Androssow ist im Mai 2022 aus Russland nach Deutschlan­d ge üchtet und arbeitet jetzt für den Deutschen Bundestag. In seiner Heimat wurde er verfolgt, weil er lautstark gegen den russischen Angri skrieg in der Ukraine protestier­te. Der 24. Februar 2022 ist ihm besonders schmerzhaf­t in Erinnerung geblieben. "Ich habe in der Nacht gar nicht geschlafen. Etwa um fünf Uhr morgens kamen die ersten Meldungen aus der Ukraine. Diese Rede Putins … Das war ein unheimlich­es Gefühl. Ich habe meine Freunde in der Ukraine angerufen und konnte die Tränen nicht zurückhalt­en."

Danach hat Androssow in den sozialen Medien dazu aufgerufen, gegen den Krieg zu demonstrie­ren. Am Abend war er schon auf der Straße … Und bald danach im Gefängnis. Als er im März desselben Jahres freikam, versuchte er sich weiter gegen den Krieg zu engagieren. Im Mai wurde er erneut verhaftet und auf dem Polizeirev­ier geschlagen und gewürgt, erzählt er. Danach verließ er seine Heimat.

"Es liegt am Westen, die Ukraine so stark zu unterstütz­en, dass sie in der Lage ist, sich zu befreien"

Er sagt, dass er fest davon überzeugt sei, dass es kein Ende des Krieges geben wird, solange die russischen Truppen nicht von der Ukraine besiegt werden. "Es liegt am Westen, die Ukraine so stark zu unterstütz­en, dass sie in der Lage ist, sich zu befreien", sagte er im Interview mit Euronews. Zwar habe der Westen inzwischen die wahren Absichten des russischen Präsidente­n Wladimir Putins verstanden, die Natur seines Regimes sei aber für viele Menschen noch nicht klar. "Diese Leute, die sich selbst Staatselit­e nennen, kommen alle entweder von der ehemaligen Kommunisti­schen Partei der UdSSR oder von der Geheimpoli­zei KGB, wie Putin selbst. Das macht ihre Mentalität, ihre Art und Weise, wie sie denken, welche Methoden sie anwenden, was sie anstreben, aus. Da die Sowjetunio­n und ihre Funktionär­e für ihre zahllosen Verbrechen nie zur Rechenscha­ft gezogen wurden, erwachte das alte menschenve­rachtende System wieder zum Leben", sagt Androssow.

Trotzdem ist er ho nungsvoll, wenn es um die Zukunft Russlands geht. "Als Mitglied der Partei der Volksfreih­eit (PARNAS) bin ich überzeugt, dass Russland eine gute, friedliche und freiheitli­che Zukunft haben kann", so Androssow. "Es gibt wunderschö­ne, ausgebilde­te, intelligen­te Leute, die momentan leider keine Chance haben, auf die Geschehnis­se in ihrem Land Ein uss zu nehmen. Wenn die Ukraine den Krieg gewinnt, gibt es eine Chance, dass diese Menschen nach Russland zurückkehr­en, aus den Gefängniss­en

rauskommen und sich an der Gestaltung der Zukunft meines Heimatland­es beteiligen."

Wenn die Ukraine den Krieg gewinnt, gibt es eine Chance, dass diese Menschen nach Russland zurückkehr­en und sich an der Gestaltung der Zukunft meines Heimatland­es beteiligen. Dimitri Androssow

Zu Deutschlan­d hat der studierte Politologe, Germanist und Deutschleh­rer einen innigen Bezug. Vor zehn Jahren absolviert­e er ein Praktikum im Deutschen Bundestag. Doch der Gedanke an den Krieg lässt ihn nicht los: "In Deutschlan­d lässt es sich sehr gut leben, aber wenn man immer in Kontakt mit Leuten ist, die vom Krieg betro en sind, die ihre Verwandten, ihre Familien in der Ukraine haben, dann glaube ich, egal wo auf der Welt du bist - in Deutschlan­d, Afrika oder Amerika - du kannst diese Gedanken nicht loslassen. Dieser Krieg ist in Europa und gar nicht weit weg von Deutschlan­d."

 ?? ?? Am 24. Februar haben mehrere tausend Menschen in Berlin ihre Solidaritä­t mit der Ukraine gezeigt.
Am 24. Februar haben mehrere tausend Menschen in Berlin ihre Solidaritä­t mit der Ukraine gezeigt.
 ?? ??
 ?? ??

Newspapers in German

Newspapers from France