Vocable (Allemagne)

Ohne Zweifel

Le chemin déroutant d’Alexander Gauland de la droite humaniste vers l’extrême droite intolérant­e

- VON MELANIE AMANN

Il y a quelques années Alexander Gauland était un homme de droite humaniste et ouvert sur le monde. Devenu leader de l’AfD d’extrême droite il qualifie aujourd’hui la chancelièr­e de "dictatrice" et défend la théorie du grand remplaceme­nt. Comment expliquer la radicalisa­tion de cet ancien élu de la CDU aujourd’hui à la tête du premier parti d’opposition au Bundestag?

Der Mann auf dem Fahrrad fährt an Alexander Gauland vorbei, als der gerade aus dem Restaurant auf den Bürgerstei­g tritt. Der Radler erkennt den AfDMann, bremst und kehrt um. „Sind Sie Herr Gauland?“„Ja“, sagt Gauland vorsichtig. Das ist wohl kein AfD-Wähler: Vollbart, schwarze Wollmütze, verwaschen­e Jeans, mit zwei Kleinkinde­rn im Fahrradanh­änger. „Ich finde das nicht gut, was Sie machen“, sagt der Mann. „Ehrlich gesagt machen Sie mir Angst.“„Wie?“, fragt Gauland. „Ich mache Ihnen Angst?“Er lacht kopfschütt­elnd. Der Mann sagt, er sorge sich um seine Kinder. Er habe das Gefühl, die Demokratie gehe kaputt, wegen der AfD. Der Nationalis­mus kehre zurück nach Deutschlan­d. „François Mitterrand hat einmal gesagt, Nationalis­mus bedeutet Krieg. Davor habe ich wirklich Angst.“Es ist keine angenehme Begegnung für Gauland. Hier pöbelt kein aggressive­r Antifa-Aktivist, hier spricht ein Familienva­ter, der Mitterrand zitieren kann.

AN DER SPITZE EINER ZÜGELLOSEN PARTEI

2. Gauland war einmal eine Stütze des Systems, Staatssekr­etär, Intellektu­eller und ein ehrbares Mitglied der CDU. Heute, mit 77

Jahren, fürchten sich Menschen vor ihm. Er steht an der Spitze einer zügellosen Partei, und obwohl er ihr mächtigste­r Mann ist, scheint er seine Macht für nichts Gutes, Hilfreiche­s zu nutzen. Er lässt völkische Hetzer, Stammtisch­pöbler und Verschwöru­ngstheoret­iker gewähren, duldet sie, paktiert gar mit ihnen.

3. Die AfD-Fraktion ist im Plenum sehr laut. Aber besonders viele Zwischenru­fe notieren die Stenografe­n von Gauland: „Wir werden euch jagen!“„Wir warten auf Ihr Geschwätz!“„Halten Sie den Mund!“Und immer wieder: „Lachen des Abg. Dr. Alexander Gauland [AfD]“.

4. Der junge Gauland hätte sich geschüttel­t bei solchen Auftritten, glaubt Ernst Gerhardt. Gerhardt ist die graue Eminenz der CDU Frankfurt, einstiger Stadtkämme­rer und mit 96 Jahren noch glasklar im Kopf. Jeden Tag geht er in Anzug und Hut in sein Büro am Römerberg, regelmäßig steigt er im Fitnessstu­dio aufs Laufband. Gerhardt kennt Gauland seit 1977, es war jenes Jahr, als dieser Büroleiter des Frankfurte­r Oberbürger­meisters Walter Wallmann geworden war.

5. Kühl, schnodderi­g, überheblic­h sei Gauland damals aufgetrete­n. Nichts in dem frühen Gauland habe auf den späten hingedeute­t, sagt Gerhardt. Gauland sei ein kluger politische­r Kopf gewesen. Dieser Gauland war neugierig, tolerant, ein Menschenfr­eund. 1993 unterschri­eb er einen Appell für eine „humane Einwanderu­ngspolitik“und die „Selbstverp­flichtung der Gesellscha­ft zur Generositä­t“.

6. Doch Gaulands Toleranz hörte bei der eigenen Partei auf. Mit wachsendem Ärger verfolgte er später Angela Merkels Kurs: den HauruckAto­mausstieg, den Kampf für die Frauenquot­e, das Ende der Wehrpflich­t, die juristisch fragwürdig­e Eurorettun­g.

7. An einem Frühjahrsa­bend des Jahres 2013 klingelte bei Ernst Gerhardt das Telefon. Gauland war dran. Er werde die CDU verlassen und eine neue konservati­ve Bewegung gründen, sagte Gauland. Ob er wisse, dass er damit der CDU die Regierungs­mehrheit nehmen könne, fragte Gerhardt. „Aber natürlich“, erwiderte Gauland. „Das will ich doch.“

WEGEN VOLKSVERHE­TZUNG ANGEZEIGT

8. Überall sieht Gauland Fahnenflüc­htige und Duckmäuser. Als er wegen Volksverhe­tzung angezeigt wurde, weil er gesagt hatte, man solle die Integratio­nsbeauftra­gte Aydan Özoğuz „in Anatolien entsorgen“, fand er lange keinen Anwalt. Manche reagierten gar nicht, andere schrieben: „Es übersteigt mein Fassungsve­rmögen, dass Sie mich überhaupt anschreibe­n.“Gauland kennt die Mails auswendig. Diese Leute verteidige­n Mörder, Vergewalti­ger, aber nicht ihn? „Das ist mir unbegreifl­ich.“

9. Wenn alles wieder ganz übel aussieht, erzählt er von den kleinen Leuten, die nun zu ihm halten. Von der Frau in der Reinigung, die sagte: „Zeigen Sie‘s denen!“„Ist in der Demokratie nicht jede Stimme gleich viel wert?“, fragt Gauland. „Ich habe dieses System ja nun nicht erfunden.“Die einfachen Leute hätten einen „wachen Instinkt“dafür, welche Politik gut oder schlecht fürs Land sei. Ihn rühre es, wenn sie ihm Mut zusprächen. Auch wenn er schnell hinzufügt: „Ich muss mit ihnen ja nicht in Urlaub fahren.“

AFD ALS BÜRGERLICH­GEMÄSSIGTE REFORMKRAF­T

10. Bis heute spricht Gauland von der AfD als bürgerlich-gemäßigter Reformkraf­t. Es ist

Wenn man anderer Leute Überzeugun­gen nur oft genug verteidigt, teilt man sie irgendwann selbst.

schwer zu sagen, ob er das selbst glaubt. In der Gründungsp­hase vertraute Gauland Mitstreite­rn noch seine Sorge an, die AfD könne eines Tages nach rechts kippen – so wie viele Konservati­ve der Weimarer Republik Hitlers Lockruf erlagen. Aber in der AfD musste Gauland feststelle­n, dass nur die „Patrioten“verlässlic­he Bündnispar­tner waren. Bernd Lucke und Frauke Petry bekämpften ihn, wo es ging, Höcke und seine Leute hielten bedingungs­los zu ihm. Politik, das hatte Gauland schon in der CDU beobachtet, ist ein Geben und Nehmen. Und wenn man anderer Leute Überzeugun­gen nur oft genug verteidigt, teilt man sie irgendwann selbst.

11. Die AfD ist das Vehikel von Gaulands später Popularitä­t, die Partei gibt ihm jene Anerkennun­g, die ihm die Merkel-CDU verweigert­e. Er lässt Rechte und Spinner in der AfD gewähren, dafür kann er in Ruhe Partei- und Fraktionsc­hef sein.

12. Deshalb hält er auch seiner Co-Fraktionsc­hefin Alice Weidel die Treue, der geschmeidi­gen Ex-Investment­bankerin, die so anders ist als er, die Politik als eine lange Kette von Twitter-Botschafte­n und Facebook-Videos zu verstehen scheint.

13. Ohne Gauland hätte die ungeduldig­e, herrische Weidel es schwer. Aber ohne sie müsste auch Gauland wieder kämpfen, das Gewicht der Parteiflüg­el neu austariere­n. Lieber arrangiert er sich mit ihr.

KEINE GRENZE MEHR

14. Niemand disziplini­ert die AfD-Abgeordnet­en. In Plenarsitz­ungen lungern manche zwischen den Reihen herum, knipsen mit dem Handy, gegen den Comment. Einer twitterte bei der Kanzlerwah­l aus der Toilette ein Foto eines Stimmzette­ls auf einer Klopapierr­olle. Ein anderer bedrohte eine Kollegin: „Wir machen dich fertig.“

15. Gauland lässt die Verrohung geschehen, schon aus Kapazitäts­gründen. Verantwort­lich fühlt er sich wohl nur für sich selbst. Aber was ist mit den AfD-Fans, die Ausländer anpöbeln, die Brandsätze auf Flüchtling­sheime werfen? Wieso heizt er die Wut solcher Leute noch an? 16. Für den späten Gauland scheint es keine Grenzen mehr zu geben. Er steigt auf Bühnen und nennt Merkel eine Diktatorin oder sagt, man dürfe stolz sein auf die Leistungen deutscher Soldaten im Zweiten Weltkrieg. „Heute sind wir tolerant und morgen fremd im eigenen Land“, warnte Gauland im Jahr 2016. „Ein richtiger Satz“, findet er bis heute. Was kann er dafür, dass die NPD ihn schon vor ihm entdeckt hat?

17. Hat er nie Sorge, die AfD könne sich zu der Gefahr entwickeln, die der junge Vater in Potsdam in ihr sieht? Und Historiker ihm die Verantwort­ung dafür geben? „Nein. Nach meinem Tod müssen sich andere finden, die meine Aufgabe machen. Das beschäftig­t mich nicht.“Man muss sich den späten Gauland als einen schmerzfre­ien Menschen vorstellen.

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(©SIPA) Die AfD ist nun stärkste Opposition­spartei im Bundestag, Fraktionsv­orsitzende­r Alexander Gauland freut sich darauf.
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(©SIPA) Die AfD-Fraktionsc­hefs Alexander Gauland und Alice Weidel.

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