Schöne Grüße von Friedrich dem Gebissenen
Un city-trip en famille à Dresde, la « Florence de l’Elbe ».
Judith Hyams a entraîné toute sa petite famille dans un city-trip à Dresde. La particularité : adapter les visites à ses filles de 11, 9 et 4 ans et leur faire apprécier les trésors de la « Florence de l’Elbe ». Pari réussi, comme en témoigne ce récit circonstancié de trois jours enchanteurs.
Elbflorenz und Montagsdemos, Gesinnungskorridordebatten und Dresdner Barock: Wir waren uns des ambivalenten Rufs unseres Reiseziels bewusst und beschlossen, trotzdem zu fahren, zumal uns die Kinderperspektive bei der Reise helfen würde, denn die ist ja im Idealfall vorurteilsfrei und fröhlich.
2. Das mit der Laune klappt am nächsten Morgen schon ziemlich gut. Kaum ist das Frühstück aufgegessen, finden wir uns an der Auguststraße vor dem Fürstenzug wieder. Die bärtigen Herrscher, die uns auf dem mehr als hundert Meter langen Wandfries aus Meißner Porzellan entgegen geritten kommen, präsentieren sich als testesterongesättigte Alphamännchen. Auch die Fürstennamen sorgen für Hochstimmung, ganz besonders der irgendwann im vierzehnten Jahrhundert geborene Friedrich der Gebissene. Dessen Vater hieß Albrecht der Entartete, sein Urgroßvater Dietrich der Bedrängte.
„DIE SCHÖNSTE STADT EVER“
3. Hin und her laufen wir, vorbei an Zwinger, Semperoper, Residenzschloss, Kreuzkirche. Und obwohl sich die Kinder eigentlich nicht für Architektur interessieren, gefällt ihnen all der Zierrat. Die Türmchen und Erkerchen, die frechen Engel und bärtigen Riesen, die Löwen, Adler und Reiter, die leichtbekleideten Schönheiten und die grimmigen, steinernen Ganoven am Polizeigebäude – was den jeweiligen prunksüchtigen Erbauern gerade gut genug war, trifft meist auch den Geschmack der Kinder.
4. Die Neunjährige findet jedenfalls bald: „Dresden ist die schönste Stadt ever.“Da rollt die Elfjährige mit den Augen, sie weiß, dass es noch ein paar andere besuchenswerte Städte auf dieser Welt gibt. Die Vierjährige konzentriert sich derweil auf die stoischen Kutschpferde, die ähnlich unbeeindruckt wirkende Touristen hinter sich her transportieren. Dann quietscht das Kind plötzlich auf und zeigt auf ein Plakat: „Die Frau hängt bei uns im Kindergarten!“Die Frau ist Rafaels Sixtinische Madonna, die hier für einen Besuch der Gemäldegalerie Alte Meister wirbt – und auch uns ins Gebäude lockt.
5. Gebannt, aber eben nur sekundenlang, verharrt der Nachwuchs vor den riesigen Gemälden, entdeckt freche Zwerge und einen spät
mittelalterlichen Zahnarzt, findet die vielen nackten Jesusse ganz interessant und das berühmte Schokoladenmädchen wunderbar. Die Sixtinische Madonna, immerhin Dresdens Herzstück und Nabel, enttäuscht – so viele Besucher machen hier Selfies und Gruppenfotos, dass man das gute Stück kaum sieht.
MIT DEM BUS, DER STANDSEILBAHN UND DER SCHWEBEBAHN
6. Da wir uns als Dresden-Neulinge noch ein bisschen an der Hochkultur abarbeiten wollen, besuchen wir anderntags die Semperoper, naheliegenderweise bei einer Kindervorstellung. Schon im Foyer glitzert und flittert es, die Mädchen tragen rosa Paillettenkleidchen, die Jungs Minianzüge mit Schlips.
Ansonsten benehmen sie sich wie normale Kinder. Das heißt, sie rennen herum, leeren die mit Gratis-Hustenbonbons gefüllten Plastikboxen und prügeln sich fast um die letzten roten Samtkissen, die für einen guten Blick auf die Bühne sorgen sollen.
7. Die Ziele jenseits der Altstadt erreichen wir mit dem Bus. Schon nach wenigen Stationen ragt mit der ehemaligen Zigarettenfabrik Yenidze ein Bau wie aus Tausendundeiner Nacht in die Höhe. Eine Moschee, die gar keine ist, aber viel orientalischer und auffälliger aussieht als die Moscheen zu Hause in Berlin – verrückt! 8. Dann ist da der Milchladen der Gebrüder Pfund, den der Busfahrer als schönsten Milchladen der Welt angekündigt hat. Die bemalten Fliesen an den Wänden sind wirklich hübsch, nur wird es uns vor lauter Bonbondöschentürmen, Pralinenschachteln, Käselaiben, Sahnelikör-Flaschen und Touristen aus allen Bundesländern rasch etwas zu viel. Da fahren wir lieber mit der Standseilbahn hinauf zum Ortsteil Weißer Hirsch und bewundern das Elbe-Panorama, das gerade von mildem Nachmittagssonnenlicht beschienen wird. Einstimmiges Urteil der Kinder: echt cool!
9. Als wir mit der benachbarten Schwebebahn fahren und uns der Fahrkartenverkäufer verrät, dass das hier die älteste und einzige ihrer Art sei, platzt der Elfjährigen der Kragen: „Wieso müssen die hier immer so angeben: das beste Opernhaus, der schönste Milchladen, die so wahnsinnig besondere Frauenkirche und dann noch diese Bahn? Und wenn alles so toll ist, warum ist Dresden dann nicht Hauptstadt von Deutschland?“
10. Schließlich führt uns der Weg, wir hatten es den Kindern versprochen, heraus aus der Stadt zum Jagdschloss Moritzburg, Drehort des Evergreens „Drei Haselnüsse für Aschenbrödel“. Einer Fahrt mit der Schmalspurbahn durch verwunschene Täler folgt der Gang durch ein
Dörfchen, das wie aus der Zeit gefallen zu sein scheint. An dessen Ende erhebt sich mitten in einem idyllischen Teich das Schlösschen. Drinnen warten jede Menge Geweihe und Gemächer, die die Kinder mäßig beeindrucken. Aber der goldene Stöckelschuh, der auf der gewundenen Außentreppe des Schlosses angebracht ist, ebenda, wo die berühmte Schuhverlierszene gedreht wurde, lohnt die ganze Reise.
KEINE ZEIT FÜR DIE FRAUENKIRCHE
11. Anderntags bestehen wir auf einem Besuch des Hygiene-Museums, auch wenn die Kinder den Namen verdächtig finden. Geht es da um Putzmittel oder etwa ums Aufräumen? Der Weg führt auf zugigen Straßen an Plattenbauten vorbei. Eine gute Gelegenheit für einen Mini-Vortrag unsererseits, Stichworte wie Zweiter Weltkrieg, Bombennacht, DDR und
Wiedervereinigung fallen – bis die Kinder uns unterbrechen. Ob man bei dem am Wegesrand liegenden Bäcker vielleicht ein zweites Frühstück einnehmen könne, sozusagen als Stärkung fürs Museum?
12. Seufzend kaufen wir Eierschecken und Käsebrötchen, bevor es dann endlich mit fettigen Fingern ins Hygiene-Museum geht. Da ist dann kein Halten mehr. Die Kinder stürzen sich auf die Objekte, die nichts weniger zeigen als das Leben selbst: Sie fühlen mit künstlichen Zitterhänden und tauben Ohren, wie es so im Alter ist. Sie sehen, wie der Körper von innen aussieht. Sie hören, wie Menschen von den wichtigsten Momenten ihres Lebens erzählen, und sie staunen über Geburt und Tod.
13. Mit nur einem Ausstellungsraum sehr viel bescheidener, aber charmant ist das Erich-Kästner-Museum, das wir kurz vor der Heimreise besuchen. Wir vertiefen uns in die Texte, Fotos und Zeitungsartikel, die in kleinen, oft klemmenden Schubladen stecken, während die Kinder Kästner-Hörspiele anhören. Sogar ein gelber Kassetten-Walkman liegt aus. Das Museum befindet sich im Erdgeschoss einer Villa, die Kästners Onkel gehörte. Der kleine Erich war hier oft zu Besuch und sitzt auch heute noch in Form einer Bronzestatue auf der Gartenmauer. Und weil wir noch ein Stündchen Zeit haben, spazieren wir durch die nahe gelegene Dresdner Neustadt, die Kästner in seinem Kindheitsroman „Als ich ein kleiner Junge war“beschrieben hat.
14. Wir schlendern durch die bunten Kunsthofpassagen und stöbern in den Kisten voller Postkarten. Da fällt uns auf: Die Frauenkirche, die wir täglich vor Augen hatten, die wir auf Bernardo Bellottos Bildern in der Gemäldegalerie bestaunten und der wir auch sonst in Form von Schneekugeln, Schokoladentafeln und kitschigen Kunstdrucken überall begegneten – wir haben sie kein einziges Mal von innen gesehen. Das machen wir das nächste Mal.
1. die Elbflorenz la Florence de l’Elbe / die Montagsdemos/-demonstrationen les manifestations du lundi (initiées par le mouvement raciste Pegida, mouvement des Patriotes européens contre l‘islamisation de l‘Occident) / der Gesinnungskorridor le “corridor d’opinions” (mot de Uwe Tellkamp, métaphore pour les limites des sujets de droite/extrême droite dont la société accepte communément de débattre) / sich einer Sache bewusst sein être conscient de qqch / der Ruf la réputation / das Reiseziel(e) la destination de voyage / beschließen(o,o) décider / zumal d’autant plus que / im Idealfall dans le cas idéal / vorurteilsfrei sans préjugés.
2. das mit der Laune le truc de la bonne humeur / klappen marcher / auf-essen terminer (repas) / sich wieder-finden se retrouver / der Fürstenzug le cortège des princes / bärtig barbu / der Herrscher le souverain / der Wandfries la fresque / das Meißner Porzellan la porcelaine de Meißen / jdm entgegen-reiten(i,i) chevaucher vers qqn / gesättigt saturé / das Alphamännchen le mâle dominant / der Fürst(en) le prince / für Hochstimmung sorgen mettre en joie / besonders particulièrement / irgendwann à un moment donné / Albrecht der Entartete Albert II le Dégénéré / der Urgroßvater l’arrière-grand-père / Dietrich der Bedrängte Thierry Ier l’Exilé.
3. hin und her laufen aller et venir / vorbei an en passant devant / die Semperoper opéra de Dresde / das Residenzschloss le château de la Résidence / die Kreuzkirche l’Eglise Sainte-Croix / jdm gefallen(ie,a,ä) plaire à qqn / der Zierrat les ornements / das Türmchen la tourelle / das Erkerchen l’encorbellement / frech insolent, hardi / der Engel(-) l’ange / der Riese le géant / der Löwe le lion / der Adler l’aigle / der Reiter le cavalier / leichtbekleidet légèrement vêtu / grimmig féroce / steinern en pierre / der Ganove le voyou / das Gebäude(-) la police / jeweilig respectif / prunksüchtig qui a le goût du faste / der Erbauer le bâtisseur / den Geschmack jds treffen(a,o,i) être du goût de qqn.
4. jedenfalls en tout cas / mit den Augen rollen rouler les yeux / ein paar quelques / besuchenswert digne d’être visité / derweil pendant ce temps / das Kutschpferd(e) le cheval de fiacre / unbeeindruckt wirkend qui a l’air impassible / auf-quietschen pousser des cris de plaisir / auf etw zeigen montrer qqch / das Plakat(e) l’affiche / hängen(i,a) être accroché / der Kindergarten(¨) le jardin d’enfants / die Sixtinische Madonna la Madone Sixtine / für … werben(a,o,i) faire de la publicité pour … / das Gemäldegalerie Alten Meister la Galerie de peinture des Maîtres anciens / locken attirer.
5. gebannt fasciné / eben simplement / verharren s’arrêter / der Nachwuchs les enfants / riesig immense / entdecken découvrir / der Zwerg(e) le nain /
spätmittelalterlich de la fin du Moyen Age / der Zahnarzt(¨e) le dentiste / nackt nu / berühmt célèbre / wunderbar merveilleux / immerhin tout de même / das Herzstück la pièce maîtresse / der Nabel le nombril / enttäuschen décevoir / das gute Stück le joyau.
6. der Neuling(e) le novice / sich an etw ab-arbeiten s’évertuer à découvrir qqch / ander[e]ntags le lendemain / naheliegenderweise cela va de soi / die Vorstellung la représentation / glitzern étinceler / flittern scintiller, briller de mille feux / das Kleidchen la petite robe / der Anzug(¨e) le costume / der Schlips(e) la cravate / ansonsten sinon / sich benehmen se comporter / herum-rennen(a,a) courir partout / leeren vider / das Hustenbonbon(s) le bonbon pour la toux / füllen remplir / die Box(en) la boîte / sich um etw prügeln se battre pour qqch / das Samtkissen le coussin de velours / für … sorgen procurer … / die Bühne la scène.
7. das Ziel(e) l’objectif, la destination / jenseits + gén. de l’autre côté de / erreichen atteindre / in die Höhe ragen se dresser, s’élever / ehemalig≈ ancien / wie aus Tausendundeiner Nacht (comme sorti) des Mille et une Nuits / die Moschee la mosquée / …, die gar keine ist qui n’en est pas du tout une / auffälliger aus-sehen als être plus voyant que / verrückt fou, dingue.
8. der Milchladen(¨) la laiterie / die Gebrüder … les frères … / an-kündigen annoncer / bemalt peint / die Fliese le carreau de céramique / vor lauter … tellement il y a de … / das Döschen la petite boîte / die Schachtel(n) la boîte / der Käselaib(e) la meule de fromage / der Sahnelikör(e) la liqueur à base de crème / das Bundesland le Land / das wird mir zuviel cela devient trop oppressant pour moi / hinauf-fahren monter / die Standseilbahn le funiculaire / das Ortsteil(e) le quartier / bewundern admirer / gerade précisément / milde doux / bescheinen(ie,ie) éclairer / einstimmig unanime / das Urteil le verdict / echt vraiment.
9. benachbart voisin / die Schwebebahn le monorail suspendu / verraten(ie,a,ä) révéler / jdm platzt der Kragen qqn éclate, craque / wieso pourquoi / an-geben se vanter, frimer / wahnsinnig follement, incroyablement / besonder≈ particulier, spécial / die Frauenkirche l’église Notre-Dame / die Bahn le train / toll génial.
10. aus … heraus-führen mener à l’extérieur de … / versprechen promettre / das Jagdschloss le pavillon de chasse, le château / der Drehort(e) le lieu de tournage / der Evergreen(s) le succès indémodable / Drei Haselnüsse für Aschenbrödel Trois noisettes pour Cendrillon / die Fahrt(en) le trajet / die Schmalspurbahn le chemin de fer à voie étroite / verwunschen enchanteur / das Tal(¨er) la vallée / der Gang durch la traversée de /
wie aus der Zeit gefallen sein être hors du temps / sich erheben(o,o) s’élever / mitten in au centre de / der Teich(e) l’étang / drinnen à l’intérieur / jede Menge … un tas de … / das Geweih(e) la ramure, les bois / die Gemächer les appartements / mäßig modérément / jdn beeindrucken impressionner qqn / golden≈ doré / der Stöckelschuh(e) la chaussure à talon haut / auf … angebracht sein être placé sur … / gewunden tournant / die Außentreppe l’escalier extérieur / ebenda, wo à l’endroit précis où / drehen tourner / lohnen valoir la peine.
11. auf einem Besuch … bestehen insister pour visiter … / verdächtig douteux / das Putzmittel(-) le produit de nettoyage, d’entretien / etwa peut-être / das Aufräumen le rangement / zugig plein de courants d’air / der Plattenbau(ten) l’immeuble en béton préfabriqué / die Gelegenheit l’occasion / der Vortrag(¨e) l’exposé / unsererseits de notre part / das Stichwort(e) le mot-clé / die Bombennacht la nuit de bombardements / die DDR la RDA / die Wiedervereinigung la réunification / fallen(ie,a,ä) être prononcé / unterbrechen(a,o,i) interrompre / am Wegesrand liegend situé au bord du chemin / der Bäcker le boulanger / ein-nehmen prendre / sozusagen pour ainsi dire / die Stärkung la collation.
12. seufzen soupirer / die Eierschecke gâteau, spécialité de Dresde / das Käsebrötchen le sandwich au fromage / fettig gras / da ist kein Halten mehr il n’y a plus de limites, on ne peut plus les tenir / sich auf etw stürzen se jeter sur qqch / nichts weniger als rien moins que / fühlen ressentir / künstlich artificiel / die Zitterhand(¨e) la main qui tremble / taub sourd / im Alter lorsque l’on est âgé / von innen de l’intérieur / wie … aus-sehen ressembler à … / staunen s’étonner / die Geburt la naissance.
13. die Ausstellung l’exposition / bescheiden modeste / die Heimreise le retour à la maison / sich in … vertiefen se plonger dans … / klemmend qui coince / die Schublade le tiroir / das Hörspiel(e) la pièce radiophonique / an-hören écouter / aus-liegen être à disposition / sich befinden se situer / das Erdgeschoss le rez-de-chaussée / nahe gelegen proche / beschreiben décrire. 14. schlendern flâner / bunt coloré / die Kunsthofpassagen enfilade de cours aux façades décorées par des artistes / stöbern fouiller / die Kiste la boîte / jdm fällt etw auf qqn se rend compte de qqch / bestaunen admirer / sonst sinon / die Schneekugel(n) la boule à neige / die Schokoladentafel(n) la tablette de chocolat / kitschig kitsch / der Kunstdruck(e) la reproduction d’oeuvres d’art / begegnen rencontrer / kein einziges Mal pas une seule fois.