JUGEND FORSCH
Fougueuse jeunesse
München, Agentur Serviceplan, Brienner Straße. Im Auditorium sitzen vor allem Männer um die 50, in Anzug und Krawatte. Marketing-Manager von Unternehmen mit Milliarden-Umsatz wie VW, Walt Disney oder Metro.
2. Philipp Riederle, 22, kurze dunkle Haare, markanter Leberfleck über der Lippe, sieht gegen sie aus wie ein Schüler, soll aber einen Vortrag halten. Thema: „Millennials: Wer sie
Jugend forsch jeu de mots avec Jugend forscht nom d’un concours très célèbre pour jeunes inventeurs en Allemagne. 1. um die 50 d’environ 50 ans / der Anzug(¨e) le costume / der Umsatz(¨e) le chiffre d’affaires. 2. der Leberfleck(e) la tache de naissance, de vin / die Lippe la lèvre / wie … aus-sehen avoir l’air de … / einen Vortrag halten(ie,a,ä) donner une conférence, faire un exposé / die Millenials les enfants du millénaire, la génération Y /
sind und was sie wollen“. Riederle wischt zweimal mit seinen Händen über die Hose. Das war es auch schon mit der Nervosität. Er zeigt Charts, Bilder, macht Scherze und fragt sein Publikum frech: „Wieso soll ich aus meinem Bett aufstehen, mir ‘ne Hose anziehen, in den Spiegel schauen, mich ins Auto setzen, im Stau stehen, ‘nen Parkplatz suchen, irgendein Ladengeschäft betreten, um dann von einem möglicherweise inkompetenten Berater abgespeist zu werden, der weniger Ahnung von dem Produkt hat als ich nach fünf Minuten Online-Recherche?“ mit seinen Händen über die Hose wischen s’essuyer les mains sur son pantalon / das war es auch schon mit … c’est tout en ce qui concerne … / die Charts le hit-parade, le classement / Scherze machen plaisanter / frech avec insolence, aplomb / aus … auf-stehen se lever de … / sich … an-ziehen(o,o) enfiler … / schauen regarder / im Stau stehen être, passer du temps dans les bouchons / irgendein un quelconque / das Ladengeschäft la boutique / … betreten(a,e,i) entrer dans … / möglicherweise peut-être / der Berater le conseiller / ab-speisen abuser par de belles paroles / eine Ahnung haben von avoir une idée de.
3. FOCUS: Herr Riederle, für einen Unternehmensberater sind Sie verdammt jung. Wie kommen Sie darauf, dass Manager, die 20, 30, 40 Jahre älter sind, auf Sie hören könnten? Philipp Riederle: Die Idee hatte ich nicht selbst, sondern die Manager! Die ersten Anfragen kamen 2009 nach einem Podcaster Barcamp.
4. FOCUS: Da waren Sie gerade mal 15… Riederle: Ja. 2010 habe ich dann mit acht Unternehmen gearbeitet und Vorträge gehalten. 2011 waren es schon 40, 50. Und so wurden es immer mehr.
5. FOCUS: Und was haben Sie den Leuten so erzählt? Riederle: Am Anfang wurde ich gebeten zu erzählen, wie das mit dem Podcast funktio-
3. der Unternehmensberater le consultant / verdammt sacrément / jd kommt darauf, dass qqn a l’idée, il vient à l’esprit de qqn que / die Anfrage la demande / der Barcamp le barcamp. 4. gerade mal tout juste. 5. jd wird gebeten, zu on demande à qqn de / wie ist das mit qu’en est-il de, comment cela fonctionne-t-il avec /
niert. Dann kamen immer speziellere Fragen: Wie ist das mit eurer Generation und dem Internet? Wie müssen wir Social Media machen? Heute heißt es: Wie kann man eure Generation als Kunden oder Mitarbeiter gewinnen? Und wie bekommen wir den digitalen Wandel hin?
6. FOCUS: Meinen Sie nicht, dass Sie manchen Kunden einfach als Feigenblatt dienen? Nach dem Motto: Wenn ich den einlade, kann ich sagen, ich habe mich ums Thema digitaler Wandel gekümmert — jetzt ist es aber auch gut damit. Riederle: So war es vielleicht vor vier bis fünf Jahren. Inzwischen habe ich das Privileg, mir die Kunden genau aussuchen zu können. Es wäre für mich langweilig, irgendwo den Hampelmann zu spielen und festzustellen, da passiert nix. Ich will ernsthaftes Interesse spüren, und dafür bereite ich mich dann auf jeden Kunden ganz individuell vor.
7. FOCUS: Klar, bei einem Kaffeehersteller reden Sie über das Kaffeegeschäft und bei Bosch über Haushaltsgeräte. Riederle: Das wäre ein bisschen schlicht, oder? Nein, ich schraube mich in diese Firmen rein. Ich lasse mir dafür vorab ganz viele interne Dokumente und Präsentationen zuschicken. Was ich schon an Geheimhaltungsvereinbarungen unterschreiben musste, herrlich. Aber nur so kann ich in persönlichen Gesprächen mit den Vorständen oder Mitarbeitern Vorschläge machen, wie sie den digitalen Move hinbekommen. Ich verstehe mich nicht als Unternehmensberater im als … gewinnen(a,o) attirer comme … / der Mitarbeiter le collaborateur / etw hin-bekommen réussir qqch / der digitale Wandel le virage numérique. 6. meinen penser / das Feigenblatt la feuille de figuier, dans l’art la feuille de vigne / nach dem Motto suivant la devise / jdn ein-laden(u,a,ä) inviter qqn / sich um etw kümmern s’occuper de qqch / es ist gut damit c’est bon comme ça, ça suffit / inzwischen aujourd’hui / sich … aus-suchen sélectionner … / langweilig ennuyeux / irgendwo quelque part / der Hampelmann le pantin, le guignol / fest-stellen constater / ernsthaft sérieux / spüren (res)sentir. 7. der Kaffeehersteller le producteur de café / das Kaffeegeschäft le marché du café / die Haushaltsgeräte l’électroménager / schlicht simple / sich in … rein-schrauben se vriller dans … / vorab à l’avance / die Geheimhaltungsvereinbarung l’accord de confidentialité / unterschreiben signer / herrlich formidable / der Vorstand(¨e) le directeur / der Vorschlag(¨e) la proposition / sich als … verstehen se voir comme … / McKinsey-Stil. Das kann ich aufgrund meiner Erfahrungen auch nicht leisten.
8. FOCUS: Ihr neues Buch heißt: „Wie wir arbeiten und was wir fordern — Die digitale Generation revolutioniert die Berufswelt”. Das klingt ganz schön selbstbewusst. Übernehmen die Digital Natives jetzt die Macht, oder was? Riederle: Hier geht es nicht um Jung gegen Alt. Wir befinden uns mitten in einer krassen Zeitenwende. Da macht es doch Sinn, sich dabei von denen helfen zu lassen, die ganz selbstverständlich damit umgehen, weil sie damit aufgewachsen sind. Insofern kann meine Generation auch selbstbewusst sein.
9. FOCUS: Oder schon selbstverliebt? Sie schreiben, Ihre Generation will sich aufgrund + gén. en raison de / die Erfahrung l’expérience / leisten faire. 8. fordern réclamer / selbstbewusst klingen(a,u) sembler plein d’assurance / die Macht übernehmen prendre le pouvoir / sich mitten in … befinden se trouver en plein … / krass flagrant / die Zeitenwende le changement d’époque, l’ère de mutation / Sinn machen être judicieux / selbstverständlich naturellement / mit … um-gehen pratiquer … / Sinsofern dans cette mesure. 9. selbstverliebt narcissique / sich wohl-fühlen se sentir bien / wohlfühlen. Sie will im Job mitreden, mitentscheiden, gern nur 30 Stunden arbeiten, damit „Zeit für persönliche Ziele” bleibt. Beschäftigen Ihre Altersgenossen sich nicht ein bisschen viel mit sich selbst? Riederle: Selbstverliebt möchte ich nicht stehenlassen. Uns bleibt gar nichts anderes übrig, als uns so intensiv wie keine Generation zuvor mit uns selbst zu beschäftigen. Wir sind so frei in unseren Entscheidungen, unseren Möglichkeiten, wie keine andere Generation vor uns. Viele von uns sind hervorragend ausgebildet. Theoretisch gibt es keine Grenzen. Jeder darf und kann alles erreichen. Wir befinden uns in einem Möglichkeiten-Dschungel, in dem wir Jungen uns jeder für sich erst einmal zurechtfinden und dann einen Weg bahnen müssen. Und glauben Sie mir: Das geht an die Substanz. Dank des Fachkräftemangels können wir uns aussuchen, wo wir arbeiten. Und wie lange. mit-reden avoir son mot à dire / mit-entscheiden(ie,ie) participer aux décisions / sich mit … beschäftigen s’occuper de, s’intéresser à … / Ihre Altersgenossen les gens de votre âge / mir bleibt nichts anderes übrig, als il ne reste rien d’autre à faire, je n’ai pas d’autre solution que / so intensiv wie keine Generation zuvor plus intensivement qu’aucune autre génération auparavant / hervorragend remarquablement / aus-bilden former / erreichen atteindre / der Dschungel la jungle / jeder für sich chacun pour soi / sich zurecht-finden trouver ses marques / sich einen Weg bahnen se tracer un chemin / das geht an die Substanz cela demande une sacrée résistance / der Fachkräftemangel la pénurie de personnel qualifié.
Wenn einfache Tätigkeiten von Maschinen übernommen werden, müssen dann wirklich noch alle arbeiten?
10. FOCUS: Aber Sie verlangen auch völlig andere hierarchische Strukturen in Unternehmen. Demokratische Strukturen. Wie soll das bitte funktionieren? Riederle: Unternehmer können 2017 nicht mehr agieren nach dem Motto: „Ich befehle, und ihr macht.“Demokratie heißt für mich, die Intelligenz, das Wissen, den Erfahrungsschatz aller Mitarbeiter zu nutzen. Es geht um Mitreden und Mitverstehen. Aber natürlich muss man nicht den Portier oder die Sekretärin fragen, „Hey, sollen wir als nächstes strategisches Projekt unseren Konkurrenten übernehmen?“
11. FOCUS: Letztlich sind Ihre Thesen eine Arbeitsphilosophie für eine digitale Elite. Riederle: Dazu kann ich Ihnen nur sagen: Einfache Tätigkeiten werden in absehbarer Zeit wegfallen, viel schneller, als wir uns das vorstellen können.
12. FOCUS: Haben Sie ein Beispiel? Riederle: Selbstfahrende Autos werden bis zum Jahr 2020 von jedem Hersteller geliefert, sagt die Forschung. Das heißt, wir haben hier innerhalb kürzester Zeit mehr als eine Million Arbeitslose in Deutschland, denn der Beruf des Lkw-oder des Taxifahrers fällt weg. 10. verlangen demander / der Unternehmer le chef d’entreprise / befehlen(a,o,ie) ordonner / der Erfahrungsschatz le trésor d’expérience / nutzen profiter de / mit-verstehen comprendre ensemble / übernehmen prendre le contrôle de. 11. letztlich en fin de compte / die Tätigkeit l’activité / in absehbarer Zeit dans un avenir assez proche / weg-fallen(ie,a,ä) disparaître / sich etw vor-stellen s’imaginer qqch. 12. das selbstfahrende(n) Auto(s) la voiture autonome / der Hersteller le constructeur / liefern fournir / die Forschung la recherche / der Arbeitslose le chômeur / der Lkw-Fahrer le chauffeur de poids lourd. 13. FOCUS: Heißt, wir alle müssen sehr schnell mehr können? Riederle: Schon jetzt muss ein Elektriker in der Lage sein, vernetzte Systeme zu installieren, und ein Heizungstechniker muss nicht wie früher nur Heizungsrohre verlegen, sondern auch die Software des Heizungskessels updaten. Und Pfleger müssen mit dem medizinischen Fortschritt mithalten können. Die Ansprüche steigen in jedem Beruf, die Anforderungen werden komplexer.
14. FOCUS: Die Gesellschaft muss also schlauer werden, weil sie mit schlauen Computern arbeitet? Riederle: Ja, eindeutig. Wir benötigen eine zeitgemäße Ausbildung, um mehr Menschen das Pulshalten an den aktuellen Gegebenheiten zu ermöglichen. Ich bin aber kein Naivling. Deswegen muss man sich eine wichtige Frage stellen: Wenn einfache Tätigkeiten von Maschinen übernommen werden, müssen dann wirklich noch alle arbeiten? Oder werden sie über das bedingungslose Grundeinkommen versorgt?
15. FOCUS: Und, was meinen Sie? Riederle: Es gibt viele Für und Wider. Aber wir müssen uns diese Frage ernsthaft stellen. 13. in der Lage sein, zu être à même de / vernetzt connecté / die Heizung le chauffage / das Rohr(e) le tuyau / verlegen poser / der Heizungskessel la chaudière / updaten mettre à jour / der Pfleger l’infirmier / mit … mithalten können pouvoir suivre … / der Fortschritt(e) le progrès / der Anspruch(¨e) l’exigence / die Anforderung la demande, l’exigence. 14. die Gesellschaft la société / schlau malin, intelligent / eindeutig clairement / benötigen avoir besoin de / zeitgemäß moderne / die Ausbildung la formation / das Pulshalten an … ermöglichen permettre de rester dans le coup, de garder le contact avec … / die Gegenbenheit la réalité / ermöglichen permettre / der Naivling(e) le naïf / deswegen par conséquent / bedingungslos inconditionnel / das Grundeinkommen le revenu de base / versorgt werden être alimenté. 15. es gibt viele Für und Wider il y a beaucoup de pour et de contre /
Schweden, die Schweiz und Finnland machen dazu bereits Modellversuche. Ob eine Robotersteuer, wie Bill Gates sie vor Kurzem gefordert hat, ein Segen ist, kann ich nicht sagen. Wo fange ich dann an damit, bei der Wasch-und Spülmaschine?
16. FOCUS: Klingt, als mache Ihnen das Angst… Riederle: Es gibt mehrere Dimensionen, vor denen ich Respekt habe. Angst? Nein. Dazu finde ich die Herausforderung zu spannend. Schweden la Suède / der Modellversuch(e) l’expérience pilote / die Robotersteuer la taxe sur les robots / vor Kurzem récemment / der Segen la bénédiction / die Waschmaschine la machine à laver / die Spülmaschine le lave-vaisselle. 16. klingt, als … on dirait que / die Herausforderung le défi / spannend passionnant.