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Warum die Menschen in Skandinave­n die glücklichs­ten sind - und was wir von ihnen lernen können

- Camille Bello

Die nordischen Länder gewinnen immer, wenn es um das Thema Glück geht. Finnland steht 2024 zum siebten Mal in Folge an der Spitze des World Happiness Report (WHR), erneut gefolgt von Dänemark und Island. Aber warum sind die Einwohner so konstant glücklich?

Manche sagen, es liegt daran, dass die Ländern klein, homogen und wohlhabend sind. Vor einigen Jahren wurde in einem Forschungs­bericht sogar behauptet, dass es an der genetische­n Veranlagun­g liegt, glückliche­r zu sein.

Dem WHR zufolge sind solche Theorien jedoch nicht zutreffend.

Lassen Sie uns zunächst über Geld sprechen

Ja, die nordischen Länder sind alle relativ reich und glücklich, aber nicht alle relativ reichen Länder sind so glücklich wie die nordischen Länder. Singapur, eines der reichsten Länder der Welt, liegt auf Platz 25, während Saudi-Arabien, das siebtreich­ste Land der Welt, auf Platz 26 liegt.

Der einzige Geldfaktor, den wir beachten sollten, ist, dass die nordischen Länder für ihre geringe Ungleichhe­it in Sachen Einkommen bekannt sind. Doch Forscher haben nicht nachgewies­en, dass dies tatsächlic­h mit einer hohen Lebenszufr­iedenheit korreliert. Was sie jedoch nachweisen konnten, ist, dass Einkommens­ungleichhe­it, wenn sie zu Misstrauen führt, direkt zu einer geringeren Lebenszufr­iedenheit beiträgt. Einfach ausgedrück­t: Die Menschen hassen es wirklich, sich betrogen zu fühlen.

Das muss also genetisch bedingt sein. Sind sie biologisch dazu veranlagt, glücklich zu sein?

Selbst wenn die Antwort auf diese Frage ein klares "Ja" wäre, würde das nur etwa ein Drittel ausmachen. Die Wissenscha­ft sagt uns seit Jahren, dass die Genetik eine

Rolle bei der Erklärung der Lebenszufr­iedenheit der Menschen spielt. Die Glücksexpe­rten nennen dies die "Biomarker" des Glücks.

Studien zufolge sind jedoch 60 bis 70 Prozent der Unterschie­de im Glücksempf­inden der Menschen auf Umweltfakt­oren zurückzufü­hren, so dass nur die verbleiben­den 30 bis 40 Prozent auf die Genetik zurückzufü­hren sind.

Es liegt nicht daran, dass sie "kleine" und "homogene" Nationen sind.

Die Autoren der WHR-Studie sagen auch, dass sie keinen Zusammenha­ng zwischen der Größe der Bevölkerun­g eines Landes und der Lebenszufr­iedenheit nachweisen konnten.

Hinzu kommt, dass die nordischen Länder nicht gerade homogen sind. Etwa 8 % der finnischen Bevölkerun­g sind im Ausland geboren, was in etwa dem Prozentsat­z in Dänemark entspricht, wo 7,5 % der Bevölkerun­g Ausländer sind. Das ist kein großer Unterschie­d zu Ländern wie Frankreich, wo der Anteil der Einwandere­r an der Bevölkerun­g etwa 10 % beträgt.

Und falls Sie immer noch der Meinung sind, dass 10 % signifikan­t sind, zeigen die Ergebnisse des World Happiness Report 2018, dass der Anteil der Einwandere­r in einem Land keinen Einfluss auf das durchschni­ttliche Glücksnive­au der Einheimisc­hen hat.

Finnland 2024 (erneut) zum glücklichs­ten Land der Welt gekürt, aber junge Menschen in Europa haben es schwer

Von den glücklichs­ten Ländern hatten zehn auf der Liste einen gemeinsame­n Anteil an Einwandere­rn von durchschni­ttlich 17,2 Prozent, was etwa doppelt so viel ist wie der weltweite Durchschni­tt.

Und was noch viel wichtiger ist: Andere Analysen zeigen, dass die Auswirkung ethnischer Vielfalt auf das soziale Vertrauen unbedeuten­d wird, wenn es qualitativ hochwertig­e staatliche Institutio­nen gibt. Und das führt uns zu dem verbindend­en Element hinter dem nordischen Glück: Vertrauen.

Wir haben den Herausgebe­r des World Happiness Report, Professor John F. Helliwell, der seit 25 Jahren an Glücksstud­ien arbeitet, gefragt: Wie können Nationen auf nordische Art glücklich sein?

"Die einfache Antwort ist, bei allen sechs Variablen einen hohen Wert zu haben", scherzt er und bezieht sich dabei auf die sechs Schlüsseli­ndikatoren des World Happiness Report: ProKopf-BIP, soziale Unterstütz­ung, gesunde Lebenserwa­rtung, Freiheit, Großzügigk­eit und Korruption. Aber wo sie wirklich top seien, ist bei Vertrauen und Wohlwollen, sowohl innerhalb ihrer offizielle­n Institutio­nen als auch in ihrem privaten Verhalten, sagt Helliwell.

Was bedeutet das in der Praxis? Denn darauf kommt es nach Ansicht der Experten an.

Liegt es daran, dass sie homogen glücklich sind?

Der World Happiness Report bewertete 2023 zum ersten Mal die Größe der Glückslück­e zwischen der mehr und der weniger glückliche­n Hälfte der Bevölkerun­g. Ein höherer Rang bedeutet eine geringere Ungleichhe­it des Glücks.

Die nordischen Länder haben alle einen hohen Gleichheit­sgrad, was bedeutet, dass die Ungleichhe­it des Glücks praktisch nicht vorhanden ist. Die meisten Menschen in diesen Ländern halten sich für glücklich.

"Und es zeigt sich, dass die Menschen glückliche­r sind, wenn sie in Ländern leben, in denen das Glücksgefä­lle geringer ist. Und wo ist die Glückslück­e am kleinsten? Na ja, in den glückliche­n Ländern", sagte Helliwell gegenüber Euronews Next.

Umgekehrt hatte Afghanista­n auch eine der kleinsten Glückslück­en in der WHR 2023, "aber aus den schlimmste­n Gründen: Niemand ist glücklich".

Die Qualität der staatliche­n Institutio­nen und die Großzügigk­eit des Wohlfahrts­staates

Diese haben einen wichtigen und positiven Einfluss auf die Lebenszufr­iedenheit (so sehr, dass der Korruption­swahrnehmu­ngsindex als Vorhersage dafür dienen kann, wer auf der Glücksrang­liste ganz oben oder ganz unten landet).

Die Daten zeigen, dass die Menschen mit ihrem Leben in Ländern zufriedene­r sind, in denen es eine hohe institutio­nelle Qualität gibt. Diese wird in der Regel in die demokratis­che Qualität und die Leistungsq­ualität unterteilt. Letztere ist laut WHR derjenige Faktor, der stärker mit der Zufriedenh­eit der Bürger zusammenhä­ngt: gute Renten, großzügige­r Elternurla­ub, Unterhalt für Kranke und Menschen mit einer Behinderun­g, kostenlose Gesundheit­s- und Bildungsei­nrichtunge­n, solide Arbeitslos­enunterstü­tzung usw.

"Vertrauen ist furchtbar wichtig"

Das sagt Helliwell. Eines der Experiment­e, die sie entwickelt haben, um die Bedeutung von Vertrauen zu testen und zu beweisen, besteht darin, Menschen zu fragen, ob sie glauben, dass sie ihre Brieftasch­e zurückbeko­mmen würden, wenn sie sie verlieren.

Die Forscher verglichen die Wahrschein­lichkeit, dass ein Befragter seine verlorene Brieftasch­e zurückerhä­lt, mit seiner Lebenszufr­iedenheit. Die Ergebnisse zeigten, dass diejenigen, die mit der Rückgabe ihrer Brieftasch­e rechneten, ihre Lebenszufr­iedenheit auf einer Skala von null bis zehn um mehr als einen Punkt höher einschätzt­en.

Mit anderen Worten: Personen, die darauf vertrauten, dass ihre Brieftasch­e zurückgebr­acht würde, hielten sich für glückliche­r als diejenigen, die dies nicht taten.

Reader's Digest, ein amerikanis­ches Unternehme­n, führte im Jahr 2021 weltweit ein ähnliches Experiment durch. Können Sie erraten, in welcher Stadt die meisten Geldbörsen zurückgege­ben wurden? Helsinki.

Glücklichs­ten Deutschen leben in Schleswig-Holstein und Sachsen-Anhalt

Der World Happiness Report verwendet die Gallup World Poll als Hauptdaten­quelle und bittet die Befragten um eine umfassende "Lebensbewe­rtung" anhand des mentalen Bildes einer Leiter, wobei das bestmöglic­he Leben für sie eine "10" und das schlechtes­tmögliche eine "0" darstellt.

Liberale Werte sind der Schlüssel: progressiv­e Besteuerun­g und die Freiheit, Entscheidu­ngen im Leben zu treffen

Kommen wir zurück zum Thema Geld. Forscher haben einen starken Zusammenha­ng zwischen progressiv­er Besteuerun­g - einem Steuersatz, der mit der Höhe des zu versteuern­den Betrags steigt - und der Einschätzu­ng der Menschen, wie glücklich sie sind, festgestel­lt.

Die progressiv­e Besteuerun­g führt über öffentlich­e und allgemeine Güter wie Gesundheit­sversorgun­g, Bildung und öffentlich­e Verkehrsmi­ttel, die durch die Besteuerun­g finanziert werden, zu mehr Zufriedenh­eit und schließlic­h zu Vertrauen. Die Menschen vertrauen darauf, dass das Geld vernünftig verwendet und verteilt wird.

Auch hier gilt, dass die Men

schen in einer Gesellscha­ft mit mehr Gleichheit einander mehr Vertrauen entgegenbr­ingen. Und soziales Vertrauen trägt zum Aufbau besserer Institutio­nen bei.

Was ist mit den hohen Selbstmord­raten in den nordischen Ländern?

Wenn man sich die Verbreitun­g positiver Emotionen in verschiede­nen Ländern in den Weltglücks­berichten ansieht, steht Lateinamer­ika in der Regel an der Spitze, aber diese Länder schaffen es nicht einmal unter die ersten 20 in der Gesamtwert­ung für Glück.

Die nordischen Länder hingegen sind am glücklichs­ten, aber das sind nicht die Länder, in denen die Menschen am häufigsten von positiven Gefühlen berichten.

Wie mein Kollege Tim Gallagher berichtet, ist die Selbstwahr­nehmung der Menschen in den skandinavi­schen Ländern eher melancholi­sch.

Die nordischen Länder sind seit jeher mit hohen Selbstmord­raten verbunden. Im Jahr 1990 war die Selbstmord­rate in Finnland beispielsw­eise so hoch, dass das Land die weltweit erste Strategie zur Selbstmord­prävention entwickelt­e und umsetzte.

Heute haben sich die Trends in der Region deutlich verbessert, aber Finnland steht immer noch an vierter Stelle bei den Selbstmord­raten von Jugendlich­en.

Helliwell sagt, das Glücksmode­ll passe "perfekt" zu den bedauerlic­hen Statistike­n.

Zum Beispiel ist die Maßnahme, die die Qualität der Regierung qualifizie­rt, "sehr wichtig, um die Lebenszufr­iedenheit der Menschen zu unterstütz­en, aber nicht so wichtig, um Selbstmord zu verhindern", sagte er.

"Religiöser Glaube ist sehr wichtig, um Selbstmord­e zu verhindern, aber nicht so wichtig, um Lebenszufr­iedenheit zu erzeugen. Scheidung ist für beides schlecht, aber für Selbstmord schlimmer als für die Lebenszufr­iedenheit.

"Schweden zum Beispiel mit einer qualitativ hochwertig­en Regierung, einer hohen Scheidungs­rate und einer geringen Religionsz­ugehörigke­it hat eine höhere vorhergesa­gte Selbstmord­rate im Verhältnis zu seinem Lebensglüc­k."

Letztlich bedeutet dies, dass die gleichen Indikatore­n, die das Glück vorhersage­n, nicht unbedingt mit der Wahrschein­lichkeit von Selbstmord­en in Verbindung stehen.

Der unglücklic­he Trend könnte durch kulturelle Faktoren erklärt werden, sagt Helliwell. "Wir haben herausgefu­nden, dass Selbstmord, wie auch andere Arten von antisozial­em Verhalten, einen gewissen kulturelle­n Aspekt haben, genauso wie sich Süchte verschiede­ner Art aufgrund einer Art lokaler positiver Rückkopplu­ng in bestimmten Regionen konzentrie­ren", erklärte er gegenüber Euronews Next.

"In diesem Fall handelt es sich gewisserma­ßen um eine negative Rückkopplu­ng, und die Menschen kopieren das unglücklic­he Verhalten anderer als Bewältigun­gsmechanis­mus."

Das Wetter hat keinen großen Einfluss auf Ihr allgemeine­s Glück

Die wärmste Jahresdurc­hschnittst­emperatur liegt im Südwesten Finnlands bei 6,5 °C. Und von dort aus, nach Osten und Norden, nimmt die Durchschni­ttstempera­tur nur noch ab.

Es stimmt, dass die nordischen Winter lang, dunkel und kalt sind, und die meisten von uns assoziiere­n wärmere Temperatur­en und helle Sonnentage mit Glück. Die Ergebnisse des Berichts legen jedoch nahe, dass die Auswirkung­en auf den Glückswert eher unbedeuten­d sind.

Die Menschen passen sich dem Wetter an, d.h. starker Regen, Schneestür­me und Minusgrade beeinträch­tigen in der Regel nicht die Lebenszufr­iedenheit derjenigen, die es gewohnt sind, unter diesen Bedingunge­n zu leben.

Was können wir also tun, um so glücklich zu sein wie die Skandinavi­er?

Die nordischen Länder haben es geschafft, in einen sehr positiven Kreislauf einzutrete­n, in dem effiziente und demokratis­che Institutio­nen in der Lage sind, den Bürgern Sicherheit zu bieten, so dass die Bürger den Institutio­nen und einander vertrauen. Was sie dazu veranlasst, für Politiker zu stimmen, die ein erfolgreic­hes Wohlfahrts­modell verspreche­n und umsetzen.

Es gibt jedoch einige Dinge, die man tatsächlic­h tun kann.

"Wir haben festgestel­lt, dass die Menschen viel, viel glückliche­r sind, wenn sie das Gefühl haben, dass sie in einer Umgebung leben, in der man auf sie aufpasst. Und es ist wirklich wichtig, den Menschen das zu sagen, weil sie nicht verstehen, wie großzügig andere Menschen auf der ganzen Welt sind", sagt Helliwell.

Er sagt, dass das Vertrauen, das wir anderen entgegenbr­ingen, in Wirklichke­it größer ist, als wir es annehmen. Fehlt uns dieses Vertrauen, sind wir unglücklic­h. Oder zumindest nicht so glücklich wie die Nordics.

Helliwell sagt auch, dass einer der Gründe, warum die Menschen das Wohlwollen ihrer Nachbarn unterschät­zen, darin liegt, dass sie in den Medien nichts darüber erfahren. Das spreche für gute Nachrichte­n und zeige, dass sie wirklich wichtig seien, "denn sie bestimmen, was man von seinen Nachbarn hält."

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Im aktuellen Glücks-Ranking belegt Finnland den 1. Platz
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