Tanztheater Wuppertal: Geht es ohne Pina Bausch?
Neuf ans après la disparition de Pina Bausch, le Tanztheater de Wuppertal s’ouvre à la relève
Depuis 1974, le théâtre dansant de Wuppertal joue exclusivement les pièces de Pina Bausch. C’est la première fois depuis la mort de la célèbre danseuse que deux chorégraphes reprennent le flambeau et lui rendent hommage. Un numéro d’équilibriste entre tradition et renouveau.
Es mutet an wie ein Gesellschaftsspiel. Männer und Frauen in eleganter Abendrobe balancieren dicht aneinander gedrängt auf einer Reihe von Stühlen an der Bühnenrampe. Immer aufs Neue wird das letzte Stühlchen über die Köpfe der schwankenden Tänzer hinweg nach vorn gereicht. Nur so kommen sie voran. Indem sie alles mitschleppen.
2. Das weltberühmte Wuppertaler Tanztheater, das auf eine so glanzvolle Vergangenheit zurückblicken kann, beschreitet neun Jahre nach dem Tod der großen Choreografin Pina Bausch neue Wege. Adolphe Binder, künstlerische Leiterin des Ensembles, hat zwei internationale Gastchoreografen eingeladen, eine abend- füllende Kreation mit den Tänzern zu erarbeiten. Den Anfang macht Mitte Mai der griechische Künstler und Choreograf Dimitris Papaioannou mit „Neues Stück I“. Am 2. Juni folgte dann die zweite Premiere, die von dem Norweger Alan Lucien Oyen verantwortet wird.
ARCHAISCHES UND MODERNES
3. Die beiden Künstler haben eines gemeinsam: Sie arbeiten genreübergreifend und erschaffen magische Bilderwelten. Dimitris Papaioannou hat die schwierige Aufgabe, den Zeitenwechsel zu gestalten und die Post-Pina-Bausch-Ära einzuläuten. Nach 44 Jahren der Monogamie oder wenn man so will: des Monotheismus – seit 1974 hat das Tanztheater nur Stücke von Pina Bausch aufgeführt – soll er die Tänzer dazu verführen, ein anderes künstlerisches Universum zu betreten.
4. Als Adolphe Binder ihn gefragt hat, ob er eine neue Kreation mit dem Ensemble erarbeiten wolle, habe er sich geehrt gefühlt, erzählt Papaioannou, er sei aber auch erschrocken. In letzter Sekunde hat sein Stück noch einen Untertitel bekommen: „Seit sie“– was wohl „seit Pina“meint. Papaioannou macht keinen radikalen Schnitt, er versteht sich als Brückenbauer. Doch es ist schon verblüffend, wie stark
die Anklänge an Pina Bausch sind. Teilweise wirkt sein Stück fast etwas nostalgisch.
5. Dimitris Papaioannou hat sich als Maler und Comiczeichner einen Namen gemacht, bevor er sich dem Tanz und der Performance zuwandte und 1986 das Edafos Dance Theatre gründete. „Seit sie“hat er mit einem überwiegend griechischen Team erarbeitet – und es sind durchaus Verweise auf die griechische Kultur zu erkennen, auf Musik und Tanz und die antiken Mythen, auf die Geschichten von Sisyphos und Medusa. Archaisches und Modernes durchdringen sich bei ihm, spielerische Leichtigkeit wechselt ab mit einem heiligen Ernst. Wie somnambul wandern die Tänzer durch eine dunkle Traumlandschaft.
DER MENSCH ALS UNFERTIGE KREATUR
6. Das Bühnenbild von Tina Tzoka ist großartig. Graue Schaumstoffschichten sind zu einem Massiv aufgetürmt. Anfangs besteigen die Tänzer dieses Gebirge, um ein Bäumchen zu pflanzen, dessen Zweige später abgehackt werden. Von der Höhe gleitet die Gruppe der Tänzer dann kopfüber nach unten, diese zerdehnte Sturzbewegung sieht wie ein langsames Sterben aus. Doch auch die Schöpfung, der Akt des Kreierens ist ein wichtiges Motiv. Das Treiben unten erinnert an eine Werkstatt: Michael Strecker hämmert erst an einem großen Tisch und macht sich dann an einem Körper zu schaffen. Oleg Stepanov, dessen Beine an Papprollen fixiert sind, sieht aus wie eine Art Ho- munculus. Steif und ungelenk bewegt er sich. Der Mensch, eine unfertige Kreatur.
MIT WAGEMUT UND ENTHUSIASMUS IN DIE ZUKUNFT
7. Dem Wuppertaler Tanztheater gehören Tänzer an, die noch die Pina-Bausch-DNA in sich haben, wie auch jüngere Tänzer, die ihr Werk nur durch die Weitergabe kennen. Alle 36 Ensemblemitglieder sind eingebunden in die beiden Neukreationen. „Es ist ein wichtiger Akt der Initiation für das ganze Ensemble: Durch diesen Schöpfungsakt, der ja zur Identität des Tanztheaters gehört, durchzugehen“, sagt Adolphe Binder. „Das Tanztheater hat ja unter Pina Bausch 46 Kreationen entworfen und daran wollen wir anknüpfen, in vielerlei Hinsicht. Sowohl im geistigen Erbe als auch über den Akt des Kreierens.“
8. Die international vernetzte Kulturmanagerin und Kuratorin wurde vor einem Jahr mit der Neuausrichtung der Company beauftragt. Sie soll neue Kreationen und Formate entwickeln und das Pina-Bausch-Erbe lebendig halten. Kreative Prozesse zu initiieren und zu begleiten, das ist Binders Leidenschaft. Und sie bringt auch den nötigen Wagemut und Enthusiasmus mit, um die Truppe in die Zukunft zu führen.
9. Der Spagat zwischen Tradition und Erneuerung wird nicht leicht sein. Aber das Wuppertaler Tanztheater hat sich auf den Weg gemacht. Davon können sich auch die Berliner Zuschauer überzeugen: Das „Neue Stück II“von Alan Lucien Oyen wird beim „Tanz im August“zu sehen sein.
9 Jahre nach dem Tod Pina Bausch stellt das Tanztheater erstmals Arbeiten anderer Künstler vor.