DIE NEUEN DIENER
Les nouveaux domestiques
Ces dernières années plusieurs services à la personne connaissent un développement sans précédent. Objectif : gagner du temps. Livreurs, filles au pair, femmes de ménage ou nounous, des millions de personnes employées dans l’aide à domicile remplacent les Allemands des classes aisées dans leurs tâches quotidiennes, sans être déclarées, la plupart du temps. Le Spiegel s’interroge : la société de classes est-elle de retour ?
In den letzten 10, 15 Jahren hat sich die Rollenverteilung in deutschen Familien gravierend verändert: In jeder zweiten Partnerschaft mit Kindern arbeiten heute entweder beide Eltern Vollzeit oder ein Partner Voll- und der andere Teilzeit.
2. Der Abschied von der Alleinverdienerehe ist ohne Frage ein Fortschritt. Aber er hat auch neue Probleme aufgeworfen: Wer putzt die Wohnung, wer holt die Kinder ab, wer macht die Besorgungen, wer kümmert sich um die Großeltern, wenn sie alt werden? Denn dreckige Badezimmer und Einkaufslisten, Wäscheberge und Papierkram sind ja immer noch da. Nur die Zeit ist geschrumpft.
ÖKONOMIE DER ENTLASTUNG
3. So ist in den vergangenen Jahren ein neuer Wirtschaftssektor entstanden, der davon lebt, Menschen mit knappem Zeitbudget Entlastung zu verschaffen. Es ist ein unübersichtli- cher Markt, weil nicht ganz klar ist, wer dazugehört, und viele Jobs von amtlichen Statistiken und Finanzämtern nicht erfasst werden. Einer Prognose des Instituts der deutschen Wirtschaft zufolge leisten sich rund 3,6 Millionen deutsche Haushalte eine Hilfe. Doch nur ein Bruchteil der Kräfte sind reguläre, also sozialversicherungspflichtige Beschäftigte. Stattdessen dominieren Minijobs, aber vor allem Schwarzarbeit. Zwischen 2,7 und 3 Millionen
Haushaltshilfen putzen unangemeldet in deutschen Wohnungen, schätzen die Ökonomen. Das sind fast 90 Prozent.
4. Tatsächlich werden in Haushalten (und an Haustüren) die großen Verwerfungen unserer Zeit sichtbar. Bei der Frage, wer dient und wer bedient wird, geht es immer auch um soziale Unterschiede, um Geschlechterrollen, um Herkunft.
5. Diese Ökonomie der Entlastung wirft Fragen auf, gesellschaftliche und politische, aber auch solche, die sich jeder einzelne Kunde stellen muss: Ist es vertretbar, dass die Privilegierten ihre Probleme an die weniger Privilegierten weitergeben? An Menschen, denen Stress und Vereinbarkeitsnöte ja auch nicht fremd sind?
PLATTFORMKAPITALISMUS
6. Ist es in Ordnung, dass wir all jene Aufgaben wegorganisieren, die uns zu banal und zu unangenehm sind? Wann wird aus dem Bedürfnis nach Entlastung Bequemlichkeit? Und kann man sich von diesem Problem freikaufen?
7. Das Internet hat ein neues Oben und Unten geschaffen. Oben ist, wer bestellt, unten ist, wer liefert. Es ist die soziale Frage des 21. Jahrhunderts. Der Plattformkapitalismus hat das Verhältnis zwischen Kunden und Dienstleistern verändert. „Häusliche Dienste werden jetzt auf eine Weise digital gemakelt, die dem Kunden suggeriert, es gebe hinter dem Smartphone-Wisch und -Klick gar keine realen Arbeiter mehr, sondern allenfalls noch Ergebnisse“, schreibt Autor Christoph Bartmann („Die Rückkehr der Diener“). Die Kunden buchen einen Service, keine Person.
8. Daneben ist das Ringen um die Organisation der häuslichen Aufgaben auch ein Beleg dafür, wie tief Geschlechterrollen in der Gesellschaft verankert sind. Hausarbeit, aber auch Kinderbetreuung und Pflege waren und sind Frauenarbeit. Ehefrauen, Töchter und Schwiegertöchter werden völlig selbstverständlich dafür verantwortlich gemacht, egal ob sie zu Hause bleiben oder berufstätig sind.
9. Dass Frauen heute mehr arbeiten als je zuvor, hat daran nichts geändert. Was sich geändert habe, sei die Einstellung der Frauen, sagt Uta Meier-Gräwe, Professorin für Wirtschaftslehre des Privathaushalts und Familienwissenschaft. Während es vielen früher peinlich war, jemanden für die Hausarbeit zu bezahlen, hätten junge Frauen heute kein Problem mehr damit.
10. Man muss nicht in die USA schauen, wo Millionen legaler und illegaler Einwanderer aus Mittel- und Südamerika, Afrika und Asien die Haushalte der Mittelschicht am Laufen halten. Auch in Deutschland ist die globale Arbeitsmigration Grundlage der Dienstleistungsökonomie. Die osteuropäische Pflegerin ist dafür genauso ein Beispiel wie das Au-pair aus Russland und der spanische Fahrradkurier, den die Wirtschaftskrise in seiner Heimat in deutsche Großstädte getrieben hat.
STATUSSYMBOL
11. Noch Anfang des 20. Jahrhunderts war es ein Alleinstellungsmerkmal der Oberschicht, sich Personal zu leisten. Die Schar an Dienern, die Adel und Bürgertum beschäftigten, war Ausdruck ihres Reichtums und ihres Status. Das änderte sich nach dem Ersten Weltkrieg, als Besitz und Privilegien verloren gingen und es viele der Angestellten in Büros und Fabriken zog, weil sie dort die besseren Jobs erwarteten. In der aufstrebenden Mittelschicht wurde die Hausfrau zum weiblichen Ideal. Ab den Wirtschaftswunderjahren galt es als Statussym-
Die Politik sollte das Thema endlich als ihren Zuständigkeitsbereich ansehen.
bol, wenn die Ehefrau zu Hause blieb. In den vergangenen Jahren ist das Hauspersonal zurückgekehrt. Aus den Dienstboten von einst sind flexible Dienstleister geworden, die auch für die Mittelschicht erschwinglich sind.
STAATLICHE FÖRDERUNG
12. „Es ist nicht verwerflich, die Haus- und Sorgearbeit zu delegieren. Entscheidend ist die Ausgestaltung der Jobs, die dahinterstehen“, sagt Wirtschaftsethiker Bernhard Emunds. Es greife zu kurz, die Verantwortung dafür als individuelle Herausforderung zu betrachten, mit der jede Familie allein umgehen müsse. Stattdessen sollte die Politik das Thema endlich als ihren Zuständigkeitsbereich ansehen.
13. Emunds plädiert wie viele seiner Fachkollegen für eine staatliche Subventionierung haushaltsnaher Dienstleistungen. Zwar fördert der Staat diese schon jetzt durch Steuervorteile. Wer zudem seine Haushaltshilfe anmeldet, kann einen Teil der Kosten steuerlich absetzen und bekommt am Jahresende bis zu 4500 Euro vom Finanzamt zurück. Die Schwarzarbeit hat das jedoch kaum eingedämmt.
14. Wie eine sinnvolle staatliche Förderung aussieht, lässt sich in Belgien beobachten. Seit 2004 kann dort jeder Bürger sogenannte Dienstleistungsschecks erwerben und bei zugelassenen Firmen einlösen. Eine Stunde Hilfe im Haushalt, legal und ohne schlechtes Gewissen, kostet die Belgier so aktuell 9 bis 10 Euro. Den Rest, rund 13 Euro, übernimmt der Staat. Seit Einführung des Gutscheinsystems hat sich die Zahl der Unternehmen für Haushaltsdienstleistungen verdoppelt, Zehntausende reguläre Jobs sind entstanden – und ein Markt, der vorher so nicht existierte.
FLEXIBLE ARBEITSZEITMODELLE
15. Ein Gutscheinmodell wie in Belgien kann aber nicht alle Konflikte lösen. Zusätzlich muss der Ausbau von Kitas, Ganztagsschulen und Pflegeeinrichtungen weiter vorangetrieben werden. 16. Und es wäre notwendig, über flexible Arbeitszeitmodelle nachzudenken. Über Konzepte, die es den Menschen ermöglichen, ihre Arbeitszeit für einige Zeit zu reduzieren, so wie es aktuell unter anderem die IG Metall fordert. Denn eine Gesellschaft, in der alle so viel arbeiten, dass niemand mehr die Gelegenheit hat, sich um andere zu kümmern, wäre alles andere als fortschrittlich.
17. Alle Dinge auszulagern, die im Alltag irgendwie lästig erscheinen, sei eben auch kein Lebensmodell, das zwingenderweise glücklich mache, glaubt Bernhard Emunds. „Ich halte es nicht für erstrebenswert, alles zu delegieren, was sich delegieren lässt, nur um sich voll und ganz dem Job widmen zu können.“Das eigene Zuhause herzurichten, zu kochen, für andere Menschen zu sorgen sei „Ausdruck der leiblichen Existenz“, sagt Emunds. Diese Arbeit erde uns. Sie mache uns letzten Endes: menschlich.