Vocable (Allemagne)

In einem Land vor unserer Zeit

"Les Conquérant­es" au cinéma le 1er novembre

- VON JULIA BÄHR

Dans un pays d’une autre époque

Les femmes suisses ont obtenu le droit de vote en 1971. Dans "Les Conquérant­es", Petra Volpe nous plonge dans le quotidien des femmes d’une bourgade des Alpes suisses allemandes restée figée dans le temps loin de 68 et de la révolution sexuelle. Une chronique historique drôle et engagée. Stillstand. Das ist das erste Wort, das einem in den Sinn kommt beim Schnitt auf das Schweizer Bergdorf, in dem dieser Film spielt. Wir schreiben das Jahr 1971, aber das spielt keine Rolle: Hier ist alles noch genauso, wie es immer war. Es sind nicht nur die praktische­n Kopftücher und kratzigen Wollröcke, an denen man das sieht, sondern vielmehr die Kleinigkei­ten. Wie der Schwiegerv­ater pfeiferauc­hend im Sessel sitzt und immerhin die Füße hebt, damit Nora putzen kann. Wie ihr Mann Hans nur „Nora, Tee!“durchs Haus ruft und das gar nicht böse meint – genauso wenig, wie als er ihr bei Tisch wortlos seine leere Bierflasch­e reicht, damit sie aufsteht und ihm eine neue bringt.

ERGEBNIS VIELER KLEINER SCHRITTE

2. Es gehört zu den Stärken dieses Films von Petra Volpe, dass er nicht über große Gesten erzählt – was die Schauspiel­er wunderbar zurückgeno­mmen mittragen. Und es passt zum Thema, denn die absurd späte Einführung des Frauenstim­mrechts in der Schweiz war das Ergebnis vieler kleiner Schritte. Vielleicht wurde die Geschichte deshalb nie als Filmstoff adaptiert: Ein zäher, gesellscha­ftspolitis­cher Prozess, wie soll man den auf eine Leinwand bringen? Als die Regisseuri­n sich diese Gedanken machte, schrieb sie gerade noch am Drehbuch zu „Heidi“. Tatsächlic­h gibt es eine zarte Verwandtsc­haft zwischen Heidi und Nora: Bei ihren Ausflügen in die Stadt (hier Frankfurt, dort Zürich) lernt die eine lesen und die andere, selbstbest­immt zu denken. Das verändert ihrer beider Leben und die Leben derer, die ihnen nahestehen.

3. Denn eigentlich denkt Nora, überzeugen­d verkörpert von Marie Leuenberge­r, gar nicht ans Wählen. Sie möchte nur ganz gern wieder arbeiten, denn ihre zwei Söhne sind aus dem Gröbsten raus, und ihr ehemaliger Arbeitgebe­r sucht wieder eine Sekretärin. In Teilzeit. Aber Hans (Max Simonische­k) ist dagegen, und der Film bildet absolut beklemmend ab, wie diese gegensätzl­ichen Interessen ausgetrage­n werden.

Erst sagt Hans nur, die Kinder sollten doch ein richtiges Essen daheim bekommen und keines aus Konservend­osen, dann kommt die nächste Stufe: „Ich will nicht, dass ständig fremde Männer um dich herum sind.“Bis er schließlic­h das berühmte Machtwort spricht – denn dies ist eine Welt, in der Männer Machtworte sprechen – und ihr klarmacht, dass er das zu entscheide­n hat und nicht sie, denn „so ist das Gesetz“.

AUCH FRAUEN WAREN GEGEN DAS FRAUENSTIM­MRECHT

4. Tatsächlic­h überlebte dieses Ehegesetz in der Schweiz überrasche­nd lange. Obwohl die Frauen ab 1971 wählen durften, wurde es erst 1988 nach dem Grundsatz der Gleichbere­chtigung von Mann und Frau aufgebaut. Bis dahin blieben solche Entscheidu­ngen Männersach­e. Auch in Deutschlan­d, wo das Frauenwahl­recht 1918 eingeführt wurde, galt noch bis 1977 eine gesetzlich vorgeschri­ebene Aufgabente­ilung in der Ehe: Die Frauen waren zur Führung des Haushaltes verpflicht­et, und die Männer konnten ihnen verbieten, arbeiten zu gehen. Schon zuvor waren Männer und Frauen laut Grundgeset­z gleichbere­chtigt – aber eben nicht in der Ehe.

5. Man könnte annehmen, dass diese Situation nur den Männern von Nutzen war. „Die göttliche Ordnung“zeigt pointiert und entlarvend, wie auch Frauen sich gegen das Frauenstim­mrecht stemmten. In Noras Heimatort ist das vor allem die Besitzerin der Schreinere­i (Therese Affolter), die täglich zwanzig Männer herumkomma­ndiert, aber verhindern will, dass auch andere Frauen etwas zu sagen haben könnten. Deshalb steht sie dem „Aktionskom­itee gegen die Verpolitis­ierung der Frau“vor und sammelt allen Ernstes von den Rechtlosen Geld dafür ein, ihre Rechtlosig­keit zu erhalten. Dafür bekommen sie schließlic­h „das Privileg, sich ganz der Familie widmen zu können“. Doch Marie gewinnt auch Verbündete: die alte Vroni (Sibylle Brunner) und die Italieneri­n Graziella

(Marta Zoffoli), die das Wirtshaus am Ort gekauft hat. Die drei Frauen fahren gemeinsam nach Zürich, stehen völlig erleuchtet am Rande einer Demonstrat­ion und lernen in einer herrlichen Szene inmitten von anderen Frauen mit kleinen Spiegeln ihre Vulven kennen. Einen Tiger habe sie zwischen den Beinen, sagt Nora anschließe­nd mit neuem Selbstbewu­sstsein.

6. Wie der Kampf um das Frauenstim­mrecht ausging, ist bekannt. Den Weg dahin zu verfolgen ist trotzdem aufregend. Dazu trägt die unaufdring­lich authentisc­he Ausstattun­g genauso bei wie das Schweizerd­eutsch mit Untertitel­n in der nicht synchronis­ierten Fassung. Beide vervollstä­ndigen das Gefühl, der Film spiele in einem Land, das sehr viel weiter von uns weg ist als die Schweiz, und in einer Zeit, die eher hundert denn sechsundvi­erzig Jahre vergangen ist. Das zeigt über das Thema des Films hinaus eines: Hinter gesellscha­ftliche Veränderun­gen, so zäh sie auch vonstatten­gehen, geht es keinen Schritt zurück.

Wie der Kampf um das Frauenstim­mrecht ausging, ist bekannt. Den Weg dahin zu verfolgen ist trotzdem aufregend.

 ??  ??
 ?? (© Surtsey Films) ?? Vroni (Sybille Brunner) und Nora (Marie Leuenberge­r) fahren nach Zürich, um dort für ihre Rechte zu demonstrie­ren.
(© Surtsey Films) Vroni (Sybille Brunner) und Nora (Marie Leuenberge­r) fahren nach Zürich, um dort für ihre Rechte zu demonstrie­ren.

Newspapers in French

Newspapers from France