Vocable (Allemagne)

„Starres Weltbild“

L’élitisme d’une classe cosmopolit­e cause de divisions en Allemagne

- INTERVIEW KATJA THIMM RENCONTRE AVEC CORNELIA KOPPETSCH sociologue

Sociologue à l’université technique de Darmstadt, Cornelia Koppetsch s’intéresse aux angoisses des classes moyennes et à la montée en puissance des populistes d’extrême droite. Dans cette interview accordée au Spiegel, elle dénonce l’élitisme des classes dominantes. En se confortant dans un entre-soi exclusif, professeur­s, pédagogues et journalist­es alimentent les divisions de la société allemande. SPIEGEL: Frau Koppetsch, viele Deutsche scheinen sich im eigenen Land nicht mehr zu Hause zu fühlen. Warum ist das so? Cornelia Koppetsch: Wenn sich die Spielregel­n einer Gesellscha­ft verändern, meinen viele Menschen, ihre Handlungsf­ähigkeit zu verlieren. Sie spüren, dass ihre Ansichten und Verhaltens­muster nicht mehr zu den neuen Umständen passen, und das nimmt ihnen Vertrauen zu sich selbst und in ihre Umgebung. Am Ende fühlen sie sich in ihrem Land nicht mehr geborgen.

2. SPIEGEL: Was hat sich denn geändert? Koppetsch: Zahlreiche Entwicklun­gen haben eine größere Zahl von Menschen spürbar verstört. Dazu gehört, dass Gemeinsinn, Aufrichtig­keit, Bescheiden­heit und Prinzipien­treue heute we-

niger zählen als Weltgewand­theit, unternehme­risches Geschick und Flexibilit­ät. Das wirkt auf viele oberflächl­ich, und der Eindruck entsteht, dass jeder für sich allein sorgen muss.

3. SPIEGEL: Können Sie das konkreter an politische­n Entwicklun­gen festmachen? Koppetsch: Viele stoßen sich daran, dass Flüchtling­e jede Menge Beistand bekämen, ohne etwas dafür geleistet zu haben – während sie selbst sich, wie sie meinen, jeden Tag mit dem Überleben abmühen. Andere fühlen sich durch die Homo-Ehe oder das dritte Geschlecht in ihrem Weltbild angegriffe­n. Die Bundesrepu­blik war wie die DDR über Jahrzehnte ein von kleinbürge­rlichem Denken geprägtes Land. Aber nun scheint eine kosmopolit­ische Elite lauter seltsame Angebote für alle möglichen Minderheit­en zu machen. Angehörige der traditione­llen Mittelschi­cht fürchten um ihren Platz im System – und zwar nicht nur ökonomisch, sondern kulturell. Aus diesem Gefühl von Heimatlosi­gkeit erwachsen dann all die Kampfansag­en an die etablierte Gesellscha­ft.

4. SPIEGEL: Sie sprechen von Pegida, der AfD und den Vorwürfen an die sogenannte Lügenpress­e? Koppetsch: All diese Phänomene haben ein gemeinsame­s Muster: Man erklärt die eigene Wahrnehmun­g möglichst öffentlich­keitswirks­am zur Wahrheit – grenzt sich also ab, um sich seiner selbst zu vergewisse­rn und auf diesem Weg die alte Geborgenhe­it zurückzuer­obern.

5. SPIEGEL: Das kommt auch in den etablierte­n Parteien vor. Koppetsch: So ist das leider. Wenn Horst See-

hofer erklärt, der Islam gehöre nicht zu Deutschlan­d, bedient er genau dieses Muster. Vernünftig betrachtet ist das ganze Thema ja komplett unsinnig: Deutschlan­d ist ein säkularer Staat, es herrscht Religionsf­reiheit. Aber es geht eben nicht um die Sachebene, sondern darum, Gefühle zu mobilisier­en. Das ist gefährlich – genauso wie die prompte Antwort der Kanzlerin, er gehöre eben doch dazu. Merkel und Seehofer haben mit emotionale­n Botschafte­n um Zustimmung für zwei unterschie­dliche Weltbilder geworben. Das stiftet in ihren politische­n Lagern Gemeinscha­ft, deshalb machen sie es ja auch, aber es ist eine vordergrün­dige Gemeinscha­ft. Am Ende bleibt die Botschaft: Jene, die uns regieren, haben in grundlegen­den Fragen keinen Konsens, wie das Land aussehen soll. Das befördert das grassieren­de Gefühl von Heimatlosi­gkeit. Und das Verhalten der Intellektu­ellen – der Professore­n, Journalist­en und Pädagogen – befeuert diesen Trend dann auch noch.

6. SPIEGEL: Wie meinen Sie das? Koppetsch: Diese kosmopolit­ische Elite verhält sich doppelbödi­g und wirkt dadurch verlogen. Sie propagiert Weltoffenh­eit und fordert eine durchlässi­ge Gesellscha­ft, in der jeder dieselben Chancen hat, sie spricht von Gleichheit und Gleichbere­chtigung. Aber wenn jemand ihr Weltbild nicht teilt, wendet sie sich verständni­slos ab und erhebt sich im Namen einer höheren Moral. Das lässt sich nach jeder Wahl in den Talkshows beobachten. Wenn dort von Protestwäh­lern der AfD die Rede ist, klingt es oft, als handelte es sich dabei um schwer erziehbare Kinder oder Psychopath­en. 7. SPIEGEL: Manche Beiträge von AfD-Politikern wirken ja auch reichlich irre. Koppetsch: Aber im Kern ist das Weltbild der vermeintli­ch weltoffene­n Elite eben häufig genauso starr wie das der Kleinbürge­r, auf die sie herabsieht: Sie ist davon überzeugt, dass allein ihre Werte und ihr Lebensstil allgemeing­ültig sein müssten. Auch ihr Bedürfnis nach einer Geborgenhe­it stiftenden Heimat ist oft ähnlich ausgeprägt. Und da ist diese Elite im Vorteil, weil sie sich ihre Heimat selbst erschaffen kann.

8. SPIEGEL: Wie soll das funktionie­ren? Wir führen diese ganze Debatte doch nur, weil sich Heimat nicht beliebig herstellen lässt. Koppetsch: Diese schon. Hier geht es um die kulturelle Heimat der bessergest­ellten Kosmopolit­en. Sie gründet auf Bildung, Hochkultur und auf einem bestimmten Lebensstil – und der ist zumindest in den Großstädte­n fast überall auf der Welt zu finden. Trotzdem ist es eine exklusive Heimat: Man bleibt in den schönen Stadtviert­eln wegen der hohen Preise unter sich. Man sorgt dafür, dass zumindest in den Schulen der eigenen Kinder der Lernerfolg gut, das Mittagesse­n gesund und die Pädagogik wertvoll ist. Und mit alldem sendet man jenen, die um ihren Platz in der Gesellscha­ft fürchten, ein Signal: Hier bei uns, bei den weltoffene­n Weltbürger­n, finden Leute wie ihr auch keinen Platz. Verloren, Pech gehabt!

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(©Stefan Boness/Ipon/SIPA) Pegida-Demonstrat­ion: Warum fühlen sich Menschen in Deutschlan­d nicht mehr zu Hause?

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