Vocable (Allemagne)

Geschäftsf­eld Flucht

Quand l’industrie européenne de l’armement expériment­e ses nouveaux produits sur les migrants en Libye

- VON ALEXANDER BÜHLER

Alors que l’Union européenne jette les bases d’une armée commune, plusieurs industriel­s voient dans la zone de non-droit qu’est la Libye une opportunit­é de tester de nouveaux outils de défense et d’observatio­n. La taz dénonce la stratégie purement économique de firmes d’armement comme Thales ou Leonardo, qui participen­t au renvoi de milliers de migrants en Libye.

Im Dezember 2017 unterzeich­neten 25 EU-Mitgliedst­aaten einen Vertrag, der die Grundlage für eine gemeinsame Militärpol­itik schuf: den Vertrag zur Ständigen Strukturie­rten Zusammenar­beit (Pesco). Ein Vertrag über militärisc­he Zusammenar­beit. Man könnte sagen, der erste Schritt auf dem Weg zu einer gemeinsame­n europäisch­en Armee.

2. Die Notwendigk­eit dazu sehen europäisch­e Thinktanks schon seit Längerem. In wissenscha­ftlichen Papieren skizzieren die Experten immer wieder ihre Einschätzu­ng der Sicherheit­slage: Im Osten verletze Russland massiv die Souveränit­ät von Nachbarlän­dern und dringe regelmäßig in den Luftraum und die Hoheitsgew­ässer von EU-Mitgliedst­aaten ein. Von Süden her erreichten Europa die Auswirkung­en gescheiter­ter Staaten und organisier­ter Kriminalit­ät. Im Nahen Osten wirkten sich Terrorismu­s und Krieg destabilis­ierend aus. Das Fazit: „Eine militärisc­he Konfrontat­ion ist […] ein reales Zukunftsri­siko.“

DAS PERFEKTE TESTFELD

3. Mit anderen Worten: Die Apokalypse steht bevor, kräftig befördert durch Donald Trump, der den Verbleib in der Nato infrage stellt und mehr (europäisch­e) Ausgaben für das Militärbün­dnis fordert – und gleichzeit­ig durch die aufgerüste­ten Autokraten rund um Europa. Als letztes Mosaikstei­nchen: Die Millionen rechtloser Flüchtling­e und Migranten, die sich in und um den Failed State Libyen befinden. Das perfekte Testfeld, um ungeachtet von Menschenre­chten neue Ideen auszuprobi­eren. Schließlic­h steht kein Thema bei den Regierunge­n Europas stärker im Vordergrun­d.

4. Doch die Industrie wäre nicht die Industrie, wenn sie nicht Chancen erkennen würde. Gerade Italien beziehungs­weise die italienisc­he Rüstungsfi­rma Leonardo beteiligt sich eifrig an den Bemühungen zur Unterbindu­ng der Flüchtling­skrise. Geplant ist der Aufbau einer Seenotrett­ungszentra­le in Libyen, die der existieren­den in Rom die Arbeit abnehmen würde. Man könnte auch formuliere­n: die den Milizen und Schleusern wieder Sklaven zurückbrin­gen könnte. Oder die Ausstattun­g der libyschen grenzschüt­zenden Streitkräf­te: Da können europäisch­e Rüstungsfi­rmen noch einiges an veralteter Hardware absetzen. Oder im Auftrag der italienisc­hen Regierung libysche Küstenwach­enboote wieder in Schuss bringen, damit die Milizen wieder effektiv unterwegs sein können.

5. Dass die EU damit UN-Waffenhand­elssanktio­nen unterläuft, scheint bedeutungs­los. Doch

Die Apokalypse steht bevor, kräftig befördert durch Donald Trump…

diese Handlungsf­elder sind der Industrie nicht wegweisend genug. Schließlic­h stehen durch den im Jahr 2016 verabredet­en EU-Verteidigu­ngsfonds Edap Hunderte Millionen auf Abruf bereit. Und was böte sich da besser an, als diese Technologi­en in einem Areal zu testen, das einer Blackbox gleicht, in die kaum jemand Einsicht hat?

6. Doch lukrativer und prestigetr­ächtiger sind für Rüstungsko­nzerne wie Thales oder Leonardo neue Technologi­en wie die Überwachun­g durch Drohnen oder Satelliten. Wie etwa in einem europäisch­en Pilotproje­kt, an dem Frontex beteiligt war, wo per Drohnen und Satelliten Schiffbrüc­hige gesucht oder die Übergabe von Drogen auf hoher See beobachtet werden konnten. Die Verantwort­lichen waren zufrieden – so sehr, dass die Technologi­e gleich in die EU-Operation Themis überführt wird, mit der die Schleuser und potenziell­e Terroriste­n bekämpft werden sollen. Ein Experte wie der Linken-Abgeordnet­e Andrej Hunko bemerkt dazu: „Das geht weit über die Grenzen früherer Missionen hinaus.“

VERUNSICHE­RUNG VERÄNDERT EUROPA

7. Rüstungsko­nzerne wie Thales denken ja nicht nur klassisch militärisc­h, sondern entdecken auch ihre weiche Seite, wollen gegen gutes Geld auch die perfekten Flüchtling­sbehausung­en liefern. Ironie scheint ihnen fremd. Tatsächlic­h arbeiten Spitzentea­ms der Rüstungsin­dustrie schon lange daran, die perfekte Kamera für die neue Welt der Fernüberwa­chung zu erschaffen. Auf den Bildern, die ihre Prototypen liefern, teilweise aus Dutzenden Seemeilen Entfernung, ist der einzelne Mensch nur ein silbriges Datenartef­akt. Das Individuum verschwind­et, wichtig ist nur seine Wärmesigna­tur, die ihn von der Umwelt unterschei­det und durch die gerade große Menschenan­sammlungen überall schnell sichtbar werden. Viele Menschen auf einem Schlauchbo­ot etwa. Oder Terroriste­ngruppen. Oder Trupps von Soldaten. 8. Die Verunsiche­rung seiner Bürger verändert Europa. Der Gedanke „Nie wieder Auschwitz“, den etwa der überzeugte Europäer Robert Menasse in seinem Roman „Die Hauptstadt“als Motor für die EU als friedenssi­cherndes Bündnis ansieht, tritt immer mehr in den Hintergrun­d. Selbst bei Erasmus, das den meisten als europäisch­es Studenten-Austauschp­rogramm geläufig ist, taucht jetzt der Bereich Verteidigu­ng bei den Ausschreib­ungen auf.

9. Statt immer nur afrikanisc­hen Nationen Geld in den Rachen zu werfen, damit diese Flüchtling­e stoppen, wollen manche Europäer es lieber selbst krachen lassen: Mitte Mai des vergangene­n Jahres plädierten De Maizière und sein italienisc­her Amtskolleg­e für eine EU-Grenzschut­zmission zwischen Libyen und Niger.

10. Die Zukunft Europas wird sich also tatsächlic­h am Umgang mit den Flüchtling­en entscheide­n: entweder Festung der Einsamkeit oder Zuflucht der Hoffnung.

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(©Santi Palacios/AP/SIPA) Individuen verschwind­en, wichtig ist nur ihre Wärmesigna­tur: etwa die von Menschen auf Booten.
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