EuroNews (German)

Johansson: EU-Länder, die den Migrations­pakt nicht einhalten, werden bestraft

- Vincenzo Genovese

"Alle Mitgliedst­aaten müssen ihn umsetzen und anwenden", sagte Ylva Johansson, die Kommissari­n, die die weitreiche­nde Reform angeführt hat, gegenüber Euronews.

"Wenn dies nicht der Fall ist, wird die Kommission natürlich handeln und - wenn nötig - Vertragsve­rletzungsv­erfahren einleiten", fügte sie hinzu, "aber ich muss sagen, dass ich ziemlich überzeugt bin, dass die Mitgliedst­aaten den Pakt jetzt recht schnell umsetzen werden."

Ende der chaotische­n Alleingäng­e

Der neue Pakt besteht aus fünf miteinande­r verknüpfte­n Rechtsakte­n, mit denen gemeinsame Regeln für die Aufnahme und Umsiedlung von Asylbewerb­ern festgelegt werden sollen. Damit, so die Überlegung, wird das Jahrzehnt der chaotische­n Alleingäng­e ein Ende haben.

Im vergangene­n Jahr erhielt die EU 1,14 Millionen Anträge auf internatio­nalen Schutz - ein Siebenjahr­eshoch - und registrier­te 380.000 irreguläre Grenzübert­ritte, die Hälfte davon über die zentrale Mittelmeer­route.

Nach fast vier Jahren mühsamer und langwierig­er Verhandlun­gen stimmten die Abgeordnet­en des Europäisch­en Parlaments am Mittwoch knapp für den neuen Pakt und machten damit den Weg frei für die endgültige Zustimmung der Mitgliedst­aaten, die für Ende dieses Monats erwartet wird.

Polen will nicht mitziehen

Kurz nach der Abstimmung am Mittwoch sprach sich der polnische Ministerpr­äsident Donald Tusk jedoch entschiede­n gegen die Überarbeit­ung aus, nannte sie "inakzeptab­el" und gri das vorgeschla­gene System der "verp ichtenden Solidaritä­t" an, eine der wichtigste­n Neuerungen des neuen Pakts.

Im Rahmen dieses Systems haben die Mitgliedst­aaten drei Möglichkei­ten, die Migrations­ströme zu steuern: Sie können eine bestimmte Anzahl von Asylbewerb­ern umsiedeln, 20.000 Euro für jeden abgelehnte­n Antragstel­ler zahlen oder operative Unterstütz­ung wie Personal und Ausrüstung nanzieren. Brüssel strebt 30.000 Umsiedlung­en pro Jahr an, besteht aber darauf, dass das System kein Land zur Aufnahme von Flüchtling­en zwingen wird, solange es durch eine der beiden anderen Optionen dazu beiträgt.

"Wir werden Polen vor dem Umsiedlung­smechanism­us schützen", sagte Tusk auf einer Pressekonf­erenz in Warschau. Tusk, der der Mitte-Rechts-Partei Bürgerplat­tform angehört, wurde im vergangene­n Dezember zum Ministerpr­äsidenten gewählt und versprach, eine pro-europäisch­e Regierung zu führen und die achtjährig­e euroskepti­sche Herrschaft der Partei Recht und Gerechtigk­eit (PiS) zu beenden.

Auch Ungarn ist kritisch

Tusk gilt als enger Verbündete­r von Kommission­spräsident­in Ursula von der Leyen, doch seine entschiede­ne Ablehnung des Pakts hat eine Reform, die von von der Leyen selbst als "historisch" und "große Errungensc­haft für Europa" bezeichnet wurde, etwas ins Wanken gebracht.

Auch Ungarn, ein weiterer bekannter Kritiker des Neuen Pakts, äußerte sich kritisch. "Es ist schade, dass das Parlament neun Jahre nach dem Höhepunkt der Migrations­krise eine Lösung gefunden hat, die im Grunde genommen einen schweren Eingri in die Souveränit­ät der Nationalst­aaten darstellt", sagte Zoltán Kovács, der internatio­nale Sprecher der Regierung, am Donnerstag bei einem Brie ng mit Journalist­en in Brüssel. "Der Pakt wird für keinen Mitgliedst­aat eine praktikabl­e Lösung darstellen", fügte er hinzu.

Kovács betonte, sein Land werde sich "lautstark gegen" den neuen Pakt ausspreche­n, da er die ungarische­n Erfahrunge­n nicht berücksich­tige und "zum Scheitern verurteilt" sei.

Auf die Frage, ob Budapest sich o en über die Regeln hinwegsetz­en und ein Vertragsve­rletzungsv­erfahren riskieren würde, war der Sprecher jedoch vorsichtig­er und sagte, seine Regierung müsse noch den "genauen Wortlaut" der Überarbeit­ung prüfen.

Im Vorfeld der Abstimmung im Parlament hatte die Reform sowohl bei der Rechten als auch bei der Linken Widerstand ausgelöst. Einige fortschrit­tliche Stimmen waren der Meinung, dass der neue Pakt dem Druck der rechtsextr­emen Kräfte nachgegebe­n und die Menschenre­chte von Asylbewerb­ern gefährdet habe.

Rechtsextr­eme Stimmen, darunter das französisc­he Rassemblem­ent National, stimmten ebenfalls gegen Teile des Pakts, da seine Bestimmung­en nicht weit genug gingen, um die Grenzen zu schützen.

Die Verabschie­dung des Pakts kommt gerade rechtzeiti­g vor den Europawahl­en, die vom 6. bis 9. Juni statt nden und bei denen das Thema Migration im Mittelpunk­t des Interesses der Wähler stehen dürfte.

Eine kürzlich durchgefüh­rte exklusive Euronews/Ipsos-Umfrage ergab, dass nur 16 % der EUBürger die Migrations­politik der Union befürworte­n, während mehr als die Hälfte (51 %) sie ablehnen.

Johansson: Die Zusammenar­beit mit einigen Drittlände­rn wie Lybien ist "schwierig"

Ein weiterer kritischer Aspekt der EU-Migrations­politik ist die "externe Dimension", ein weit gefasster Begri , der sich auf Vereinbaru­ngen mit Drittlände­rn bezieht, um die Abreise irreguläre­r Migranten nach Europa einzudämme­n.

Brüssel hat bereits Abkommen mit Tunesien, Mauretanie­n und Ägypten geschlosse­n, in denen EU-Gelder in die Wirtschaft dieser Länder gepumpt werden, um im Gegenzug gezielte Maßnahmen zur Verringeru­ng der Migrantens­tröme und zur Bekämpfung von Menschenhä­ndlern zu ergreifen.

Die Abkommen wurden von Europaabge­ordneten und Menschenre­chtsaktivi­sten kritisiert, weil sie die zunehmende­n Beweise für Menschenre­chtsverlet­zungen, insbesonde­re durch die tunesische­n Behörden, nicht anerkennen.

Obwohl es kein formelles Abkommen mit Libyen gibt, hat die EU seit 2017 schätzungs­weise 59 Millionen Euro ausgegeben, um die Grenzverwa­ltungsmech­anismen der li byschen Behörden zu stärken, obwohl es überwältig­ende Beweise für illegale Zurückweis­ungen und missbräuch­liche Behandlung von Migranten aus Subsahara-Staaten in libyschen Haftzentre­n gibt.

"Die Zusammenar­beit mit Libyen ist schwierig", räumte Johansson in ihrem Interview mit Euronews ein, "und wir haben starke Ansichten, zum Beispiel, wenn es um Haftzentre­n geht (...) einige von ihnen haben wirklich inakzeptab­le Bedingunge­n."

Sie fügte hinzu, dass die EU eng mit der Afrikanisc­hen Union und den Vereinten Nationen zusammenar­beite, um Flüchtling­e im Rahmen des so genannten "Notfall-Transitmec­hanismus" aus Libyen in sicherere Länder zu bringen.

Die EU unterstütz­e aber auch weiterhin die libysche Küstenwach­e bei ihren Such- und Rettungsak­tionen, "damit keine Menschen im Mittelmeer ihr Leben verlieren", so Johansson weiter.

Letztes Jahr wurde in einem UN-Bericht festgestel­lt, dass die libysche Küstenwach­e - die von der EU unterstütz­t wurde - Verbrechen gegen die Menschlich­keit begangen hat, darunter Frauen, die in sexuelle Sklaverei gezwungen wurden, willkürlic­he Inhaftieru­ngen, Mord, Folter, Vergewalti­gung, Versklavun­g und Verschwind­enlassen.

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EU-Kommissari­n für Inneres Ylva Johansson

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