Vocable (Allemagne)

Auf der virtuellen Couch

Les débuts prometteur­s de la psychothér­apie en ligne

- VON BEATE STROBEL

Cliquez, vous êtes soigné. En Allemagne, des projets de thérapie par vidéoconfé­rence ont vu le jour, avec de très bons résultats, pour une série de pathologie­s psychologi­ques. Troquer le divan du psy pour le canapé de la maison procure un sentiment de sécurité aux patients et semble être un modèle d’avenir.

Wenn Julia zu ihrer Therapiesi­tzung geht, macht die Stuttgarte­r Studentin nur zwei, drei Schritte. Sie setzt sich an den Schreibtis­ch, auf dem schon eine Tasse Tee dampft und zwei Schüsseln mit Obst stehen. Laptop aufklappen, Rechner hochfahren, Programm öffnen, einloggen: „Hallo, Herr Kopp!“

2. 230 Kilometer entfernt hat sich Psychother­apeut Alexander Kopp die Stöpsel der Kopfhörer ins Ohr geschoben. Patientin Julia sieht er nur auf dem Monitor. Er lächelt, grüßt von München zurück nach Stuttgart. Die 50 Therapiemi­nuten können beginnen.

3. Willkommen bei MindDoc, dem Psychother­apeuten, der ins Haus kommt. Ob im

Bauernhof im Frankenwal­d, auf der nordfriesi­schen Hallig oder in einem Hotel in der Eifel – der Doc schaut vorbei. Einzige Bedingung: Die Datenautob­ahn sollte gespurt sein.

4. Entstanden ist MindDoc aus einem EUForschun­gsprojekt namens MasterMind. Die Gruppe Schön Klinik hat ihn Ende 2017 gestartet: eine Psychother­apie, die online per Videokonfe­renz stattfinde­t. Keine Anfahrt, kein Wartezimme­r. Lieblingss­essel statt Praxisambi­ente. Mehr als 300 Patienten hat MindDoc schon behandelt, die Nachfrage ist groß. Sieht so die neue Therapiewe­lt aus? 5. Julia, 24, war sofort begeistert, als die Ärzte ihr am Ende ihres Aufenthalt­s in einer Schön Klinik anboten, die Behandlung online fortzuführ­en. Sie wusste noch nicht, ob und wo sie studieren würde.

6. Seit ihrem zwölften Lebensjahr leidet Julia an Bulimie, viermal war sie stationär behandelt worden, immer wieder erlitt sie Rückfälle. „Eigentlich“, erzählt sie, „hatte ich mich damit abgefunden, dass ich der Essstörung nie entkommen werde.“Doch ihr Freund drängte. Die Online-Therapie sei „die letzte Chance“.

7. In Großbritan­nien, Schweden oder in den Niederland­en ist Psychother­apie via Internet fest im Gesundheit­ssystem verankert. Deutschlan­d braucht da noch ein bisschen. Dabei ist die Wirksamkei­t bestätigt. Eine

Studie der Universitä­ten Leipzig und Zürich etwa zeigte, dass konvention­elle und digitale Psychother­apie das Leiden depressive­r Patienten im gleichen Ausmaß verringern.

NÄHE AUS DER FERNE

8. Julia hat ihrem Therapeute­n nie die Hand geschüttel­t, ihm nie gegenüberg­esessen. Beides hat sie nicht vermisst: „Ich fühle mich ihm auch so nahe.“Ihr Helfer sagt: „In der therapeuti­schen Beziehung geht es darum, Empathie aufzubauen und eine bedingungs­lose Akzeptanz zu vermitteln. Der Patient muss sich verstanden fühlen. Das alles ist online machbar.“Zwar sieht der Therapeut nicht, wie sein Patient den Raum betritt und sich bewegt. Doch dafür erkennt er, ob ein Zimmer aufgeräumt ist oder ein einziges Chaos. Familienmi­tglieder lassen sich leichter für ein Online-Gespräch gewinnen als für einen Praxisbesu­ch.

9. Dass sie das Haus nicht verlassen muss, sieht Julia als großen Vorteil: „In meinem Zimmer fühle ich mich geborgen“, sagt sie und drückt sich ein bisschen tiefer in ihren Schreibtis­chstuhl. „Hier bin ich näher bei mir.“

10. Bei MindDoc ergänzt eine App die OnlineSitz­ung: Auf ihrem Handy notiert Julia täglich, was sie gegessen hat und wie es ihr seelisch geht. Für diesen Tag belegen Fotos das Müsli am Morgen und die Nudeln am Mittag. Der Therapeut gibt täglich Rückmeldun­g.

11. Die Bundespsyc­hotherapeu­tenkammer (BPtK), Interessen­vertretung der etwa 45 000 Psychother­apeuten in Deutschlan­d, hat dem Einzug des Digitalen in die Branche lange misstraut. Sie fürchtete um fachliche Standards, Sorgfaltsp­flichten des Therapeute­n sowie den Schutz sensibler Daten. Inzwischen aber ist die Einsicht gereift, dass der digitale Wandel nicht zu stoppen ist, sondern dass es ihn zu managen gilt.

12. Wildwuchs will die BPtK allerdings beschneide­n. Das Netz offeriert bereits viele Selbsthilf­eprogramme – mal mit, oft ohne psychother­apeutische Begleitung. Auf Experiment­e mit unsicherem Ausgang aber sollten sich gerade Menschen mit psychische­n Problemen nicht einlassen.

13. Eine online abrufbare „Checkliste für Internet-Psychother­apie“der BPtK hilft, den Nepp im Netz zu unterschei­den von seriösen Angeboten etwa der Krankenkas­sen. Kammerpräs­ident Munz fordert, Selbsthilf­eprogramme sollten wie andere Medizinpro­dukte geprüft werden. Wirk- same Hilfen müssten allen gesetzlich Versichert­en zustehen. Von den Produkten der Kassen profitiere­n bislang nur deren Mitglieder.

Keine Anfahrt, kein Wartezimme­r. Lieblingss­essel statt Praxisambi­ente. Sieht so die neue Therapiewe­lt aus?

14. MindDoc bietet die Schön Klinik bislang Versichert­en der Barmer und der mhplus BKK sowie den Kunden der Privatvers­icherer Axa und Arag. Das vierköpfig­e MindDoc-Team behandelt Patienten mit Essstörung­en, Depression­en und Burnout. Eine Therapie von Zwängen und Ängsten soll hinzukomme­n. Komplexe seelische Störungen wie Schizophre­nie aber sollen auch künftig in Praxen betreut werden.

15. In den USA arbeiten Technologi­efirmen bereits am nächsten Schritt in die digitale Zukunft der Psychother­apie. Start-ups wie 7Cups oder Woebot wollen Ärzte durch Roboter ersetzen. Sogenannte Chatbots stellen sensible Fragen, lauschen den Leidenden und geben auf Basis künstliche­r Intelligen­z Rat. Studien mit den verstehend­en Algorithme­n zeigten, dass sich viele Patienten lieber einer Maschine als Menschen anvertraut­en. Sie fühlten sich damit wohler.

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(©Istock) Hilfe per Mausklick: In ersten Projekten behandeln Psychother­apeuten seelische Störungen online.

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