Warum vergeht die Zeit mit zunehmendem Alter schneller?
La perception du temps, un phénomène lié à l’âge
Plus on vieillit, plus le temps passe vite, c’est bien connu. D’où nous vient cette sensation ? Le gérontologue Franz Kolland, de l’Institut de sociologie de l’Université de Vienne explique le phénomène et comment y remédier.
Was denken Sie über die Zukunft?“soll Jeanne Calment einmal als schon sehr alte Frau gefragt worden sein. „Sie ist kurz“, lautete ihre Antwort. Die Französin starb am 4. August 1997 im Alter von 122 Jahren und 164 Tagen und führt bis heute die Liste der ältesten Frauen der Welt an.
2. Ihre Antwort weist zugleich auf einen Grund hin, warum die Zeit aus Sicht älterer Menschen schneller verrinnt als aus Sicht der Jüngeren. „Einem Jungen steht die Zukunft offen. Ein 80-Jähriger kann nicht mehr unendlich weit nach vorn blicken“, sagt Gerontologe Franz Kolland vom Institut für Soziologie der Uni Wien. Das Zeiterleben verändert sich also mit dem Alter. Das zeige etwa auch die Berliner Hochaltrigenstudie. 3. Wie kurz ein Jahr in der Wahrnehmung mit zunehmendem Alter wirkt, lässt sich mit folgendem Rechenbeispiel illustrieren: Für einen Fünfjährigen entspricht ein Jahr einem Fünftel seines Lebens. Bei einem 80-Jährigen entspricht es einem Achtzigstel – ein weit geringerer Wert also und das drückt auch auf die Wahrnehmung: Die verbleibende Zeit fühlt sich immer kürzer an.
EIN KIND LERNT TÄGLICH NEUES
4. Ein Kind erlebt die Zeit zudem intensiver: Es macht ständig neue Erfahrungen und lernt Neues. Die vielen ersten Male wirken auf das Zeitempfinden: die ersten
1. einmal un jour / lauten être / die Liste an-führen être en tête de la liste. 2. auf etw hin-weisen(ie,ie) indiquer, attirer l’attention sur qqch / aus Sicht jds aux yeux de qqn / verrinnen(a,o) s’écouler / jdm steht die Zukunft offen qqn a tout l’avenir devant lui / unendlich weit nach vorn blicken regarder infiniment loin devant soi / das Zeiterleben la notion du temps / der Hochaltrige la personne très âgée. Schritte, der erste Schultag, der erste Urlaub mit Freunden, der erste Kuss. Nach und nach wiederholen sich bestimmte Handlungen, Gewohnheiten entstehen. Auch wenn der Mensch zeitlebens dazu-
3. kurz wirken paraître court / die Wahrnehmung la perception / das Rechenbeispiel l’exemple de calcul / einer Sache entsprechen(a,o,i) correspondre à qqch / das Fünftel(-) le cinquième / das Achtzigstel(-) le quatre-vingtième / der weit geringere Wert le chiffre nettement plus faible / auf … drücken appuyer, peser sur …/ verbleibend restant / sich kurz an-fühlen donner l’impression d’être court. 4. erleben vivre / zudem de surcroît / ständig continuellement / die Erfahrung l’expérience / wirken agir / das Zeitempfinden la perception du temps /
der Schritt(e) le pas / der Kuss(¨e) le baiser / nach und nach peu à peu / sich wiederholen se répéter / bestimmt certain / die Handlung l’action / die Gewohnheit l’habitude / zeitlebens durant toute sa vie / dazu-lernen apprendre de nouvelles choses /
Mit zunehmendem Alter wirkt ein Jahr in der Wahrnehmung kurzer.
lernt, greift er in seinem Handeln im Alltag vermehrt auf Routinen zurück.
5. Dass die Zeit verrinnt, ist zudem eine Antwort auf soziale Erwartungshaltungen. Der Pensionist deckt sich nach Verlust der Erwerbstätigkeit mit diversen Aktivitäten ein, um sich beschäftigt zu halten und einer Sinnleere entgegenzuwirken. Der Soziologe spricht von der sogenannten Geschäftigkeitsethik. Typischer Ausdruck dieses Überengagements sei der Pensionistengruß: ein Abwinken gegenüber Mitmenschen, die etwas unternehmen wollen, verbunden mit dem Hinweis, keine Zeit zu haben. Ein gesellschaftlicher Trend, den Kolland bereits in den 1990er-Jahren in einer seiner Studien beobachtete; derzeit arbeitet er an einer Wiederholungsstudie.
LERNPROZESSEN IM ALTER
6. Diesem Druck gelte es entgegenzutreten, meint Kolland. Es brauche Gegenkonzepte und eine gewisse Alterscoolness, um sich nicht vereinnehmen zu lassen. Entschleunigung ist also angesagt, auch im Alter. Aber wie erlangt man sie? Wer etwas Neues ausprobiere, etwa eine Sprache lernt oder mit neuen Brotbackrezepten experimentiert, fühle sich oft weit zufriedener, sagt Kol- land. Der Weg zur Gelassenheit führt in seinen Augen also über die Bildung.
7. Diese steht auch im Mittelpunkt seiner Forschung. Der Soziologe befasst sich u. a. mit Lernprozessen im Alter. Hier brauche es neue Formen der Bildung, fordert er. Aktuell seien die Angebote nämlich primär auf junge Menschen und Erwerbstätige ausgerichtet. Auch wollten sich Ältere kaum beraten lassen – das sei „etwas für alte Leute“. Wer sich auf Lernen im höheren Alter einlässt, könne davon jedenfalls klar profitieren, ist der Forscher überzeugt. Einmal habe ihn ein pensionierter Flugkapitän um Rat gefragt, weil er sich ständig rastlos fühlte. Kolland riet ihm zum Soziologiestudium, ein Jahr später habe sich dieser weit besser gefühlt. auf etw zurück-greifen(i,i) recourir à qqch / das Handeln im Alltag la façon d’agir au quotidien / vermehrt davantage. 5. die Erwartungshaltung les attentes / sich mit … ein-decken faire le plein de … / die Erwerbstätigkeit l’activité professionnelle / sich beschäftigt halten(ie,a ä) se maintenir actif / die Sinnleere le vide, l’absence de sens / einer Sache entgegen-wirken combattre qqch / die Geschäftigkeit l’affairement / der Ausdruck l’expression / Über- sur- / der Gruß(¨e) le salut / das Abwinken le geste de refus / unternehmen entreprendre / verbunden mit associé à / der Hinweis(e) l’indication / gesellschaftlich social / der Trend(s) la tendance / beobachten observer / derzeit actuellement. 6. einem Druck entgegen-treten(a,e,i) résister à la pression / es gilt(a,o), zu il faut / meinen dire / gewiss≈ certain / sich vereinnahmen lassen se laisser accaparer / Entschleunigung ist angesagt il faut une décélération, lever le pied / erlangen atteindre, obtenir / ausprobieren essayer / etwa par exemple / das Brotbackrezept(e) la recette de pain / weit zufriedener beaucoup plus satisfait / die Gelassenheit la sérénité / über … führen passer par … / die Bildung l’éducation, la formation. 7. im Mittelpunkt einer Sache stehen être au centre de qqch / die Forschung la recherche / sich mit etw befassen s’intéresser à, étudier qqch / fordern réclamer / das Angebot(e) l’offre / nämlich en effet auf jdn ausgerichtet sein être conçu pour qqn / der Erwerbstätige la personne active / sich beraten lassen se faire conseiller / sich auf … ein-lassen s’embarquer dans … / jedenfalls en tout cas / der Forscher le chercheur / überzeugt sein être convaincu, persuadé / der Flugkapitän le commandant de bord / um Rat fragen demander conseil /sich rastlos fühlen avoir la bougeotte, ne pas pouvoir se tenir tranquille / jdm zu … raten(ie,a,ä) conseiller … à qqn.