Das große Fleddern
La grande fouille
La gestion des retours, le casse-tête du commerce en ligne.
Un secteur prend de plus en plus d’importance dans le commerce en ligne : la gestion des retours. Instaurés pour fidéliser la clientèle, les retours de marchandises toujours plus nombreux entraînent des coûts conséquents pour les entreprises et les contraignent à élaborer des stratégies pour les éviter et écouler les produits récupérés.
Als sie für ihren heutigen Job vorsprach, wurde Sonja Scherer mit dem Satz begrüßt, sie möge sich „untenrum freimache“. Sie tat wie geheißen, zog ihre Schuhe aus und wurde eingestellt, dank ihrer ebenmäßigen
Füße und ihrer Schuhgröße 37, die in der Branche als Mustergröße gilt.
2. Scherer, 57, ist Sachbearbeiterin beim BaurVersand im oberfränkischen Weismain, der zur Otto-Gruppe gehört und im Konzern für jedwede Fußbekleidung zuständig ist. Einen großen Teil des Tages probiert sie Schuhe an, etwa 4000 im Jahr, meist ist es der rechte. Sie trägt Werte in Tabellen ein: Schafthöhe, Schuh
und – besonders wichtig – ob der Schuh größer oder kleiner ausfällt als angegeben, was nicht selten der Fall ist. Der ganze Aufwand soll verhindern, dass Kunden Ware wieder zurückschicken, weil sie sich in der Größe vergriffen haben.
RETOURENQUOTE BEI DURCHSCHNITTLICH 20 PROZENT
3. Wenn Kunden allerdings die Farbe nicht gefällt oder ihnen zwischen Kauf und Lieferung einfällt, dass sie statt Stiefeln lieber Sneaker möchten, können auch Scherer und ihr Kollege nichts ausrichten. Online ordern – und was nicht gefällt, geht zurück. Mit diesem Angebot an die menschliche Bequemlichkeit legt der Internethandel seit Jahren beeindruckende Wachstumszahlen vor.
4. Laut einer Studie des Forschungsinstituts EHI liegt die Retourenquote recht konstant bei durchschnittlich 20 Prozent. Ob ein Onlinehandel profitabel ist oder nicht, hängt also nicht nur davon ab, was er verkauft, sondern auch davon, wie er mit diesem Teil des Geschäfts umgeht. Für die Händler bedeutet jede Rücksendung erst einmal Arbeit.
5. Rund 70 Prozent der Retouren können laut der EHI-Studie wieder als A-Ware verkauft werden. Der Rest geht entweder in die Zweitvermarktung, etwa über Online-Outlets, oder er wird an Mitarbeiter verschenkt. Ein eher mickriger Teil wird für gute Zwecke gespendet, was auch daran liegt, dass die Händler auf Spenden Umsatzsteuer entrichten müssen. 6. Manchmal ist die Ware kaum mehr wert, als ihr Transport kostet. 30 Prozent der Händler überlassen ihren Kunden die Ware deshalb kostenlos, ein sehr geringer Anteil wird geschreddert oder verbrannt. Das ist nicht nachhaltig, aber mitunter die günstigere Variante.
DIE KEHRSEITE DES GROSSZÜGIGEN RETOURENVERSPRECHENS
7. Hamburg-Bramfeld, der Retourenbetrieb der Otto-Gruppe. Hier landen Rücksendungen aus Deutschland, England und den Niederlanden, 40 bis 60 Container pro
Tag, geliefert vom konzerneigenen Logistiker Hermes. Täglich rollen bis zu 140 000 Artikel auf Förderbändern durch die Halle. Arbeiter packen die Retouren aus, prüfen sie auf Schäden, sortieren sie und verpacken sie schließlich wieder. Etiketten von Originalverpackungen entfernen sie, falls nötig, mithilfe eines Föhns. 8. Eine eigene Textilreinigung gibt es auch. „Mit unserer Reinigung ersparen wir dem Konzern Abwertungsverluste von 3,5 Millionen Euro im Jahr“, sagt Michael Kirmis von Hermes Fulfillment. Eine besondere Herausforderung dabei: Manche Kunden waschen die Kleidungsstücke, bevor sie diese zurückschicken. Der Duft von Persil, Spee und Co. muss dann erst mal raus, denn die Ware soll neu riechen, nicht wie frisch gewaschen.
9. Das mühselige Warenfleddern ist die Kehrseite des großzügigen Retourenversprechens. „Schrei vor Glück! Oder schick’s zurück!“, warb Zalando vor knapp zehn Jahren. Ein flotter Spruch, der Schwellenängste möglicher Kunden abbauen sollte, aber zum Fluch der Branche wurde. Es gehe darum, einen Nachteil zum stationären Handel auszugleichen, sagt Stacia Carr vom Onlineweite
Manche Kunden, sagt Asdecker, betrieben das Retournieren wie einen Sport.
händler Zalando. Wer im Laden mehrere Teile mit in die Garderobe nehme, bezahle auch nur das, was er behalte.
10. Der Slogan hat geholfen, Zalando zur Nummer eins im Onlinehandel mit Schuhen und Mode zu machen. Pech, dass die Kunden nicht nur ihre Schwellenängste verloren, sondern den Schick’s-zurück-Spruch kräftig in die Tat umsetzten. Dass man den Slogan bereue, will bei Zalando niemand zugeben. Man benutzt ihn nur nicht mehr. Der neue Lockspruch heißt: „free to be“. Im Sinne von: Zieh an, was du willst.
11. Unter Carrs Leitung berät ein 25-köpfiges Team seit zwei Jahren Kunden online zu Größen und Passform. Carr sagt, ein Drittel der Rücksendungen bei Zalando seien größenbedingte Retouren. Deren Anteil sei durch die Arbeit ihrer Kollegen bereits um vier Prozent gesunken. In zehn Jahren soll er möglichst „bei null Prozent liegen“. 12. Björn Asdecker glaubt nicht daran. „Menschen nehmen zu, Menschen nehmen ab. Nicht jeder Onlinekäufer schätzt sein Gewicht und seine Größe richtig ein“, sagt er. An der Universität Bamberg forscht Asdecker zu Retouren. Seine These: Die großen Anbieter reduzieren zwar die Retourenquote einzelner Artikel, doch das schlägt in absoluten Zahlen kaum zu Buche, da Händler erfolgreich zu weiteren Impulskäufen verführen, wodurch die Menge der bestellten Artikel pro Paket zugenommen hat.
ANSICHT GRATIS
13. Manche Kunden, sagt Asdecker, betrieben das Retournieren wie einen Sport. Es gibt Leute, die mithilfe einer Suchmaschine nach günstigen Angeboten für einen Artikel forschen. Sie kaufen ihn dann dort, wo der Preis etwas höher liegt, aber die Retouren nichts kosten. So ist die Ansicht für sie gratis. Doch auch wenn die Ware gefällt, schicken sie sie zurück, um sie ein weiteres Mal dort zu erwerben, wo sie am günstigsten ist. „Viele Retouren kommen zurück und sind nicht mal aufgemacht“, sagt E-Commerce-Händler Max Winkler, der als unabhängiger Verkäufer über Amazon Möbel und Haushaltswaren vertreibt.
14. Normalerweise vernichtet Amazon in Winklers Auftrag das, was als fehlerhafte Retouren zurückkommt. Einmal ließ Winkler sich die Retouren aber schicken. Es waren Kopfkissen und Espressokannen. Bei den Kissen hatten die Kunden bemängelt, sie seien zu hart oder zu groß. „Dabei hatten wir extra darauf hingewiesen, dass sie anders ausfallen als üblich. Offenbar lesen viele die Beschreibungen nicht.“Von den 30 Espressokannen sei die Hälfte ohne Makel gewesen. Erneut hätte er sie nicht verkaufen können, denn sie wiesen bereits Gebrauchsspuren auf.
15. Viele Onlinehändler können solche Geschichten erzählen. Da ist der Matratzenverkäufer, dem ein Kunde eine billige Mikrofaserdecke als teure Daunendecke unterschieben wollte, als Retoure mit gefälschtem Etikett. Da ist Zalando, das als Retoure einmal eine lebende Schildkröte bekam, dabei handelt das Unternehmen gar nicht mit Tieren. Und da ist die Geschichte von dem Sexspielzeugverkäufer, dem anstelle eines Vibrators eine Salami zurückgeschickt worden sein soll.
16. Beim Herrenausstatter Wormland kam es gelegentlich vor, dass Kunden einen Anzug bestellten, offenbar für einen feierlichen Anlass, und ihn danach wieder zurückschickten. Wormland hat Konsequenzen gezogen. Jacken und Sakkos, die das Unternehmen online verkauft, haben seit diesem Frühjahr eine Retourenplombe im Knopfloch, in Signalrot oder Knallweiß, mit der man sich bei keinem Fest blicken lassen kann. Wird sie entfernt, ist der Umtausch ausgeschlossen.
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