Vocable (Allemagne)

Sprache als Heimat

La langue pour patrie

- VON JÖRG SUNDERMEIE­R

Edgar Hilsenrath est mort. Portrait d’un homme qui faisait rire avec ce qui n’était pas drôle

Le dernier roman d’Edgar Hilsenrath, « Terminus Berlin » (Ed. Le Tripode), décrit la ville de Berlin au début des années 1990, marquée par la chute du Mur et la résurgence du fascisme. Rescapé des camps de concentrat­ion, l’écrivain allemand a longtemps été privé de la reconnaiss­ance de la critique de son pays, en raison de son style satirique pour évoquer la Shoah et le nazisme. La Tageszeitu­ng dresse le portrait d’un auteur qui refusait de rentrer dans les cases, décédé le 30 décembre dernier à l’âge de 92 ans.

Edgar Hilsenrath war ein Mensch, der viele Länder gesehen hatte – geboren wurde er 1926 in Leipzig, er wuchs in Halle auf, 1938 emigrierte seine Mutter mit Edgar und seinem Bruder nach Siret, Rumänien, zu den Großeltern. 1941 wird die Familie in das Ghetto Mohyliw-Podilskyj deportiert. Sie wird 1944 von der Roten Armee befreit, Edgar Hilsenrath geht zu Fuß zurück nach Siret und findet den Ort restlos zerstört vor. „Kurz darauf reiste ich mit einem gefälschte­n Pass nach Palästina, auf dem Landweg über Bulgarien, Türkei, Syrien und Libanon. Für mich war der Krieg zu Ende.“In Palästina erfuhr er, dass seine Mutter und sein Bruder den Vater in Frankreich gefunden hatten, auch er reiste nach Frankreich, ging von dort aus in die USA, die Eltern folgten. 1975 dann zog Hilsenrath nach Berlin.

SATIRE ODER ANGRIFF?

2. Da hatte er bereits zwei Bücher in den USA veröffentl­icht, „Nacht“(1966, auf Deutsch bereits 1964 erschienen) und „Der Nazi & der Friseur“(1971), das erste Buch fand einige Beachtung, das letztere wurde ein großer Erfolg. In Deutschlan­d hingegen wurde „Nacht“verrissen, Fritz J. Raddatz erzürnte sich in der Zeit folgenderm­aßen: „Statt der Posaunen des Jüngsten Gerichts nur Wortgeklin­gel, statt der Stummheit gegenüber dem Unsagbaren unsägliche Beredtheit: ein Nelly Sachs für kleine Leute.“

3. Der zweite Roman, „Der Nazi & der Friseur“, wurde, als er 1977 auf Deutsch erschien, ebenfalls von der Kritik attackiert – es ging in dem Buch um einen begeistert­en Nazi, der sich nach dem Krieg als jüdischer Friseur ausgab und sogar nach Israel auswandert­e, Hilsenrath hatte von einem ähnlichen Fall in der Zeitung gelesen.

4. Was in den USA als brillante Satire begriffen wurde, las man hier als Angriff auf alle Deutschen – und zugleich erkannte man dem

Überlebend­en nicht zu, nüchtern realistisc­h oder satirisch über den Holocaust schreiben zu dürfen. Selbst das Leiden der Juden war noch deutsche Chefsache.

5. Warum kehrte Hilsenrath in dieses Land zurück? In seinem letzten Roman, „Berlin … Endstation“von 2006, ließ er es sein Alter Ego Lesche erklären: „,Was willst du in Deutschlan­d, Lesche?’ ,Ich will zu meiner Geliebten.’ ,Lesche, sei kein Narr, du bist ein alter Mann, eine Geliebte, die ist was für einen jungen.’ ,Ich bin 58’, sagte Lesche, ,das ist nicht alt.’ ,Lesche, willst du dich zum Gespött der Leute machen? Sicher ist sie jung und schön, hat Ansprüche, und du willst als Lustgreis hinter ihr hertappern.’ ,Lustgreis? Du spinnst wohl?’ ,Spaß beiseite’, sagte Bet- ti. ,Wer ist diese Geliebte?’ ,Du hast recht. Sie ist schön, aber nicht jung. Ich habe mich in sie verliebt, als ich neun war, damals in Polen. Ich wurde von ihr getrennt, aber ich bin ihr treu geblieben, ein Leben lang.’ ,Lesche, bist du sicher, dass sie noch lebt?’ ,Ja, ich bin sicher.’ ,Wer ist diese Geliebte?’ ,Ich bin verliebt in die deutsche Sprache.’“

SPÄTER RUHM

6. Der trockene Ton seiner

Texte und der Witz seiner Dialoge verdankte sich den Werken von Erich Maria Remarque und Ernest Hemingway und galt im deutschen Sprachraum viele Jahre als „unliterari­sch“. Daher gelangte Hilsenrath spät zu Ruhm, obschon seine gleichfall­s großartige­n Romane „Das Märchen vom letzten Gedanken“(1989), über den Völkermord an den Armeniern, und „Jossel Wassermann­s Heimkehr“(1993) durchaus Aufmerksam­keit fanden. Gewürdigt als ein Klassiker der deutschen Literatur wurde er jedoch erst, als er als Literat verstummte. Hilsenrath ließ seine Schreibmas­chine ruhen und die Werkausgab­e wirken, die mit dem Erscheinen seines letzten Romans abgeschlos­sen wurde.

7. Auch war Berlin nicht die Endstation, er zog vor einigen Jahren mit seiner zweiten Frau Marlene und seinem „Generalbev­ollmächtig­ten“Ken Kubota in die Vulkaneife­l. Zuvor überwarf er sich öffentlich mit sei- nem Verlag, woraufhin Kubota zu seinem Verleger wurde. In den letzten Jahren war es stiller um Hilsenrath geworden, in den USA und in Frankreich allerdings wurde der Autor wiederentd­eckt, und erst im November 2018 fuhr Hilsenrath nach Paris, um sich feiern zu lassen. Er konnte also noch seinen Weltruhm genießen. Am 30. Dezember 2018 erlag er den Folgen einer Lungenentz­ündung.

Gewürdigt als ein Klassiker der deutschen Literatur wurde er erst, als er als Literat verstummte.

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