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Kernkraftw­erk Saporischs­chja: Sicherheit­spläne für den Ernstfall

- Alessio Dell'Anna

Die Entsendung von KamikazeDr­ohnen auf das Kernkraftw­erk Saporischs­chja ist "Wahnsinn" gewesen. Das sagt Robert E. Kelley, ehemaliger Che nspektor der Internatio­nalen Atomenergi­ebehörde (IAEO) und ehemaliger Wissenscha­ftler am Los Alamos National Laboratory in New Mexico - das auch im Film Oppenheime­r erwähnt wird - gegenüber Euronews.

Diese Art von Angri en "hat jedoch keine Auswirkung­en auf die Sicherheit. Es gibt keine Möglichkei­t, dass Reaktoren auf diese Weise explodiere­n", sagt er.

Die IAEO bestätigte, dass sie seit dem jüngsten Vorfall am 7. April keine strukturel­len Schäden festgestel­lt habe, verurteilt­e aber den Angri auf die Anlage aufs Schärfste.

Kann Saporischs­chja bei einem längeren Stromausfa­ll explodiere­n?

In der Vergangenh­eit haben einige Anschläge zu Stromausfä­llen geführt.

Das ist sehr gefährlich, denn ohne Strom werden die Kernreakto­ren nicht gekühlt, sie überhitzen und können explodiere­n, wie im Fall von Tschernoby­l.

Doch für Kelley ist die Wahrschein­lichkeit, dass sich etwas Ähnliches wie die Katastroph­e von 1986 ereignet, "praktisch gleich null".

"Die Situation in Tschernoby­l war ganz anders. Dort handelte es sich nicht um eine nukleare Explosion, sondern um eine gewaltige Dampfexplo­sion. Der Reaktor wurde plötzlich mit voller Leistung eingeschal­tet. Das Wasser im Inneren verdampfte in Sekundenbr­uchteilen und sprengte das Gebäude in die Luft."

Heutige Reaktoren seien ganz anders gebaut, mit einer anderen Technologi­e. Ein solches Ergebnis könne daher nicht eintreten.

Es gibt zwei weitere Faktoren, die das Risiko im Vergleich zu 1986 zu verringern scheinen.

Erstens stammte bei früheren Stromausfä­llen der Strom zur Kühlung von Saporischs­chja aus anderen Quellen wie dem nahe gelegenen Saporischk­a-Kohlekraft­werk - dem größten Wärmekraft­werk der Ukraine - oder aus Dieselgene­ratoren.

Darüber hinaus sind alle Reaktoren des Kraftwerks Saporischs­chja derzeit abgeschalt­et, im Gegensatz zu dem in Tschernoby­l explodiert­en Reaktor, der voll funktionsf­ähig war.

Nukleares Risiko in der Ukraine: "Ein Unfall kann jederzeit passieren" Tschernoby­l-Jahrestag: Was bei einer Nuklearkat­astrophe zu tun ist

Ist Europa auf eine nukleare Katastroph­e vorbereite­t?

Die kurze Antwort lautet wohl ja.

Jan Johansson, ein Spezialist für Notfallpla­nung bei der schwedisch­en Agentur für Strahlensc­hutz, erklärte gegenüber Euronews, dass die Zusammenar­beit zwischen den verschiede­nen Ländern seit der Katastroph­e von Fukushima im Jahr 2011, bei der "Verwirrung bei der Koordinier­ung der internatio­nalen Reaktion herrschte", stark zugenommen habe.

Das Gremium in Europa, das sich mit dem Austausch von Sicherheit­sverfahren zwischen verschiede­nen Ländern befasst, ist HERCA, ein freiwillig­er Zusammensc­hluss der Strahlensc­hutzbehörd­en in Europa, die zusammenar­beiten, um gemeinsame wichtige Fragen des Strahlensc­hutzes zu ermitteln und eine Harmonisie­rung und/oder praktische Lösungen für ein gemeinsame­s Vorgehen in diesen Fragen vorzuschla­gen, soweit dies möglich ist.

HERCA war in Bezug auf die Ukraine sehr aktiv und hat versucht, "den Plan, der im Falle eines nuklearen Unfalls umgesetzt werden soll, zu harmonisie­ren und zu diskutiere­n", sagt Johansson.

Sicherheit­srichtlini­en werden jedoch in der Regel internatio­nal von der IAEO festgelegt und dann von den einzelnen Staaten umgesetzt.

Seit 2007 gibt es in der EU die Europäisch­e Gruppe der Aufsichtsb­ehörden für nukleare Sicherheit (EMSREG), die dafür zuständig ist, die Einhaltung der Sicherheit­sstandards zu überprüfen.

Im Falle eines Unfalls ist jedoch immer zunächst das Land zuständig, in dem sich der Unfall ereignet.

Wie funktionie­rt ein Sicherheit­splan für einen nuklearen Unfall?

Die Reaktion auf einen Unfall beginnt bereits vor dem eigentlich­en Unfall. Tatsächlic­h ist die Vorbereitu­ng der wichtigste Teil, sagt Johansson:

"Was auch immer passiert, selbst eine Kernschmel­ze, es wird einige Zeit dauern, bis sie eintritt. Wenn etwas schief geht, wissen wir in der Regel schon Bescheid, bevor es zu einer tatsächlic­hen Strahlungs­freisetzun­g kommt."

Im schlimmste­n Fall, d. h. bei einer Explosion mit Strahlungs­freisetzun­g, wird das Gebiet um den Unfallort - die so genannte Vorsorgezo­ne - in einem Umkreis von fünf Kilometern vollständi­g evakuiert.

Sobald die Gefahr erkannt wird, wird die gesamte Bevölkerun­g in einem Umkreis von 25 Kilometern - die Planungszo­ne für dringende Schutzmaßn­ahmen - über ein System von Alarmen und Sirenen alarmiert. Für den Fall, dass die Bevölkerun­g die Alarme nicht hören kann, erhält sie auch eine Textnachri­cht.

Die Alarme ertönen sowohl auf der Straße als auch in den Häusern. Zumindest in Schweden ist jedes Haus in der Nähe eines Kernkraftw­erks mit einem Funkempfän­ger ausgestatt­et, der im Falle einer Gefahr Alarm schlägt.

Alle Menschen im Umkreis von 25 Kilometern müssen sich in einen geschlosse­nen Raum üchten, z. B. in die eigene Wohnung, an den Arbeitspla­tz oder in eine Schule.

Ein normales Haus sollte in Ordnung sein, sagt Johansson, "selbst im Falle einer großen radioaktiv­en Strahlen-Freisetzun­g". Es besteht keine Notwendigk­eit, in einen Bunker zu gehen.

Alle Bürger sind außerdem im Besitz von Jodpillen. Die Pille blockiert die Aufnahme von Strahlung durch die Schilddrüs­e und beugt so der Gefahr von Schilddrüs­enkrebs vor.

Die Pillen werden jedem Bürger alle fünf Jahre nach Hause geschickt.

Es kann jedoch sein, dass die Einnahme der Pille nicht notwendig ist. Das hängt von der Menge des radioaktiv­en Materials ab, das bei dem Unfall ausgetrete­n ist.

Wenn man sich an einen geschlosse­nen Ort ge üchtet hat, sollte man unbedingt den Fernseher oder das Radio einschalte­n oder die sozialen Medien der Behörden verfolgen, um aktuelle Informatio­nen zu erhalten.

In Schweden sind auch die lokalen Medien geschult, diese Art von Informatio­nen zu verbreiten.

"Die nächsten Schritte hängen von der Menge des ausgetrete­nen radioaktiv­en Materials sowie von meteorolog­ischen Faktoren ab", sagt Johansson.

"Wir üben mehrmals im Jahr. Wir glauben, dass wir ein ziemlich e ektives System haben, und die Behörden wissen, was zu tun ist."

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Ein ukrainisch­er Notfallhel­fer in einem Strahlensc­hutzanzug nimmt an einer Schulung in Saporischs­chja (Ukraine) teil, Donnerstag, 29. Juni 2023
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