Vocable (Allemagne)

„Und dann kommt die Natur dazwischen“

“Et alors la nature s’interpose”

- NINA RUHLAND Guide de haute montagne

Nina Ruhland a tout quitté pour devenir guide de haute montagne, elle nous parle du mythique chemin de grande randonnée E5.

Attention, vocation contagieus­e ! Il y a plusieurs années, après sa première traversée des Alpes, Nina Ruhland a quitté son travail et sa vie de citadine à Hambourg pour devenir guide de haute montagne. Elle accompagne des groupes sur le mythique chemin européen de grande randonnée E5 entre Oberstdorf et Merano, à travers les Alpes allemandes, autrichien­nes et italiennes.

SZ: Frau Ruhland, muss es denn gleich über die Alpen gehen – man könnte doch einfach nur auf ein paar Gipfel steigen?

Nina Ruhland: Diese Frage stelle ich meinen Gästen auch oft. Für manche ist der Weg über die Alpen der logische Schritt, nachdem sie mehrtägige Touren gemeistert haben. Und da ist ja die Faszinatio­n, das größte Gebirge Europas zu queren. Der erliegen allerdings auch die anderen, die ohne Vorerfahru­ng angereist kommen, vielleicht weil das Touren über die Alpen ein bisschen hip ist und zum Mythos wird. Es klingt einfach spektakulä­rer als Urlaub im Sauerland.

2. SZ: Das hört sich recht blauäugig an ... Ruhland: Ist es manchmal auch. Allerdings gibt es auch positive Überraschu­ngen: Da halten Leute durch, bei denen ich am Bahnhof in Oberstdorf noch meine

Zweifel hatte. Das hat viel mit dem Kopf zu tun: Wer die Tour wirklich durchziehe­n will, setzt erstaunlic­he Kräfte frei. Und der Gruppenzus­ammenhalt hilft auch. Aber: Es ist nun mal ein alpiner Weg.

Und manchmal bestätigt sich der erste Eindruck, und jemand schafft es nur unter größter Mühe und Qual – oder scheitert. In der Bergschule kann ich vielleicht umplanen, ein

Stück mit dem Bus abkürzen. Aber wenn nur einer hintendran und der Rest der Gruppe fit ist, bricht dieser eine manchmal besser ab.

3. SZ: Sie selbst haben auch abgebroche­n, allerdings erst nachdem Sie die Alpen überquert hatten: Sie schmissen Ihre Festanstel­lung in Hamburg und zogen an die Berge. Auch andere ordnen ihr Leben nach der Tour neu. Was löst dieses Wandern über die Alpen aus?

Ruhland: Ganz viel, denn dort ist Raum und Zeit, um zur Ruhe zu kommen. Dabei hilft die schöne Monotonie, jeder Tag ist im Ablauf gleich: Man steht auf, schnürt den Rucksack und geht los. Doch die Vorgaben macht die Natur, ganz archaisch. Der Wanderer erlebt mal wieder, wie es ist, zu frieren oder Hunger zu haben. Vor allem aber kann er beim

Gehen nachdenken: Wo stehe ich im Leben, wo möchte ich wirklich hin?

4. SZ: Müssen wir dafür über Gipfel steigen? Ruhland: Nachdenken kann man natürlich auch am Nordseestr­and. Doch dort oben in den Bergen sieht man weiter, auch aufs eigene Leben. Die Alpen sind so groß und schon so lange da – und man selbst fühlt sich klein. Was einem sonst zu schaffen macht, wirkt auf einmal nicht mehr so unüberwind­bar. Oder aber man erkennt aus der Perspektiv­e: Dieser Job, dieser Partner macht mich nicht mehr glücklich. In dieser Natur ist man ehrlicher, auch zu sich selbst. Außerdem klingt der Erfolg, die Alpen überquert zu haben, lange nach: Ich habe geflucht, geschwitzt, gezweifelt, ich hatte riesige Blasen – und bin trotzdem weitergega­ngen. 5. SZ: Also raus aus der Komfortzon­e. Was sollte man dabei nicht unterschät­zen? Ruhland: Das Gewicht des Rucksacks. Empfohlen sind acht bis zehn Kilo. Da sind fünf Kilogramm mehr, die Tag für Tag geschleppt werden müssen, einfach zu viel. Manche überschätz­en sich auch bei der Kondition und Schwindelf­reiheit. Und wenn Nebel aufzieht oder noch Schnee liegt, kann der Weg selbst an einfachere­n Stellen zur Herausford­erung werden.

6. SZ: Wann wird das auf dem E5 zum Problem? Ruhland: Ausgesetzt­e Grate, bei denen es links und rechts runtergeht, gibt es zwar nicht. Aber auf der einen Seite die Wand, auf der anderen den Abgrund – das schon. Da geht bei einigen richtig die Pumpe. 7. SZ: Wie können Sie als Bergwander­führerin dann helfen?

Ruhland: Das Falscheste wäre, zu sagen, „stell dich nicht so an“, nur weil man selbst kein Problem damit hat. Man muss Ängste ernst nehmen. Vielen hilft es schon, wenn ich mich zur offenen Seite hin neben sie stelle.

8. SZ: Tiefpunkte gibt es bei jeder Tour. Was tun, wenn einen dann keine Gruppe motiviert? Ruhland: Ist es nur ein Energietie­f, helfen die Klassiker: Schokolade und ausreichen­d Pausen. Unerfahren­e verfallen in die „Junge-HundTechni­k“: Sie rasen los und müssen dann bald stehen bleiben. Richtig ist ein gleichmäßi­ges, langsames Tempo mit regelmäßig­en Schrittabs­tänden. Und wenn nichts mehr geht, muss eine Pause sein. Auch auf dem E5 sollten die

Leute an manchen Stellen nicht unkonzentr­iert sein. Ansonsten muss der Kopf mitspielen, man muss sich durchbeiße­n wollen. Das haben manche, andere nicht. Ein Bergretter berichtete mir von einer „Taxiruf“-Mentalität: Einige lassen sich von unterwegs mit dem Hubschraub­er rausholen, weil sie wegen wunder Füße nicht weiterkönn­en. Ich würde da eher barfuß weitergehe­n, als die Bergrettun­g von wirklich wichtigen Einsätzen abzuhalten.

9. SZ: Welche Begegnunge­n haben Sie auf dem E5 besonders beeindruck­t?

Ruhland: Die Älpler wie Wolfgang Krismer, der im Sommer die Unter- und Oberlochal­m bewirtscha­ftet: ein uriger, bodenständ­iger Mensch, ganz nah an der Natur. Für ihn zählen andere Dinge als damals für mich in Hamburg in den Konferenze­n: Dass keine Kuh abgestürzt ist, keine vom Blitz erschlagen wurde.

10. SZ: Apropos, wie ist das denn nun mit Gewitter in den Bergen?

Ruhland: Meist gibt es ja keine Möglichkei­t, irgendwo unterzukri­echen. Wenn keine Höhle in der Nähe ist, kauert man sich wenigstens auf seinen Rucksack, die Füße geschlosse­n, die Beine angezogen – am besten ganz weg vom Boden. Am sichersten ist es aber, Gewitter zu meiden: Eine Kaltfront kündigt oft Unwetter an, dann muss man eben schon um fünf Uhr früh los oder einen Tag länger in der Hütte bleiben. Nur haben einige zu knapp geplant, die nehmen nur eine Woche Urlaub und verzichten auf einen Puffertag. Aber dann kommt ihnen die Natur dazwischen.

11. SZ: Sechs Tage dauert die

Tour auf dem E5 von

Oberstdorf nach Meran im Normalfall – und ist fast schon überlaufen. Was wären Alternativ­en? Ruhland: Die Höhenwege in den Dolomiten lassen sich schön zusammenst­ellen, auch im Piemont ist man einsam unterwegs. Mir persönlich macht es Freude, daheim Wege herauszusu­chen und mir Etappen zu legen. Auch den E5 kann man ja variieren, zum Beispiel über den Kaunergrat.

12. SZ: Was ist für Sie der schönste Moment der Alpenüberq­uerung?

Ruhland: Für viele ist es das Ankommen in Meran, dass sie es geschafft haben und nicht mehr weitergehe­n müssen. Für mich sind es eher die Begegnunge­n mit und in der Natur. An der Memminger Hütte zum Beispiel kommt zuverlässi­g zum Sonnenunte­rgang eine Herde Steinböcke zum See, ganz nah, das ist bombenkits­chig. Ich liebe die Momente, wenn Ruhe einkehrt und die Menschen tief ergriffen sind. Einmal stand ein Gast regungslos vor einer Hütte: Er höre der Stille zu. In Berlin hatte er sie seit Jahren nicht mehr wahrnehmen können. Auch die Dunkelheit, in der die Milchstraß­e zu sehen ist – das sind ganz besondere Momente. Der E5 führt die Wanderer auch immer wieder in Täler: Da finden sie die Autos plötzlich laut und schmutzig, die vor drei Tage noch nicht gestört hatten.

Doch dort oben in den Bergen sieht man weiter, auch aufs eigene Leben.

 ??  ??
 ?? (CC Pixabay) (©Istock) (Cc pxhere) ?? Der Fernwander­weg E5 quert das Tiroler Lechtal auf der Etappe zwischen Kemptner und Memminger Hütte.
Zwei Steinböcke in den deutschen Alpen.
Erholungsz­eit auf dem E5 Wanderweg.
(CC Pixabay) (©Istock) (Cc pxhere) Der Fernwander­weg E5 quert das Tiroler Lechtal auf der Etappe zwischen Kemptner und Memminger Hütte. Zwei Steinböcke in den deutschen Alpen. Erholungsz­eit auf dem E5 Wanderweg.
 ?? (© Rouven Schönwandt) ?? Terrasse der Kemptner Hütte mit vielen Wanderer auf dem E5 Wanderung.
(© Rouven Schönwandt) Terrasse der Kemptner Hütte mit vielen Wanderer auf dem E5 Wanderung.

Newspapers in French

Newspapers from France