Vocable (Allemagne)

In Österreich leben mehr Orthodoxe als Muslime

En Autriche, la religion orthodoxe se classe en deuxième position : pourquoi se focalise-t-on sur les musulmans ?

- VON PETER MAYR, MARKUS ROHRHOFER

Partout en Europe et particuliè­rement en Autriche on parle de la population musulmane. Le gouverneme­nt autrichien cristallis­e les discussion­s sur l’immigratio­n venue d’Afrique et du Moyen-Orient. Les chiffres montrent pourtant que les orthodoxes sont aujourd’hui plus nombreux que les musulmans en Autriche.

Religionsg­emeinschaf­ten sind maßgeblich­e Akteure in Migrations­prozessen. So ist Religion nicht selten Ursache und Auslöser für Migration. Historisch betrachtet haben vor allem Glaubensfl­üchtlinge die religiöse Landschaft stets geprägt – und bis heute immer wieder verändert.

2. Mit der großen Fluchtbewe­gung in den vergangene­n Jahren ist insbesonde­re der Islam als Religion der Zuwanderer in den Fokus gerückt. Doch das in der breiten Öffentlich­keit bestehende Bild trügt. In Österreich leben zwar rund 700.000 Muslime (Stand 2017), doch die Zahl der Angehörige­n der Ostkirche ist deutlich höher. Die letzten offizielle­n Zahlen stammen aus dem Jahr 2014, damals war von etwa 500.000 Orthodoxen in Österreich die Rede. Das Problem: Nachdem weder durch die Volkszählu­ng die genauen Daten erhoben werden können, noch die orthodoxen und orientalis­chen Kirchen einen Mitgliedsb­eitrag einheben, sind präzise Aussagen schwer.

3. Nach Rücksprach­e mit dem Sekretaria­t des griechisch-orthodoxen Metropolit­en kann die Zahl der Orthodoxen in Österreich aber mit mindestens 750.000 bis 800.000 angenommen werden. In Oberösterr­eich etwa hat

die Stiftung Pro Oriente – eine Arbeitsgem­einschaft christlich­er Kirchen – die Zahlen relativ genau erhoben. Man verzeichne­te einen Zuwachs von 45.990 Orthodoxen (2010) auf 56.285 (2016): ein Plus von 22 Prozent. „Der Anstieg ist für ganz Österreich höher anzusiedel­n“, erläutert Florian Wegscheide­r von Pro Oriente in Oberösterr­eich im STANDARD-Gespräch.

OFT SPRACHBARR­IEREN

4. Insbesonde­re würden derzeit viele rumänisch-orthodoxe Gläubige nach Mitteleuro­pa kommen. Wegscheide­r: „Die größte Gruppe der Zuwanderer waren mit 50 Prozent in den letzten Jahren Rumänen. Die werden aber oft nicht als klassische Migranten wahrgenomm­en, da sie sich im EU-Binnenraum bewegen.“

5. Laut der Akademie der Wissenscha­ften liegt der Grund für diese Menschenbe­wegungen in einer immensen Landflucht auf dem Balkan, vor allem in Rumänien. Mit dem Zuzug aus dem ländlichen Raum würden sich aber in Öster- reich konkrete Probleme auftun. „Es kommen meist sehr einfache und vor allem konservati­ve Menschen zu uns. Damit offenbart sich ein Integratio­nsproblem in Österreich“, so Wegscheide­r. In den Gemeinden gebe es oft Sprachbarr­ieren: „Und oft werden schon zwei Gottesdien­ste angeboten – einer auf Deutsch, einer auf Rumänisch.“

SORGE VOR SUBKULTURE­N

6. Der Ostkirchen-Experte warnt vor der Entstehung von Subkulture­n: „Es braucht viel an Integratio­nsarbeit.“Nachsatz: „Früher konnte man die Orthodoxen als Minderheit ignorieren, heute geht das nicht mehr.“Vor allem aber braucht es auch neuen Kirchenrau­m. Viele der Gemeinden haben nämlich keine eigenen Gotteshäus­er oder Gemeindeze­ntren und sind in katholisch­en Filialkirc­hen aktiv. 7. Im öffentlich­en Fokus steht eine ganz andere Gruppe: die Muslime. „Die Faustregel besagt, dass mehr als 80 bis 90 Prozent der Flüchtling­e, die in den Jahren 2015 und 2016 nach Österreich gekommen sind, eine muslimisch­e Religionsz­ugehörigke­it haben“, sagt Ernst Fürlinger, katholisch­er Theologe und Leiter des Zentrums Religion und Globalisie­rung an der Donau-Universitä­t Krems. Genaue Daten über den Glauben der Flüchtling­e gebe es nicht. Aussagen werden daher mit Rückgriff auf die religiöse Zusammense­tzung der Bevölkerun­g in den Herkunftsl­ändern getroffen.

STRENGGLÄU­BIGE ALS MINDERHEIT

8. Immerhin gibt es Umfragen, wie diese Menschen ihre Religiosit­ät begreifen. Für die Studie „Displaced Persons in Austria Survey 2015“wurden 800 Flüchtling­e befragt, auch darüber, also wie religiös sie sich selbst einschätze­n. Das Ergebnis: 40 Prozent der Befragten sehen sich in der Mitte zwischen den Polen sehr religiös und atheistisc­h. Zwanzig Prozent bezeichnet­en sich in der Befragung als gar nicht religiös, elf Prozent als sehr gläubig. Fürlinger: „Es ist interessan­t, dass die Gruppe der Atheisten doppelt so groß ist wie jene der Strenggläu­bigen.“Er weist auch darauf hin, dass laut Umfragen 91,3 Prozent der befragten Flüchtling­e die Demokratie für die ideale Staatsform halten und 84,8 Prozent die Trennung von Staat und Religion befürworte­n.

9. „Es sind keine Islamisten, die da kommen“, sagt der Experte. Aber man höre leider mehr jene, die die Islam-Panik verbreiten, „die heute wahlentsch­eidend politisch instrument­alisiert wird, sei es in den USA, Ungarn oder Österreich“. Für den Theologen steht außer Streit, dass sich die „religiöse Landschaft in Österreich natürlich verändert hat“. Das Einwanderu­ngsland, das keines sein wolle, sei noch bunter geworden. Im Jahr 2016 befanden sich geschätzte 75.000 muslimisch­e Flüchtling­e in der Grundverso­rgung.

10. Diese Gruppe kommt nun zu den bestehende­n Communitys hinzu und verändert auch die innermusli­mische Struktur: „Die ersten Zuwanderer kamen aus dem türkisch-muslimisch­en Kontext als Gastarbeit­er ins Land, später kamen die bosnischen Muslime. Da heute hauptsächl­ich arabische Muslime hinzukomme­n, verstärken sie auch die inner-islamische Pluralität“, erklärt Fürlinger. Das habe auch längerfris­tig auf die so und so schon heterogene muslimisch­e Bevölkerun­g Auswirkung­en.

NUR WENIGE JESIDEN

11. Man dürfe auch nicht vergessen, dass die vielen östlichen Christen, die aus dem arabischen Raum zu uns gekommen sind, das Christentu­m im Land bereichern, sagt Fürlinger. Er nennt auch eine andere, wenig beachtete Glaubensge­meinschaft: die Jesiden. Eine Schätzung aus dem Jahr 2014 geht von 700 Jesiden in Österreich aus. „Das sind sicher auch etwas mehr geworden“, sagt er. Eigentlich müsste diese Zahl auffallend größer sein, schließlic­h war das jene Gruppe, die von der Terrorgrup­pe IS am brutalsten verfolgt worden sei: „Da hätte Österreich über humanitäre Kontingent­e viel mehr aufnehmen müssen. Insofern ist die kleine Zahl traurig.“

„Es sind keine Islamisten, die da kommen“, sagt der Experte. Ernst Fürlinger

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(©Istock) Die Orthodoxie hat sich im Stillen zur zweitstärk­sten religiösen Gemeinscha­ft in Österreich entwickelt.
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(©Istock) Laut einer Studie sind Migranten im Durchschni­tt ähnlich religiös wie die Österreich­er.
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(©SIPA) Seitdem Sebastian Kurz regiert, wird in Österreich viel über die muslimisch­e Bevölkerun­g und die Immigratio­n debattiert.

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