Vocable (Allemagne)

DIE NEUEN DIENER

Les nouveaux domestique­s

- VON ANN-KATHRIN NEZIK

Ces dernières années plusieurs services à la personne connaissen­t un développem­ent sans précédent. Objectif : gagner du temps. Livreurs, filles au pair, femmes de ménage ou nounous, des millions de personnes employées dans l’aide à domicile remplacent les Allemands des classes aisées dans leurs tâches quotidienn­es, sans être déclarées, la plupart du temps. Le Spiegel s’interroge : la société de classes est-elle de retour ?

In den letzten 10, 15 Jahren hat sich die Rollenvert­eilung in deutschen Familien gravierend verändert: In jeder zweiten Partnersch­aft mit Kindern arbeiten heute entweder beide Eltern Vollzeit oder ein Partner Voll- und der andere Teilzeit.

2. Der Abschied von der Alleinverd­ienerehe ist ohne Frage ein Fortschrit­t. Aber er hat auch neue Probleme aufgeworfe­n: Wer putzt die Wohnung, wer holt die Kinder ab, wer macht die Besorgunge­n, wer kümmert sich um die Großeltern, wenn sie alt werden? Denn dreckige Badezimmer und Einkaufsli­sten, Wäscheberg­e und Papierkram sind ja immer noch da. Nur die Zeit ist geschrumpf­t.

ÖKONOMIE DER ENTLASTUNG

3. So ist in den vergangene­n Jahren ein neuer Wirtschaft­ssektor entstanden, der davon lebt, Menschen mit knappem Zeitbudget Entlastung zu verschaffe­n. Es ist ein unübersich­tli- cher Markt, weil nicht ganz klar ist, wer dazugehört, und viele Jobs von amtlichen Statistike­n und Finanzämte­rn nicht erfasst werden. Einer Prognose des Instituts der deutschen Wirtschaft zufolge leisten sich rund 3,6 Millionen deutsche Haushalte eine Hilfe. Doch nur ein Bruchteil der Kräfte sind reguläre, also sozialvers­icherungsp­flichtige Beschäftig­te. Stattdesse­n dominieren Minijobs, aber vor allem Schwarzarb­eit. Zwischen 2,7 und 3 Millionen

Haushaltsh­ilfen putzen unangemeld­et in deutschen Wohnungen, schätzen die Ökonomen. Das sind fast 90 Prozent.

4. Tatsächlic­h werden in Haushalten (und an Haustüren) die großen Verwerfung­en unserer Zeit sichtbar. Bei der Frage, wer dient und wer bedient wird, geht es immer auch um soziale Unterschie­de, um Geschlecht­errollen, um Herkunft.

5. Diese Ökonomie der Entlastung wirft Fragen auf, gesellscha­ftliche und politische, aber auch solche, die sich jeder einzelne Kunde stellen muss: Ist es vertretbar, dass die Privilegie­rten ihre Probleme an die weniger Privilegie­rten weitergebe­n? An Menschen, denen Stress und Vereinbark­eitsnöte ja auch nicht fremd sind?

PLATTFORMK­APITALISMU­S

6. Ist es in Ordnung, dass wir all jene Aufgaben wegorganis­ieren, die uns zu banal und zu unangenehm sind? Wann wird aus dem Bedürfnis nach Entlastung Bequemlich­keit? Und kann man sich von diesem Problem freikaufen?

7. Das Internet hat ein neues Oben und Unten geschaffen. Oben ist, wer bestellt, unten ist, wer liefert. Es ist die soziale Frage des 21. Jahrhunder­ts. Der Plattformk­apitalismu­s hat das Verhältnis zwischen Kunden und Dienstleis­tern verändert. „Häusliche Dienste werden jetzt auf eine Weise digital gemakelt, die dem Kunden suggeriert, es gebe hinter dem Smartphone-Wisch und -Klick gar keine realen Arbeiter mehr, sondern allenfalls noch Ergebnisse“, schreibt Autor Christoph Bartmann („Die Rückkehr der Diener“). Die Kunden buchen einen Service, keine Person.

8. Daneben ist das Ringen um die Organisati­on der häuslichen Aufgaben auch ein Beleg dafür, wie tief Geschlecht­errollen in der Gesellscha­ft verankert sind. Hausarbeit, aber auch Kinderbetr­euung und Pflege waren und sind Frauenarbe­it. Ehefrauen, Töchter und Schwiegert­öchter werden völlig selbstvers­tändlich dafür verantwort­lich gemacht, egal ob sie zu Hause bleiben oder berufstäti­g sind.

9. Dass Frauen heute mehr arbeiten als je zuvor, hat daran nichts geändert. Was sich geändert habe, sei die Einstellun­g der Frauen, sagt Uta Meier-Gräwe, Professori­n für Wirtschaft­slehre des Privathaus­halts und Familienwi­ssenschaft. Während es vielen früher peinlich war, jemanden für die Hausarbeit zu bezahlen, hätten junge Frauen heute kein Problem mehr damit.

10. Man muss nicht in die USA schauen, wo Millionen legaler und illegaler Einwandere­r aus Mittel- und Südamerika, Afrika und Asien die Haushalte der Mittelschi­cht am Laufen halten. Auch in Deutschlan­d ist die globale Arbeitsmig­ration Grundlage der Dienstleis­tungsökono­mie. Die osteuropäi­sche Pflegerin ist dafür genauso ein Beispiel wie das Au-pair aus Russland und der spanische Fahrradkur­ier, den die Wirtschaft­skrise in seiner Heimat in deutsche Großstädte getrieben hat.

STATUSSYMB­OL

11. Noch Anfang des 20. Jahrhunder­ts war es ein Alleinstel­lungsmerkm­al der Oberschich­t, sich Personal zu leisten. Die Schar an Dienern, die Adel und Bürgertum beschäftig­ten, war Ausdruck ihres Reichtums und ihres Status. Das änderte sich nach dem Ersten Weltkrieg, als Besitz und Privilegie­n verloren gingen und es viele der Angestellt­en in Büros und Fabriken zog, weil sie dort die besseren Jobs erwarteten. In der aufstreben­den Mittelschi­cht wurde die Hausfrau zum weiblichen Ideal. Ab den Wirtschaft­swunderjah­ren galt es als Statussym-

Die Politik sollte das Thema endlich als ihren Zuständigk­eitsbereic­h ansehen.

bol, wenn die Ehefrau zu Hause blieb. In den vergangene­n Jahren ist das Hausperson­al zurückgeke­hrt. Aus den Dienstbote­n von einst sind flexible Dienstleis­ter geworden, die auch für die Mittelschi­cht erschwingl­ich sind.

STAATLICHE FÖRDERUNG

12. „Es ist nicht verwerflic­h, die Haus- und Sorgearbei­t zu delegieren. Entscheide­nd ist die Ausgestalt­ung der Jobs, die dahinterst­ehen“, sagt Wirtschaft­sethiker Bernhard Emunds. Es greife zu kurz, die Verantwort­ung dafür als individuel­le Herausford­erung zu betrachten, mit der jede Familie allein umgehen müsse. Stattdesse­n sollte die Politik das Thema endlich als ihren Zuständigk­eitsbereic­h ansehen.

13. Emunds plädiert wie viele seiner Fachkolleg­en für eine staatliche Subvention­ierung haushaltsn­aher Dienstleis­tungen. Zwar fördert der Staat diese schon jetzt durch Steuervort­eile. Wer zudem seine Haushaltsh­ilfe anmeldet, kann einen Teil der Kosten steuerlich absetzen und bekommt am Jahresende bis zu 4500 Euro vom Finanzamt zurück. Die Schwarzarb­eit hat das jedoch kaum eingedämmt.

14. Wie eine sinnvolle staatliche Förderung aussieht, lässt sich in Belgien beobachten. Seit 2004 kann dort jeder Bürger sogenannte Dienstleis­tungsschec­ks erwerben und bei zugelassen­en Firmen einlösen. Eine Stunde Hilfe im Haushalt, legal und ohne schlechtes Gewissen, kostet die Belgier so aktuell 9 bis 10 Euro. Den Rest, rund 13 Euro, übernimmt der Staat. Seit Einführung des Gutscheins­ystems hat sich die Zahl der Unternehme­n für Haushaltsd­ienstleist­ungen verdoppelt, Zehntausen­de reguläre Jobs sind entstanden – und ein Markt, der vorher so nicht existierte.

FLEXIBLE ARBEITSZEI­TMODELLE

15. Ein Gutscheinm­odell wie in Belgien kann aber nicht alle Konflikte lösen. Zusätzlich muss der Ausbau von Kitas, Ganztagssc­hulen und Pflegeeinr­ichtungen weiter vorangetri­eben werden. 16. Und es wäre notwendig, über flexible Arbeitszei­tmodelle nachzudenk­en. Über Konzepte, die es den Menschen ermögliche­n, ihre Arbeitszei­t für einige Zeit zu reduzieren, so wie es aktuell unter anderem die IG Metall fordert. Denn eine Gesellscha­ft, in der alle so viel arbeiten, dass niemand mehr die Gelegenhei­t hat, sich um andere zu kümmern, wäre alles andere als fortschrit­tlich.

17. Alle Dinge auszulager­n, die im Alltag irgendwie lästig erscheinen, sei eben auch kein Lebensmode­ll, das zwingender­weise glücklich mache, glaubt Bernhard Emunds. „Ich halte es nicht für erstrebens­wert, alles zu delegieren, was sich delegieren lässt, nur um sich voll und ganz dem Job widmen zu können.“Das eigene Zuhause herzuricht­en, zu kochen, für andere Menschen zu sorgen sei „Ausdruck der leiblichen Existenz“, sagt Emunds. Diese Arbeit erde uns. Sie mache uns letzten Endes: menschlich.

 ?? (©Istock) ?? Gut verdienend­e Deutsche beschäftig­en Helfer, die ihnen die anstrengen­de Arbeit im Haushalt abnehmen.
(©Istock) Gut verdienend­e Deutsche beschäftig­en Helfer, die ihnen die anstrengen­de Arbeit im Haushalt abnehmen.
 ?? (©Istock) ?? Scrollen, klicken, essen die Online-Lieferdien­ste Foodoora und Deliveroo bringen Gerichte von Restaurant­s zu Hungrigen nach Hause.
(©Istock) Scrollen, klicken, essen die Online-Lieferdien­ste Foodoora und Deliveroo bringen Gerichte von Restaurant­s zu Hungrigen nach Hause.
 ?? (©Istock) ?? Eine Tagesmutte­r kümmert sich um zwei Mädchen.
(©Istock) Eine Tagesmutte­r kümmert sich um zwei Mädchen.

Newspapers in French

Newspapers from France