Vocable (Allemagne)

Ist der Türkenwitz wieder salonfähig?

Les blagues sur les Turcs : drôles, politiquem­ent incorrecte­s ou racistes ?

- MURAT KAYI humoriste germano-turc

SPIEGEL: Kennen Sie den schon? Ein Krokodil fragt: Wer bin ich? Antwort: Großes Maul, kurze Beine, Lederjacke – ein Türke! Murat Kayı: Ein Franzose, ein Russe, ein Deutscher und ein Türke sitzen in einem abstürzend­en Flugzeug. Der Pilot fordert sie auf, unnötigen Ballast abzuwerfen. Der Franzose schmeißt eine Tüte Baguettes aus der Tür, der Russe einen Koffer voll Wodkaflasc­hen. Der Türke dreht sich zum Deutschen und sagt: „Mach jetzt bloß keinen Scheiß!

2. SPIEGEL: Der erste Witz gehört zu jenen, die gerade vermehrt in sozialen Netzwerken geteilt werden. Ist der Türkenwitz wieder salonfähig?

Kayı: Ich kenne den Salon als einen Ort des Geistes. Das Zuhause solcher Witze ist aber eher der Büroflur oder das Internet. Und dort ging der Türkenwitz immer. Neu ist, dass die Witzeerzäh­ler sich selbst in eine Opferhaltu­ng begeben. Als würde ihnen irgendjema­nd die Witze verbieten wollen. Als gehörte der Türkenwitz neuerdings zum Widerstand.

3. SPIEGEL: Wie finden Sie das?

Kayı: Für mich ist der Witz als solcher meistens gar nicht so interessan­t. Interessan­ter ist, wer ihn wem erzählt. Wenn ihn sich zwei Leute erzählen, um sich über eine Gruppe lustig zu machen, zu der sie nicht gehören, dann handelt es sich dabei um einen Code. Sie vergewisse­rn sich somit, dass sie zum gleichen Stamm gehören. Das ändert sich, sobald jemand aus der Gruppe dabei ist, um die es geht. 4. SPIEGEL: Was ändert sich? Kayı: Im besten Fall wird der Witz zum Zeichen von Unbefangen­heit, Toleranz und Gleichbere­chtigung. Ich glaube, dass jeder das Recht hat, in einem Witz verarscht zu werden. Ich bin in den Siebzigern in Deutschlan­d aufgewachs­en, mit dem Begriff Kümmeltürk­e. Meine Mutter hat noch still darunter gelitten. Meine Generation hat angefangen, selbst Türkenwitz­e zu erzählen. Und damit das Machtgefüg­e geändert.

5. SPIEGEL: Wo erzählen Sie am liebsten Türkenwitz­e?

Kayı: In Runden, die mir zu gesittet und zu angestreng­t liberal sind. Irgendwann ist mir klar geworden, dass man selbst im Kleinen vielleicht nicht kontrollie­ren kann, wann man zum Opfer wird. Aber man kann kontrollie­ren, ob man ein Opfer bleibt.

„Für mich ist der Witz als solcher meistens gar nicht so interessan­t. Interessan­ter ist, wer ihn wem erzählt.“

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