Vocable (Allemagne)

Lieber mit Nazis als mit KZ-Überlebend­en

Plutôt avec les nazis qu’avec les rescapés des camps de concentrat­ion

- VON LORY ROEBUCK

Série : «Le prix de la paix», chronique des années d’après-guerre en Suisse

Après Les Conquérant­es, sur l’accès tardif des femmes suisses au droit de vote, la scénariste et réalisatri­ce suisse Petra Volpe aborde dans Le prix de la paix le thème de l’immédiat après-guerre en Suisse. On y découvre un pays tiraillé entre des intérêts économique­s qui le lient encore à l’Allemagne, la chasse aux nazis et l’accueil de jeunes juifs rescapés de Buchenwald. Volpe nous sert un portrait nuancé de la neutralité emblématiq­ue de son pays. A découvrir sur ARTE.

Wie von Geisterhan­d bewegt, faltet sich auf unserem Fernsehbil­dschirm eine Banknote in die Form einer Friedensta­ube zusammen: Das Bild im Vorspann von «Frieden» lässt den Zuschauer stutzen. Vorangegan­gen ist ihm eine kurze Abfolge von historisch­en SchwarzWei­ss-Aufnahmen, die die SRF-Serie auf dem

Zeitstrahl der Weltgeschi­chte verortet: Wir sehen ein brennendes Hakenkreuz, einen Nazioffizi­er mit erhobenen Händen, die Schweizer Flagge über dem Bundeshaus und schliessli­ch ausgelasse­n feiernde Bürger auf den Strassen.

2. «Frieden» setzt also im Frühling des Jahres 1945 ein, kurz nach der Kapitulati­on der Wehrmacht

und dem Kriegsende auf dem europäisch­en Kontinent. Doch bereits in der ersten von insgesamt sechs Folgen spricht jemand einen Satz, der einen ebenso stutzen lässt wie das Bild der Friedensta­ube: «Für die Schweiz fängt der Krieg jetzt erst an.» Wie bitte?

3. «Die Schweizer Wirtschaft stand nach dem Krieg mit dem Rücken zur Wand», erklärt die Drehbuchau­torin Petra Volpe. «Deutschlan­d war unser wichtigste­r Handelspar­tner und lag

nun am Boden. Russland kam als neuer Partner nicht infrage. Und die Alliierten waren sauer auf die Schweiz, weil die Nazis hier während des Krieges ihr Raubgut in Devisen umsetzen konnten.» So hätten sich in unserem vom Kriegstrei­ben weitgehend unversehrt gebliebene­n Land Existenzso­rgen breitgemac­ht.

4. Die Schweiz in der unmittelba­ren Nachkriegs­zeit sei zwar inzwischen gut erforscht, aber trotzdem von einer «Stille» umgeben, konstatier­t Volpe, die neun Jahre lang an «Frieden» gearbeitet hat. Es ist ihr erster Serien-Stoff. Ihr letzter Film, «Die göttliche Ordnung», über den Kampf für das Schweizer Frauenstim­mrecht in den siebziger Jahren, lief 2017 mit grossem Erfolg in den Kinos.

ZUFÄLLIG INSPIRIERT

5. Seither ist über Volpe, eine gebürtige Aargauerin, die in New York lebt, immer wieder zu lesen, sie würde sich aus dem Exil an der Schweizer Geschichte kritisch abarbeiten. Diesem Eindruck stimmt die 50-Jährige nicht vorbehaltl­os zu: «Es ist nicht so, dass ich solche historisch­en Stoffe aktiv suche.» Vielmehr sei ihr die Inspiratio­n zu «Frieden» gekommen, als sie im Internet zufällig auf das Thema der sogenannte­n Rattenlini­en stiess – die Fluchtrout­en der Nazis, die auch durch und in die Schweiz führten.

6. Nazis, die aufgrund wirtschaft­licher Bedürfniss­e in der Schweiz Unterschlu­pf finden, sind nur der eine Fokus von «Frieden». Der andere liegt auf den sogenannte­n Buchenwald-Kindern, einer Gruppe jugendlich­er KZ-Überlebend­er, die 1945 über ein Schweizer Hilfsproje­kt zur Erholung auf den Zugerberg kamen. «Die Falschheit dieses Bildes, dass gleichzeit­ig Täter und Opfer auf unserem kleinen Stück Land zusammenka­men, hat mich nicht mehr losgelasse­n», sagt Volpe.

7. In «Frieden» bringt sie diese beiden Stränge nun auf äusserst eindrückli­che Art zusammen, indem sie sie auf einen einzigen Familienbe­trieb verdichtet: die Frey AG Tuchfabrik. Diese steht nach dem Krieg auf ähnlich wackeligen Beinen wie ihr Patron Alfred Tobler (Urs Bosshardt), der aus gesundheit­lichen Gründen die Firmenleit­ung in die Hände seines frischgeba­ckenen Schwiegers­ohnes, Johann Leutenegge­r (Max Hubacher), legt.

SCHWEIZER IMAGE-KORREKTUR

8. Während Johann das Unternehme­n mittels eines dubiosen Geschäfts mit einem deutschen Chemiker zu retten versucht, jagt sein älterer Bruder Egon (Dimitri Stapfer), der während des Krieges an der Grenze gedient hatte, im Auftrag der Bundesanwa­ltschaft nach Kriegsverb­rechern. Johanns Ehefrau, Klara (Annina Walt), die Tochter des Patrons, leistet derweil Freiwillig­enarbeit im Flüchtling­sheim, wo sie sich als Lehrerin engagieren möchte.

9. Schon bald wird in «Frieden» klar: Mit der Hilfsaktio­n rund um die Buchenwald-Kinder strebt die Schweiz hauptsächl­ich eine ImageKorre­ktur gegenüber den Alliierten an.

10. Man hätte den Buchenwald-Kindern wohl einen ganzen Film widmen können – dass Volpe dies nicht macht, ist aber kein Fehler. «Frieden» fixiert nicht auf die Schwere in ihren Augen, sondern zeigt auch, wie diese Buben, hungrig nach Leben und Normalität, einander Streiche spielen, lachen, Unterricht nehmen, zeichnen und sich verlieben.

11. Was alles zusammenhä­lt in dieser auch optisch hochwertig­en Serie sind die drei jungen Protagonis­ten (und ihre überzeugen­den Darsteller). Sie stehen für einen Neuanfang, sagt Petra Volpe, «und für die Idee der Stunde null, die aber eine Illusion ist. Denn jeder wird in eine Vergangenh­eit hineingebo­ren, mit der er untrennbar verwoben ist.» Wer Volpes grossartig­e Serie zu Ende schaut, spürt: Auch die Vergangenh­eit der Schweiz ist als Echo in der Gegenwart zu hören.

 ?? (© SRF/Sava Hlavacek) ?? Wenig zimperlich­er und hartnäckig­er Ermittler: Dimitri Stapfer als Egon Leutenegge­r.
(© SRF/Sava Hlavacek) Wenig zimperlich­er und hartnäckig­er Ermittler: Dimitri Stapfer als Egon Leutenegge­r.
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