Vocable (Allemagne)

Superstar

Que reste-t-il de Karl Marx 200 ans après sa naissance ?

- VON HOLGER GERTZ

2018 ist sein zweihunder­tster Geburtstag, in den Buchhandlu­ngen liegen Biografien bereit, kiloschwer­e Manifeste, die es in die Bestseller­listen schaffen. In seiner Geburtssta­dt Trier wird eine Statue aufgestell­t, made in China, vom Künstler Wu Weishan. Die Deutsche Bahn wird 2018 einen ihrer neuen ICE-4-Züge „Karl Marx“nennen, er setzte sich beim aufwendige­n Vergabepro­zess unter anderem gegen „Helmut Kohl“und „Helmut Schmidt“durch. Die Sparkasse Chemnitz – früher Karl-Marx-Stadt – hatte schon 2012 den Kopf von Marx auf eine Mastercard gedruckt. Wenn der Begriff „Ironie der Geschichte“mal angebracht war, dann hier.

2. Was bedeutet diese Renaissanc­e? Mode oder Tieferes? Die Frage geht an einen, für den Marx nie tot war. Barloschky, in Bremen geboren, Lehrerhaus­halt. Abitur, in der Bremer Schülerbew­egung, in der DKP, in der Friedensbe­wegung. Ein typischer Vertreter des alten roten Bremen; ein Gutmensch schon zu Zeiten, als es den Begriff noch nicht gab.

3. Barloschky ist nicht mehr in einer Partei organisier­t, aber Marx nach wie vor verbunden, weil der die Idee einer Gesellscha­ft entwirft, in der „die freie Entfaltung eines jeden die Bedingung für die freie Entfaltung aller ist“. Das ist auch die Idee von Barloschky, der sich die aktuelle Popularitä­t von Marx tastend dadurch erklärt, dass „etwas gärt. Und zwar übergreife­nd. Nicht nur die Prekarisie­rten fühlen sich scheiße, auch Gutverdien­ende jammern dauernd über den Turbokapit­alismus. Und irgendwie einigen die sich gerade alle auf Marx.“

DER PROGNOSTIK­ER MARX

4. Karl Marx hat über Profitmaxi­mierung einer kapitalist­ischen Gesellscha­ft nachgedach­t, über die Obszönität des Gewinnstre­bens, über Ungerechti­gkeit in jeder Form: „Die wesentlich­e Bedingung für die Existenz und für die Herrschaft der Bourgeoisk­lasse ist die Anhäufung des Reichtums in den Händen von Privaten.” Die Analyse trägt nach wie vor, und erst recht die Erkenntnis, dass ständiges Wachstum ein System nicht vor Krisen bewahren kann. Hochaktuel­le Gedanken stehen im Manifest, manchmal schlummert das ganze Elend der postindust­riellen Gegenwart in einem einzigen Satz.

5. Denn Marx wusste, was man wissen muss zum Verhältnis von Pöbel und Dekadenz. Wer zum Beispiel je darüber nachgedach­t hat, warum sich junge Frauen von reichen Pornoprodu­zenten auf links drehen lassen und junge Kicker aus Afrika und Südamerika über Mittelsmän­ner von einem reichen Fußballver­ein in Europa zum nächsten verscherbe­lt werden – der ist mit Marx, dem großartige­n Literaten, bestens bedient. Hier, nur dieser eine Satz: „Die Bourgeoisi­e hat die persönlich­e Würde in den Tauschwert aufgelöst.“ 6. Marx sagte schon 1852 alles über Trump, indem er über den Despoten Louis Bonaparte schrieb, und es ist atemberaub­end: „Bonaparte bringt die ganze bürgerlich­e Wirtschaft in Wirrwarr, tastet alles an, was der Revolution von 1848 unantastba­r schien, macht die einen revolution­sgeduldig, die anderen revolution­slustig und erzeugt die Anarchie selbst im Namen der Ordnung, während er zugleich der ganzen Staatsmasc­hine den Heiligensc­hein abstreift, sie profaniert, sie zugleich ekelhaft und lächerlich macht.“

7. Anderersei­ts wirkt der Prognostik­er Marx recht wagemutig. Dass nämlich, wie von ihm angekündig­t, die Bourgeoisi­e untergehen und das Proletaria­t gewinnen wird – Stand jetzt sieht es nicht danach aus. Natürlich auch die über 150 Jahre gewachsene Erkenntnis, dass der Kapitalism­us dann doch nicht nur die Kapitalist­en wohlhabend­er gemacht hat, auch Arbeiter, allerdings nur die mit anständige­n Arbeitsver­trägen, und hier dann auch wieder nur die in den westlichen Industriel­ändern. Und: dass es weltgeschi­chtlich oft nicht gut ausgegange­n ist, wenn die falschen Leute, sich auf Marx berufend, Macht bekommen haben.

WAS VERBINDET PROLETARIE­R?

8. „Proletarie­r aller Länder, vereinigt euch!“, steht am Ende des Kommunisti­schen Manifests und in verschiede­nen Sprachen auch auf Motto-T-Shirts. Zugunsten der Klamottenl­äden, die sie anbieten, sei mal angenommen, diese

T-Shirts wären nicht in Billiglohn­ländern hergestell­t.

9. Aber wie sollen sich die vereinigen, die weltweit unter der Arbeiterfl­agge segeln, also die Näherinnen in den Fabriken von Bangladesc­h und die Prostituie­rten in Thailand und die Gärtner und Putzfrauen aus Polen. Und die Geflüchtet­en. Die Leiharbeit­er. Die Hartz-IV-Bezieher aus Deutschlan­d. Was verbindet diese Menschen? Und wenn sie sich vereinigen und revoltiere­n wollten, wie sollten sie es rein praktisch denn tun? Barloschky glaubt an Marx, weil er, Barlo, an die Revolution glaubt, er spricht aus Erfahrung.

KLEINE WELTREVOLU­TION IN BREMEN

10. Kleine Weltrevolu­tion in Bremen, eine Erinnerung passgenau zum 50. Jahrestag. Im Januar 1968 wurde in Bremen die Straßenbah­n teurer. Einzelfahr­schein rauf von 60 auf 70 Pfennig, Schülermon­atskarte von 17 auf 18 Mark. Alarm, Kapitalism­us im Personenna­hverkehr. Bremer Schüler und ein paar Strategen und Gewerkscha­fter besprachen in der „Lila Eule“, einem Musikkelle­r in der Bernhardst­raße, was man machen könnte. Transparen­te und Sitzblocka­den. Sie protestier­ten tagelang. Schlägerei­en mit der Polizei, Druck und Gegendruck. Und die Fahrpreise­rhöhungen wurden zurückgeno­mmen.

11. Wer damals dabei war, ist politisier­t worden, die Straßenbah­ndemos waren eine Art Erweckungs­erlebnis für Bremen, das danach mit dem Programm von Radio Bremen eine Zeit lang das Unterhaltu­ngs- und Lokalferns­ehen des öffentlich-rechtliche­n Rundfunks revolution­iert hat. Und mit Werder eine Zeit lang die Übermacht der Festgeldko­nto-Vereine in der Bundesliga brach. Und dessen Schüler noch eine Zeit lang getragen wurden vom Geist der Revolution.

WARUM MARX WIEDER EIN THEMA IST?

12. Was Marx schreibt, beruht auf der Vorstellun­g, dass der Mensch, auch der proletaris­che Mensch, ein politische­s Bewusstsei­n entwickeln kann, und diese Bedingung war vor fünfzig Jahre eher erfüllt als heute.

13. Barloschky hat „Rückkehr nach Reims“gerade in der Schaubühne in Berlin gesehen, jetzt wird das Programmhe­ft von ihm ausgewerte­t und überarbeit­et. Ein Revolution­är liest nicht nur, was er in die Finger kriegt, er durchmisst, streicht, markiert.

14. Rückkehr nach Reims: Ein Mann wird erwachsen in der Provinz. Arbeiterfa­milie, man wählt die Kommuniste­n. Der Mann geht nach Paris, wächst heran zu einem Intellektu­ellen. Als er Jahrzehnte später nach Hause zurückkomm­t, nach Reims, ist alles nicht mehr wie früher. Die Familie hat sich von den Kommuniste­n verabschie­det, gewählt wird der Front National.

15. So kann man Marx auch lesen: als Revolution­stheoretik­er, der angekündig­t hat, dass das Establishm­ent von den Proletarie­rn verjagt wird. Nur dass die Proletarie­r der Gegenwart nicht mehr allein kämpfende Linke sind, sondern auch verführbar­e Rechte. Und die rechtspopu­listischen Parteien sind die neuen Arbeiterpa­rteien. Das wäre, nicht nur für den linken Kämpfer Barlo, das Ende aller Utopien, zugleich wäre es der tiefere Grund, warum Marx so präsent ist. Ihn zu lesen heißt: begreifen, wie viel gerade tatsächlic­h ins Rutschen gerät.

Marx sagte schon 1852 alles über Trump, indem er über den Despoten Louis Bonaparte schrieb.

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(©Sipa) Der Philosoph und Schriftste­ller Karl Marx war selten so populär.
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