DER WALD, DIE DEUTSCHE SEELE
La forêt, l’âme allemande
La forêt parle à l’âme allemande, elle est le lieu où nos vosins aiment se ressourcer, surtout au printemps. De Wagner à Grimm, de Brentano à Schlegel, les grands classiques de la littérature attestent de cette passion. Magnifiée dans les tableaux de Caspar David Friedrich et parfois récupérée par les nationalistes, elle demeure indissociable de l’identité allemande.
Der Frühling kämmt die Wälder sauber. Er weht das Laub auf die Flur, treibt die dunklen Gerüche davon und lässt die ersten Blumen blühen. Die Natur atmet auf, und mit dem ersten Grün wächst die Sehnsucht. Nach dem frischen Gras am Fuß eines Baums, 1. sauber kämmen nettoyer / wehen souffler, faire s’envoler / das Laub les feuilles / die Flur la campagne / davontreiben(ie,ie) chasser / der Geruch(¨e) l’odeur / blühen lassen faire fleurir / auf-atmen respirer / das Grün la verdure / die Sehnsucht nach l’impatience, le désir (ardent) de /
nach Rinde unter den Fingerspitzen, nach dem Licht, das durch die Blätter fällt. Nach dem Geruch von Pilzen, die sich durchs Laub drücken, dem Summen der Insekten und dem Schrei der Vögel. die Rinde l’écorce / die Fingerspitze le bout du doigt / der Pilz(e) le champignon / sich durch … drücken se faufiler à travers … / das Summen le bourdonnement / der Schrei(e) le cri.
2. Wann waren Sie das letzte Mal im Wald? Die Welt scheint sich immer schneller zu drehen. Der Mensch erkundet den Mars, plaudert mit Robotern, hat virtuellen Sex – doch der Wald fasziniert jeden von uns. Unter dem dichten Blattwerk liegt ein Versprechen. Nur welches? 2. das letzte Mal (pour) la dernière fois / sich drehen tourner / erkunden explorer / plaudern bavarder / dicht dense / das Blattwerk le feuillage / das Versprechen la promesse.
DIE TYPISCH DEUTSCHE LANDSCHAFT
3. Warum werden Millionen Euro verwendet, um die Lausitz, diese einstige Mondlandschaft, der vor 30 Jahren noch die Kohle entrissen wurde, zu renaturieren? Wieso schreibt der Förster Peter Wohlleben verliebte Bücher über den Wald, und Millionen Menschen lesen sie? Warum die Ausflüge im Sommer, Spaziergänge im Herbst? Was finden wir dort, das uns Städte, Museen, Computer nicht geben können?
4. Der Wald stand jahrhundertelang für die typisch deutsche Landschaft. Als solche wurde er idealisiert, verklärt, aber auch von Nationalisten missbraucht. Noch heute sind 32 Prozent der Landesfläche bewaldet, insgesamt 11,4 Millionen Hektar. Natürlich gibt es längst keine Urwälder mehr, diese ungestümen Buchendickichte, die vor 12 000 Jahren noch 95 Prozent Europas bedeckten.
5. Und doch sehen wir Wildnis, und Wildnis ist immer ambivalent, ist idealer Urzustand und Bedrohung zugleich. Niemand kann durch den Harz wandern oder durch den Bayerischen 3. verwenden utiliser / die Lausitz la Lusace / einstig≈ ancien / die Mondlandschaft le paysage lunaire / die Kohle le charbon / jdm etw entreißen(i,i) arracher qqch à qqn / wieso pourquoi / der Förster le forestier / verliebt amoureux, d’amour / der Ausflug(¨e) l’excursion. 4. für … stehen représenter … / jahrhundertelang durant des siècles / die Landschaft le paysage / als solcher en tant que tel / verklären transfigurer, idéaliser / missbrauchen abuser de, utiliser (à mauvais escient) / die Landesfläche la superficie, la surface du pays / bewaldet sein être couvert de forêts / der Urwald(¨er) la forêt primitive / ungestüm impétueux, sauvage / die Buche le hêtre / das Dickicht(e) le maquis / bedecken (re)couvrir. 5. die Wildnis la nature à l’état sauvage / der Urzustand l’état primitif / die Bedrohung la menace / zugleich à la fois / wandern faire de la randonnée / Wald, ohne für einen kurzen Moment dieses Gefühl zu haben: Wer im Wald ist, der spürt sich selbst. Doch er kann sich auch verlieren. Tief im Wald, da gibt es keinen Handy-Empfang. Dort gibt es nur Bäume, Unterholz, Tiere. Eine selbstgenügsame Welt, die den Menschen nicht braucht. Die aber sehr verletzlich ist.
6. Für ihren Schutz kämpften schon die deutschen Romantiker, die sich gegen die Industrialisierung stemmten. Als größtes Opfer der Fabriken sahen sie nicht etwa das freie Individuum, sondern den Wald. Kahl geschlagen, vergiftet, verbrannt. Das „hölzerne Zeitalter“bis Mitte des 19. Jahrhunderts veränderte die Landschaft, ganze Wälder wurden zu Schiffen, Häusern und Kutschen verarbeitet, die das Leben verbessern sollten.
RÜCKZUGSORT
7. Der Romantik-Maler Caspar David Friedrich zeichnete den Wald als mystischen Ort. Zwischen Ahorn und Fichten konnte man sinnieren, sich der Natur hingeben. Ganz anders die Brüder Grimm; sie verorteten das Böse unter dem schattigen Dach der Buchen und Eichen.
8. „Im Walde bin ich so allein“, dichtete Clemens Brentano und drückt damit eine Empfindung aus: Die Wälder Südbrandenburgs, durch die er spazierte, deren Stille wirft uns auf uns selbst zurück. Das kann auch Angst machen.
9. Manchmal ist nichts zu hören als der Wind, der am Holz reißt. Es gibt keine ratternden Motoren, keine piepsenden Gadgets. Es zählt sich selbst spüren se connecter à son moi / tief in … dans les profondeurs de … / der Empfang la réception / das Unterholz les sous-bois / selbstgenügsam autosuffisant / verletzlich vulnérable. 6. der Schutz la protection / kämpfen se battre / sich gegen etw stemmen s’opposer à qqch / das Opfer la victime / kahl geschlagen coupé à blanc, rasé / vergiftet sein être empoisonné, pollué / verbrennen(a,a) brûler / hölzern du bois / das Zeitalter l’ère / die Landschaft le paysage / zu … verarbeiten transformer en … / die Kutsche le carrosse, la voiture (hypomobile). 7. der Maler le peintre / zeichnen dessiner / der Ahorn(e) l’érable / die Fichte l’épicéa / sinnieren méditer / sich einer Sache hin-geben se donner, se livrer à qqch / ganz anders pas du tout / verorten situer / das Böse le mal / schattig ombragé / die Eiche le chêne. 8. dichten écrire / aus-drücken exprimer / die Empfindung le ressenti / die Stille le silence / auf … zurück-werfen(a,o,i) renvoyer à … / Angst machen faire peur, angoisser. 9. an einer Sache reißen(i,i) ballotter qqch / rattern pétarader / piep[s]en émettre un bip / das Recht des Stärkeren, Luchs gegen Maus, Raupe gegen Laub. Ganz ohne Axt hat der Mensch hier keine Chance.
10. Mit der beginnenden Moderne wurde der Wald zu einem Rückzugsort, an dem der Mensch sich den Kräften der Natur aussetzen wollte. Mit den Elementen kämpfen wie Henry David Thoreau. Der hemdsärmelige US-Amerikaner zog 1845 allein in den Wald. Er baute sich eine Blockhütte und übte Verzicht, weil er in den beschleunigten Zeiten die Langsamkeit suchte.
11. Akribisch führte er Tagebuch, notierte die Kosten für Baumaterialien und hielt fest, wie sehr die Einsamkeit an seiner Seele zerrte. Er beschrieb seinen Abschied von den Annehmlichkeiten der modernen Gesellschaft, als würde er langsam ein Pflaster auf seinem Knie lösen. „Jeder Morgen war eine frohe Aufforderung, mein Leben so einfach, und ich darf sagen, so unschuldig zu gestalten wie die Natur selbst“, erzählt er. Das Leben im Wald scheint zu heilen, weil es die Sinne und Gedanken beruhigt und uns unsere wahren Bedürfnisse zeigt.
DER WALD ALS HEILER
12. Doch der Wald kuriert auch den Körper; das belegen mittlerweile zahlreiche Studien. Der Umweltpsychologe Marc Berman hat nachgewiesen, dass Menschen, die am Rand oder in der Natur leben, ein geringeres Risiko haben, an Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes oder Bluthochdruck zu erkranken. Das gilt es zählt das Recht des Stärkeren c’est la loi du plus fort qui prévaut / der Luchs(e) le lynx / die Raupe la chenille / die Axt(¨e) la hache. 10. die Moderne l’époque moderne / der Rückzugsort le refuge / sich einer Sache aus-setzen s’exposer à, affronter qqch / hemdsärmelig≈ en bras de chemise, décontracté / in … ziehen(o,o) aller s’installer dans … / die Blockhütte la cabane en rondins / Verzicht üben pratiquer le renoncement, se contenter de peu / beschleunigt accéléré, trop rapide / die Langsamkeit la lenteur. 11. akribisch minutieusement / Tagebuch führen tenir un journal / fest-halten(ie,a,ä) noter / die Einsamkeit la solitude / an seiner Seele zerren affecter, éprouver l’âme / beschreiben décrire / der Abschied von l’abandon de / die Annehmlichkeit la commodité / ein Pflaster lösen retirer un pansement / die Aufforderung l’invitation / unschuldig innocemment / gestalten organiser / heilen guérir / der Gedanke la pensée / beruhigen apaiser / das Bedürfnis le besoin. 12. kurieren soigner / belegen démontrer / mittlerweile aujourd’hui / der Umweltpsychologe le psychologue environnementaliste / nach-weisen(ie,ie) prouver / am Rand en bordure / die Herz-Kreislauf-Erkrankung la maladie cardio-vasculaire / der Bluthochdruck l’hypertension artérielle / an … erkranken contracter, souffrir de … / für jdn gelten(a,o,i) être valable pour qqn /
nicht nur für Landbewohner, sondern auch für Städter, die einen Park in Sichtweite haben. Zehn zusätzliche Bäume in oder um einen Wohnblock von 8000 Quadratmeter Fläche verjüngen die Bewohner um durchschnittlich sieben Lebensjahre.
13. Der Wald als Heiler – dass er im 21. Jahrhundert diese Rolle für den Menschen spielt, erklärt vielleicht auch den Erfolg des Autors und Försters Peter Wohlleben. In seinem Buch „Das geheime Leben der Bäume“vermenschlicht er den Wald. Er argumentiert wissenschaftlich, taucht seine Erzählungen von den Moosen, die sich auf den Stümpfen jahrhundertealter Buchen suhlen, aber in ein warmes Licht. Keine erbarmungslose Natur, die dort an den Rändern der Zivilisation herrscht, sondern ein sozialer Organismus. der Städter le citoyen / in Sichtweite à portée de vue / zusätzlich supplémentaire / das/der Quadratmeter le mètre carré / die Fläche la superficie / um … verjüngen rajeunir de … / durchschnittlich en moyenne. 13. der Heiler le guérisseur / geheim secret / vermenschlichen personnifier / in ein warmes Licht tauchen baigner d’une lumière chaude / die Erzählung le récit, la nouvelle / das Moos(e) la mousse / sich suhlen se complaire / der Stumpf(¨e) la souche / erbarmunglos impitoyable / herrschen régner.
DER WALD FÄLLT UNS ZUM OPFER
14. Die Bäume greifen mit ihren Wurzeln nacheinander, sie reichen sich die Hände, tauschen Nährstoffe aus und beschützen sich vor Gefahren, vor dem Tod. „Wie sehen die Chancen der Baumkinder aus, irgendwann einmal richtig groß zu werden und selbst Nachwuchs zu bekommen?“, fragt er. In seinem Buch wirkt der Wald wie ein freundlicher, menschlicher Nachbar. Wohlleben gibt den Bäumen sogar eine Stimme, ein Knacken, ein Ziehen, das mit Spezialgeräten zu hören ist. Er macht aus dem Wald einen Superorganismus. Wenn er darüber schreibt, fängt er die frühlingshafte Magie der Natur ein und erklärt, wie viel mehr diese Pflanzen uns bedeuten sollten. 14. nacheinander greifen(i,i) s’entrelacer / die Wurzel(n) la racine / sich die Hände reichen se tendre la main / aus-tauschen échanger / die Närstoffe les nutriments / sich beschützen vor se protéger de / die Gefahr(en) le danger / … aus-sehen être … / irgendwann einmal un jour / Nachwuchs bekommen avoir une descendance / wie … wirken donner l’impression d’être … / menschlich humain / die Stimme la voix / das Knacken le craquement / das Ziehen le grincement / das Gerät(e) l’appareil / einfangen(ie,a,ä) capturer / frühlingshaft printanier / jdm viel bedeuten représenter beaucoup pour qqn. 15. Doch egal, ob er nun ein Lebewesen ist oder ein Rückzugsort für verträumte Männer und Frauen – der Wald ist unser Lehrer. Um das zu erkennen, brauchen wir keine Bücher und keine Statistiken über die Verbreitung der Baumarten. Es reicht ein Spaziergang, am besten jetzt, im Frühling.
16. Es gilt, keine Zeit zu verlieren, denn wir schützen unsere Wälder nicht gut genug. Das Waldsterben der 80er-Jahre ist überstanden, nun kündigt sich die nächste Katastrophe an. Der Rohstoff Holz ist stark gefragt, speziell als Feuerholz. 2015 wurden 60 Prozent der gerodeten Wälder in den Kaminen unserer Wohnungen und Häuser verbrannt. Selbst Naturschutzgebiete und somit majestätische, 200 Jahre alte Buchen sind vor der Rohdung nicht sicher. Deshalb ist Holz auch ein lohnenswertes Investment: Mit der Nachfrage steigt der Rohstoffpreis an den Börsen.
17. Es ist ein Dilemma, beschreibt aber, woran der Mensch heute leidet. Wir wollen naturnah leben und zerstören dabei die Natur. Wir wollen Geld, um uns das Glück ins Haus zu holen. Der Wald fällt uns dabei zum Opfer, dabei könnte er unser Verbündeter sein.
18. Ein möglicherweise supersoziales Wesen, das uns lehrt, umsichtiger zu sein. Uns dazu aufruft, mit größerer Ruhe durchs Leben zu gehen. Der Wald, er fasziniert uns so sehr, weil in ihm alles erlebbar wird. Es ist alles schon da – und kostet gar nichts. Der Tod, das Leben, die Liebe und die Schönheit eines Neuanfangs, jedes Jahr im Frühling. 15. das Lebewesen l’être vivant / verträumt rêveur / erkennen(a,a) prendre conscience de qqch / die Verbreitung la distribution / es reicht … … suffit. 16. es gilt(a,o), zu il s’agit de / schützen protéger / das Waldsterben la mort des forêts / überstanden sein être surmonté / sich an-kündigen s’annoncer / der Rohstoff(e) la matière première / das Feuerholz le bois de chauffage / roden défricher, abattre / der Kamin(e) la cheminée / verbrennen(a,a) brûler / das Naturschutzgebiet(e) la réserve naturelle / somit par conséquent / vor … sicher sein être à l’abri de … / die Rodung le déboisement / lohnenswert rentable / die Nachfrage la demande / die Börse la bourse. 17. an einer Sache leiden(i,i) souffrir de qqch / naturnah proche de la nature / zerstören détruire / dabei ce faisant / sich das Glück ins Haus bringen faire entrer le bonheur dans la maison / jdm zum Opfer fallen(ie,a,ä) être sacrifié par qqn / dabei pourtant / der Verbündete l’allié. 18. möglicherweise peut-être / das Wesen le système vivant / umsichtig prudent / jdn dazu auf-rufen(ie,u), zu appeler qqn à / erlebbar werden pouvoir être vécu, expérimenté / der Neuanfang le recommencement.
Es gilt, keine Zeit zu verlieren, denn wir schützen unsere Wälder nicht gut genug.