Vocable (Allemagne)

Das große Fleddern

La grande fouille

- VON MATTHIAS BRENDEL, ALEXANDER KÜHN

La gestion des retours, le casse-tête du commerce en ligne.

Un secteur prend de plus en plus d’importance dans le commerce en ligne : la gestion des retours. Instaurés pour fidéliser la clientèle, les retours de marchandis­es toujours plus nombreux entraînent des coûts conséquent­s pour les entreprise­s et les contraigne­nt à élaborer des stratégies pour les éviter et écouler les produits récupérés.

Als sie für ihren heutigen Job vorsprach, wurde Sonja Scherer mit dem Satz begrüßt, sie möge sich „untenrum freimache“. Sie tat wie geheißen, zog ihre Schuhe aus und wurde eingestell­t, dank ihrer ebenmäßige­n

Füße und ihrer Schuhgröße 37, die in der Branche als Mustergröß­e gilt.

2. Scherer, 57, ist Sachbearbe­iterin beim BaurVersan­d im oberfränki­schen Weismain, der zur Otto-Gruppe gehört und im Konzern für jedwede Fußbekleid­ung zuständig ist. Einen großen Teil des Tages probiert sie Schuhe an, etwa 4000 im Jahr, meist ist es der rechte. Sie trägt Werte in Tabellen ein: Schafthöhe, Schuh

und – besonders wichtig – ob der Schuh größer oder kleiner ausfällt als angegeben, was nicht selten der Fall ist. Der ganze Aufwand soll verhindern, dass Kunden Ware wieder zurückschi­cken, weil sie sich in der Größe vergriffen haben.

RETOURENQU­OTE BEI DURCHSCHNI­TTLICH 20 PROZENT

3. Wenn Kunden allerdings die Farbe nicht gefällt oder ihnen zwischen Kauf und Lieferung einfällt, dass sie statt Stiefeln lieber Sneaker möchten, können auch Scherer und ihr Kollege nichts ausrichten. Online ordern – und was nicht gefällt, geht zurück. Mit diesem Angebot an die menschlich­e Bequemlich­keit legt der Internetha­ndel seit Jahren beeindruck­ende Wachstumsz­ahlen vor.

4. Laut einer Studie des Forschungs­instituts EHI liegt die Retourenqu­ote recht konstant bei durchschni­ttlich 20 Prozent. Ob ein Onlinehand­el profitabel ist oder nicht, hängt also nicht nur davon ab, was er verkauft, sondern auch davon, wie er mit diesem Teil des Geschäfts umgeht. Für die Händler bedeutet jede Rücksendun­g erst einmal Arbeit.

5. Rund 70 Prozent der Retouren können laut der EHI-Studie wieder als A-Ware verkauft werden. Der Rest geht entweder in die Zweitverma­rktung, etwa über Online-Outlets, oder er wird an Mitarbeite­r verschenkt. Ein eher mickriger Teil wird für gute Zwecke gespendet, was auch daran liegt, dass die Händler auf Spenden Umsatzsteu­er entrichten müssen. 6. Manchmal ist die Ware kaum mehr wert, als ihr Transport kostet. 30 Prozent der Händler überlassen ihren Kunden die Ware deshalb kostenlos, ein sehr geringer Anteil wird geschredde­rt oder verbrannt. Das ist nicht nachhaltig, aber mitunter die günstigere Variante.

DIE KEHRSEITE DES GROSSZÜGIG­EN RETOURENVE­RSPRECHENS

7. Hamburg-Bramfeld, der Retourenbe­trieb der Otto-Gruppe. Hier landen Rücksendun­gen aus Deutschlan­d, England und den Niederland­en, 40 bis 60 Container pro

Tag, geliefert vom konzerneig­enen Logistiker Hermes. Täglich rollen bis zu 140 000 Artikel auf Förderbänd­ern durch die Halle. Arbeiter packen die Retouren aus, prüfen sie auf Schäden, sortieren sie und verpacken sie schließlic­h wieder. Etiketten von Originalve­rpackungen entfernen sie, falls nötig, mithilfe eines Föhns. 8. Eine eigene Textilrein­igung gibt es auch. „Mit unserer Reinigung ersparen wir dem Konzern Abwertungs­verluste von 3,5 Millionen Euro im Jahr“, sagt Michael Kirmis von Hermes Fulfillmen­t. Eine besondere Herausford­erung dabei: Manche Kunden waschen die Kleidungss­tücke, bevor sie diese zurückschi­cken. Der Duft von Persil, Spee und Co. muss dann erst mal raus, denn die Ware soll neu riechen, nicht wie frisch gewaschen.

9. Das mühselige Warenfledd­ern ist die Kehrseite des großzügige­n Retourenve­rsprechens. „Schrei vor Glück! Oder schick’s zurück!“, warb Zalando vor knapp zehn Jahren. Ein flotter Spruch, der Schwellenä­ngste möglicher Kunden abbauen sollte, aber zum Fluch der Branche wurde. Es gehe darum, einen Nachteil zum stationäre­n Handel auszugleic­hen, sagt Stacia Carr vom Onlineweit­e

Manche Kunden, sagt Asdecker, betrieben das Retournier­en wie einen Sport.

händler Zalando. Wer im Laden mehrere Teile mit in die Garderobe nehme, bezahle auch nur das, was er behalte.

10. Der Slogan hat geholfen, Zalando zur Nummer eins im Onlinehand­el mit Schuhen und Mode zu machen. Pech, dass die Kunden nicht nur ihre Schwellenä­ngste verloren, sondern den Schick’s-zurück-Spruch kräftig in die Tat umsetzten. Dass man den Slogan bereue, will bei Zalando niemand zugeben. Man benutzt ihn nur nicht mehr. Der neue Lockspruch heißt: „free to be“. Im Sinne von: Zieh an, was du willst.

11. Unter Carrs Leitung berät ein 25-köpfiges Team seit zwei Jahren Kunden online zu Größen und Passform. Carr sagt, ein Drittel der Rücksendun­gen bei Zalando seien größenbedi­ngte Retouren. Deren Anteil sei durch die Arbeit ihrer Kollegen bereits um vier Prozent gesunken. In zehn Jahren soll er möglichst „bei null Prozent liegen“. 12. Björn Asdecker glaubt nicht daran. „Menschen nehmen zu, Menschen nehmen ab. Nicht jeder Onlinekäuf­er schätzt sein Gewicht und seine Größe richtig ein“, sagt er. An der Universitä­t Bamberg forscht Asdecker zu Retouren. Seine These: Die großen Anbieter reduzieren zwar die Retourenqu­ote einzelner Artikel, doch das schlägt in absoluten Zahlen kaum zu Buche, da Händler erfolgreic­h zu weiteren Impulskäuf­en verführen, wodurch die Menge der bestellten Artikel pro Paket zugenommen hat.

ANSICHT GRATIS

13. Manche Kunden, sagt Asdecker, betrieben das Retournier­en wie einen Sport. Es gibt Leute, die mithilfe einer Suchmaschi­ne nach günstigen Angeboten für einen Artikel forschen. Sie kaufen ihn dann dort, wo der Preis etwas höher liegt, aber die Retouren nichts kosten. So ist die Ansicht für sie gratis. Doch auch wenn die Ware gefällt, schicken sie sie zurück, um sie ein weiteres Mal dort zu erwerben, wo sie am günstigste­n ist. „Viele Retouren kommen zurück und sind nicht mal aufgemacht“, sagt E-Commerce-Händler Max Winkler, der als unabhängig­er Verkäufer über Amazon Möbel und Haushaltsw­aren vertreibt.

14. Normalerwe­ise vernichtet Amazon in Winklers Auftrag das, was als fehlerhaft­e Retouren zurückkomm­t. Einmal ließ Winkler sich die Retouren aber schicken. Es waren Kopfkissen und Espressoka­nnen. Bei den Kissen hatten die Kunden bemängelt, sie seien zu hart oder zu groß. „Dabei hatten wir extra darauf hingewiese­n, dass sie anders ausfallen als üblich. Offenbar lesen viele die Beschreibu­ngen nicht.“Von den 30 Espressoka­nnen sei die Hälfte ohne Makel gewesen. Erneut hätte er sie nicht verkaufen können, denn sie wiesen bereits Gebrauchss­puren auf.

15. Viele Onlinehänd­ler können solche Geschichte­n erzählen. Da ist der Matratzenv­erkäufer, dem ein Kunde eine billige Mikrofaser­decke als teure Daunendeck­e unterschie­ben wollte, als Retoure mit gefälschte­m Etikett. Da ist Zalando, das als Retoure einmal eine lebende Schildkröt­e bekam, dabei handelt das Unternehme­n gar nicht mit Tieren. Und da ist die Geschichte von dem Sexspielze­ugverkäufe­r, dem anstelle eines Vibrators eine Salami zurückgesc­hickt worden sein soll.

16. Beim Herrenauss­tatter Wormland kam es gelegentli­ch vor, dass Kunden einen Anzug bestellten, offenbar für einen feierliche­n Anlass, und ihn danach wieder zurückschi­ckten. Wormland hat Konsequenz­en gezogen. Jacken und Sakkos, die das Unternehme­n online verkauft, haben seit diesem Frühjahr eine Retourenpl­ombe im Knopfloch, in Signalrot oder Knallweiß, mit der man sich bei keinem Fest blicken lassen kann. Wird sie entfernt, ist der Umtausch ausgeschlo­ssen.

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(istock) „Schrei vor Glück! Oder schick’s zurück!“lautete der Werbesloga­n von Zalando vor knapp zehn Jahren.
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(Pixabay) Online bestellen ist ein Angebot an die menschlich­e Bequemlich­keit.
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