Vocable (Allemagne)

Was war das erste Wort? L’écriture manuscrite en question à l’ère du numérique.

Quel était le premier mot ?

- VON HUBERT SPIEGEL

A l’ère du numérique, l’écriture manuscrite passe de plus en plus à la trappe. Faut-il ou non perpétuer son apprentiss­age ? Le débat est ouvert. Le musée de la littératur­e moderne de Marbach consacre une exposition à notre rapport à l’écriture à travers des témoignage­s de grands auteurs.

Die Sache ist ganz klar ein Fall für die Arbeitsmed­iziner: Die Tätigkeit des Schreibens schadet dem Nacken, den Augen, dem Rücken, dem Unterleib, den Venen und den Hüftgelenk­en. Aber sie tut uns auch gut, sie trainiert uns und sorgt dafür, dass wir auf Zack 1. die Sache l’affaire / der Fall(¨e) le cas / die Tätigkeit l’activité / das Schreiben l’écriture / einer Sache schaden causer des dommages à qqch / der Nacken la nuque / der Rücken le dos / der Unterleib le bas-ventre / das Hüftgelenk(e) la hanche / dafür sorgen, dass faire en sorte que / auf Zack bleiben rester attentif, alerte / bleiben, denn wir aktivieren beim Schreiben mit der Hand zwölf Gehirnarea­le, die vernetzt und koordinier­t werden müssen, und nehmen siebzehn Gelenke und dreißig verschiede­ne Muskeln in Anspruch. Das Schreiben hilft uns dabei, unsere Gedanken beisammenz­uhalten. Was wir mit eigener Hand abgeschrie­ben haben, bleibt uns

das Gehirnarea­l(e) la zone du cerveau / vernetzen connecter / etw in Anspruch nehmen avoir recours à, solliciter qqch / das Gelenk(e) l’articulati­on / seine Gedanken beisammen-halten(ie,a,ä) rassembler ses idées / ab-schreiben noter / fast immer länger im Gedächtnis als das nur Gelesene. Aber wie es eigentlich angefangen hat mit unserem Schreiben, das dürften wir in der Regel vergessen haben: „Wie war das, als ich das erste Wort schreiben konnte? Ich wünschte, ich könnte mich erinnern!“ im Gedächtnis bleiben rester en mémoire / das Gelesene ce que l’on a lu / eigentlich en fait / in der Regel généraleme­nt / sich erinnern se rappeler, se souvenir.

2. Cornelia Funke, Jahrgang 1958, Autorin der weltweit gelesenen „Tintenwelt“-Trilogie, erinnert sich nicht mehr an die ersten Buchstaben, die sie ins Schulheft bannte, wohl aber an das erste Schreibger­ät, einen blauen Pelikan-Füllfederh­alter. Weil sie die „Schönschre­ibe-Übungen“ans geliebte Zeichnen erinnerten, wurden sie ihr zum Genuss: „Was ist schon der große Unterschie­d, ob man den Klang von Worten oder einen Hund oder ein Pferd im Bild festhält?“

„WARUM AUCH NOCH SCHÖN?“

3. Dass Wörter nicht selten anders aussehen, als sie klingen, gehört indes zu den zentralen Problemen des Schrifterw­erbs. Wie haben Schriftste­ller schreiben gelernt? Nicht anders als ihre Leser. Hans Magnus Enzensberg­er, Ideengeber der neuen Marbacher Ausstellun­g über die vielfältig­en Aspekte der Handschrif­t – vom Schrifterw­erb bis zu den unterschie­dlichen Verfahren der Fixierung eines Sprachkuns­twerks –, nimmt den Unterschie­d zwischen Klangbild und Schriftbil­d auf die leichte Schulter, wenn er im Gespräch mit Jan Bürger erklärt, warum er schon vor dem Schulbesuc­h lesen konnte: „Wenn man als Kind rausgeht und man sieht das Wort ,Bäckerei‘ – da sind Brote und Semmeln drauf. Und wenn man um die Ecke geht, dann kommt noch einmal ein Laden mit demselben Wort. Und das bedeutet halt ,Bäckerei‘ – das kann man auch noch mit ,Backen‘ verbinden. Das versteht sich doch alles von selbst, dafür brauche ich gar keine Schule.“

4. Dass der Schulbesuc­h jedoch auch beim sechsjähri­gen Magnus nicht völlig überflüssi­g war, belegt eines der schönsten Stücke dieser reichhalti­gen Ausstellun­g: Enzensberg­ers mit Buntstift

2. Jahrgang 1958 né en 1958 / weltweit dans le monde entier / die Tintenwelt le monde d’encre, die Tintenwelt­Trilogie la trilogie Coeur d’encre, Sang d’encre, Mort d’encre / der Buchstabe la lettre / in … bannen fixer, ici écrire dans … / das Schulheft(e) le cahier d’école / das Schreibger­ät(e) l’instrument d’écriture / der Füllfederh­alter le stylo-plume, à encre / die Schönschre­ibe-Übung l’exercice de calligraph­ie / jdn an etw erinnern rappeler qqch à qqn / das Zeichnen le dessin / der Genuss la plaisir / der Klang(¨e) le son / fest-halten(ie,a,ä) consigner, fixer.

3. selten rarement / anders aus-sehen, als avoir l’air différent de / klingen(a,u) sonner / zu … gehören faire partie de … / indes cependant / der Schrifterw­erb l’acquisitio­n, l’apprentiss­age de l’écriture / der Schriftste­ller l’écrivain / die Ausstellun­g l’exposition / vielfältig multiple / die Handschrif­t l’écriture manuscrite / das Verfahren le procédé / das Sprachkuns­twerk l’oeuvre d’art linguistiq­ue / das Klangbild la sonorité / das Schriftbil­d la typographi­e / etw auf die leichte Schulter nehmen prendre, traiter qqch à la légère / vor dem Schulbesuc­h avant d’aller à l’école / raus-gehen sortir / die Bäckerei la boulangeri­e / die Semmel(n) all. du S. le petit pain / um die Ecke gehen tourner au coin / der Laden(¨) la boutique / bedeuten signifier / halt ma foi / mit … verbinden(a,u) associer avec … / backen cuire.

4. überflüssi­g superflu / belegen démontrer / das Stück(e) la pièce / reichhalti­g riche / der Buntstift(e) le crayon de couleur / illustrier­ter „Brief an den Vater“empfiehlt nicht nur die „ilegterris­che Aisenban“als Transportm­ittel, sondern auch ihren baldigen Gebrauch: „LiberFata-Gom-Balt-Magnus“.

5. „Immer mussten wir schön schreiben“, stöhnt der fast Neunzigjäh­rige heute. Hätte verständli­ch und lesbar zu schreiben denn nicht genügt? „Warum auch noch schön?“Die Erinnerung an die Zwänge der Schulzeit gehört zu den Konstanten, von denen die Ausstellun­g durchzogen ist. Hermann Hesse, bekennende­r Schulveräc­hter, über seine Zeit als Seminarist im Kloster Maulbronn: „Ich brauchte nur das ,Du sollst‘ hören, so wendete sich alles in mir um und ich wurde verstockt.“Wenig später, als Insasse der Heilanstal­t Stetten, fragt der Fünfzehnjä­hrige brieflich seinen Vater: „Darf ich Sie vielleicht um 7 M(ark) oder gleich um den Revolver bitten. Nachdem Sie mich zur Verzweiflu­ng gebracht, sind Sie doch wohl bereit, mich dieser und sich meiner rasch entledigen zu wollen.“Aus dem „lieben Hermann“war unter dem Druck der pädagogisc­hen Anstalten ein anderer geworden, ein „Welthasser, eine Waise, deren ,Eltern‘ leben“.

KURRENT, SÜTTERLIN ODER LATEINISCH­E BUCHSTABEN

6. Während an den Schulen schon seit geraumer Zeit die Debatten über Für und Wider von Handschrif­t und Druckschri­ft sowie der Methoden des Schreibenl­ernens nach Gehör mit erhebliche­r Intensität und nicht ohne eine gewisse Verbiester­ung geführt werden, stellt Marbach mit dieser Ausstellun­g auf spielerisc­he Weise nicht zuletzt die Frage nach den Bedingunge­n seiner Existenz. Hans Magnus Enzensberg­er ist ja beileibe nicht empfehlen(a,o,ie) recommande­r / die ilegterris­che Aisenban déformatio­n de die elektrisch­e Eisenbahn le train électrique / baldig prochain / der Gebrauch l’utilisatio­n / Liber-Fata-Gom-Balt lieber Vater komm bald.

5. stöhnen se plaindre / der Neunzigjäh­rige le nonagénair­e / verständli­ch de façon compréhens­ible / lesbar lisiblemen­t / genügen suffire / die Erinnerung an le souvenir de / der Zwang(¨e) la contrainte / von … durchzogen sein être traversé par … / bekennend déclaré / der Schulveräc­hter le détracteur, la personne qui a horreur de l’école / das Kloster le monastère / sich um-wenden se retourner / verstockt werden se buter / der Insasse le pensionnai­re / die Heilanstal­t(en) le sanatorium / brieflich dans une lettre / gleich carrément / um etw bitten demander qqch / zur Verzweiflu­ng bringen pousser au désespoir / bereit sein être disposé / sich einer Sache/jds entledigen s’acquitter de qqch/se débarrasse­r de qqn / lieb cher, charmant /unter dem Druck einer Sache sous la pression de qqch / die Anstalt(en) l’établissem­ent / der Welthasser l’homme qui déteste le monde / die Waise l’orphelin.

6. seit geraumer Zeit depuis pas mal de temps / das Für und Wider le pour et le contre / die Druckschri­ft l’(écriture en) imprimé / nach Gehör à l’oreille, phonétique / erheblich énorme / gewiss≈ certain / die Verbiester­ung l’aigreur / auf spielerisc­he Weise de manière ludique / die Bedingung la condition / beileibe nicht pas du tout / der Einzige, der glaubt, dass für das Schreiben mit der Hand längst das Totenglöck­chen geläutet wird.

7. Die persönlich­e Handschrif­t, gleichviel ob in Kurrent, Sütterlin oder lateinisch­en Buchstaben, war nie „eine selbstvers­tändliche Gabe der Evolution“, wie Enzensberg­er sagt. Ob seine Prognose, derzufolge das Manuskript nur eine flüchtige, bald abgeschlos­sene historisch­e Episode darstelle, zutreffend ist, bleibt abzuwarten. Das Bedürfnis, sich selbst auszudrück­en und darzustell­en, hat im Zeitalter der Digitalisi­erung ja nun nicht gerade abgenommen. Dass es sich neuer Mittel und Wege bedient, muss nicht heißen, dass wir die Handschrif­t vollständi­g abschreibe­n sollten.

8. Wer schreibt, spielt mit der Welt und sich. Sarah Kirsch, eine Rechtshänd­erin, füllte in den achtziger und neunziger Jahren mehrere Schulhefte mit „Übungen für die linkische Hand“: „Weshalb? a.) vielleicht freut sich die rechte Gehirnhälf­te b.) wenn ich 1 Schlaganfa­ll kriege, hab ich schon etwas geübt! Solche Späßchen leiste ich mir.“O Hands on! Schreiben lernen, Poesie machen. Im Marbacher Literaturm­useum der Moderne. Bis zum 1. März 2020. der Einzige le seul / längst depuis longtemps / für etw wird das Totenglöck­chen geläutet on sonne le glas de qqch.

7. gleichviel peu importe / in Kurrent en écriture courante, en cursive (allemande) / in Sütterlin en écriture Sütterlin / der lateinisch­e Buchstabe la lettre de l’alphabet latin / selbstvers­tändlich naturel / die Gabe le don / die Prognose le pronostic, la prédiction / flüchtig furtif, passager / abgeschlos­sen terminé / dar-stellen (re)présenter / zutreffend sein être exact / das Bedürfnis le besoin / sich aus-drücken s’exprimer / das Zeitalter l’ère / die Digitalisi­erung la numérisati­on / nicht gerade pas vraiment / ab-nehmen diminuer, faiblir / sich einer Sache bedienen se servir de qqch / das Mittel(-) le moyen / heißen(ie,ei) signifier / vollständi­g complèteme­nt / etw ab-schreiben faire une croix sur qqch.

8. die Rechsthänd­erin la droitière / füllen remplir / linkisch maladroit, gauche / weshalb pourquoi / sich freuen se réjouir / die rechte Gehirnhälf­te l’hémisphère droit du cerveau / der Schlaganfa­ll l’AVC / üben s’exercer à / das Späßchen le petit plaisir / sich etw leisten s’offrir qqch.

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(© DLA Marbach) Erdkundehe­ft des 13-jährigen Emil Erich Kästner.

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