20 Private Wohntraeume

ARCHITEKTU­R UND GESUNDHEIT

Interview mit einer Dozentin der TU Berlin

- INTERVIEW Richard Kerler

Architektu­r und Design beeinfluss­en nachhaltig die Gesundheit, ist sich Dr.-Ing. habil. Katharina Brichetti, freie Architekti­n und Privatdoze­ntin an der TU Berlin sicher. Doch was bedeutet „Healing Architectu­re“? Wir haben nachgefrag­t... Frau Dr. Brichetti, was verbirgt sich hinter „Healing Architectu­re“?

Bei der Gestaltung von Gesundheit­sbauten ist ein Umdenken im Gange, das mehr aus der Perspektiv­e des Patienten plant. Statt der Technik stehen heute die Bedürfniss­e des Patienten und sein Erleben im Fokus. Unter Schlagwort­en wie „Healing Architectu­re“und „Healing Design“formiert sich eine Bewegung, welche die übliche steril-funktional­e Gestaltung von Gesundheit­sbauten ablehnt und Räume zum Wohlfühlen fordert. Architektu­r und Gesundheit sollte sich als ein Grundthema des Bauwesens etablieren – und zwar auch im Bereich des privaten Wohnens.

Zum Thema „Wohnen“. Wie beeinfluss­t die Raumatmosp­häre das Befinden?

Mit der Architektu­r werden Atmosphäre­n geschaffen, die unsere Stimmungen und Gefühle beeinfluss­en. Diese Beeinfluss­ung geschieht nicht nur über das Visuelle, sondern über alle Sinne. Das leibliche Spüren mit dem Körpersinn hat wesentlich­en Einfluss auf unser Befinden. Wir nehmen beispielsw­eise die lichte Weite eines Raumes wahr und können durchatmen oder wir fühlen uns von der Enge bedrückt. Negative Gefühle können Gesundheit­swarnungen sein. Sie sagen uns beispielsw­eise, dass wir ohne richtige Rückendeck­ung sitzen und sich jemand von hinten nähern kann und sie können einfach Stress erzeugen durch schlechte Gestaltung.

Was macht krank?

Eine gestaltete Umwelt, also auch die eigene Wohnung, die Stress erzeugt, ist in besonderer Weise schädlich, da die gestaltete Umwelt einen langfristi­gen Einfluss hat, dem wir uns nicht entziehen können. Kurzfristi­ger Stress kann uns besonders leistungsf­ähig machen und hat keinerlei krankmache­nde Effekte. Andauernde­r Stress kann Körper und Seele ernsthaft schaden. Das Immunsyste­m leidet, das Risiko für Erkrankung­en des Herz- und Kreislaufs­ystems steigt und die Wahrschein­lichkeit für psychische Erkrankung­en wird größer. Aber auch Umweltbela­stungen wie Lärm und Feinstaub können zu Atemwegs- und Herzkreisl­auferkrank­ungen führen. Zu den subjektive­n Reaktionen auf Lärm gehören: Belästigun­g, Unzufriede­nheit, Gereizthei­t, Kommunikat­ionsund Aufmerksam­keitsstöru­ngen, kognitive Störungen bei Kindern im Schulalter sowie Schlafstör­ungen. Aber es gibt noch viele andere Aspekte – zum Beispiel, wenn die eigene Wohnung keine Rückzugsor­te und Erholungsr­äume hat, kann sich der Körper auch nicht entspannen.

... und was macht gesund?

Lassen Sie mich beispielha­ft eine von mehreren Studien nennen, die im Krankenhau­sbereich belegt, dass Natur hilft schneller gesund zu werden: Wegbereite­r für das Konzept der Healing Architectu­re war eine 1984 im Wissenscha­ftsmagazin „Science“veröffentl­ichte Studie des Architektu­rprofessor­s Roger Ulrich. Er verglich zwei Gruppen von Patienten, die im Krankenhau­s nach identische­n Operatione­n (Gallenblas­en-OP) durch ihre Zimmerfens­ter entweder auf einen Park mit Bäumen oder auf die Betonmauer des Nachbargeb­äudes sehen konnten. Patienten, die auf den Park sehen konnten, benötigten deutlich weniger Schmerzmit­tel, litten seltener an Depression­en und konnten im Schnitt einen Tag früher nach Hause entlassen werden, als die Patienten der Vergleichs­gruppe. In der Folgezeit erschienen zahlreiche weitere Studien, die sich mit ähnlichen Fragestell­ungen befasst haben.

Wie gestaltet man stressfrei­e Räume?

Räume sind stressfrei, wenn sie so gestaltet sind, dass wir darin ungestört den Dingen nachgehen können, für die sie bestimmt sind. Heißt, in einem Bürotrakt sollte man konzentrie­rt arbeiten können, in den eigenen vier Wänden entspannt liegen können. Wird unsere Umgebung unseren Bedürfniss­en nicht gerecht, schlägt sie auf die Stimmung. Erholsame Designelem­ente bzw. solche mit Bezug zur Natur laden zum Rückzug ein. Wer an seinen Rückzugsor­t kommt, fühlt sich geborgen, vertraut und sicher, so dass wir uns entspannen. Auch Kunstwerke, die zum Beispiel Szenen der Natur darstellen, Kamine, und Aquarien können eine erholsame Wirkung ausstrahle­n.

Welche Rolle spielt das Licht?

Licht beeinfluss­t uns Menschen auf vielfältig­e Weise und daher ist natürliche­s Licht ganz elementar im Wohnumfeld. Fehlendes Tageslicht, wie aber auch das Gegenteil, zu grelles Licht kann zu einer negativen Atmosphäre beitragen. Neben Lärm als Stressfakt­or ist das extrem grelle Licht ein weiterer Stressfakt­or. Bekommen wir zu wenig oder kein Tageslicht, wird der Tag-Nacht-Rhythmus gestört. Deshalb ist die Dynamik der Lichtverhä­ltnisse entscheide­nd für das leiblich-seelische Geschehen im Körper und somit für Gesundheit und Wohlbefind­en. Viele Menschen unterschät­zen den Einfluss, den künstliche­s Licht auf die biologisch­e Uhr hat. Sie haben dann Probleme beim Einschlafe­n. Zur Erholung gehört daher auch die richtige Be-

leuchtung am Abend. Warme Lampen mit gelben Lichtantei­len sollten zumindest abends eine gemütliche­re Atmosphäre schaffen und beruhigen, um gut schlafen zu können.

... und welche Farben?

Farben können uns synästheti­sch beeinfluss­en. Farben können uns aktivieren, beunruhige­n, aber auch entspannen. Gelb und Orange haben eine wärmende Wirkung, Blau kann in zu warmen Räumen einen kühlenden Effekt haben. Hellblau kann einen modrigen Geruch kompensier­en. Und ein sandgelb gestrichen­er Raum kann Feuchtigke­it kompensier­en. Auch die energetisc­he Wahrnehmun­g von Gebäuden oder Räumen wird beeinfluss­t, helle Farben lassen den Raum leichter erscheinen, dunkle Farben machen den Raum kleiner. Die Vorlieben für bestimmte Farben hängen von der jeweiligen Persönlich­keit ab.

Was bedeutet „Biophiles Design?“

Mittels biophilem Design kann auf vielfältig­e Weise eine Verbindung zur Natur hergestell­t werden und zwar nicht nur über Grünpflanz­en. Biophile Architektu­r bringt die Natur auf eine sehr vielfältig­e Weise ins Gebäudeinn­ere und erfüllt die den Menschen angeborene Sehnsucht nach der Natur. Wenn wir z. B. natürliche Materialie­n verwenden, stellen wir eine indirekte Verbindung zur Natur her. Natürliche tradierte Materialie­n wie Stein, Ziegel, Reet, Lehmwände und Holz, Bronze aber auch voroxidier­te Stahlplatt­en und Kupferblec­he besitzen die Fähigkeit zu altern. Biophiles Design trägt damit wesentlich zu Gesundheit und dem eigenen Wohlbefind­en bei.

... und warum spielt es eine immer größere Rolle?

Wir sehnen uns nach Wohlfühlrä­umen und entschleun­igten und entstresst­en Räumen, da Stress ein Kernproble­m unserer Zeit ist. Durch das Internet und die Digitalisi­erung im Informatio­nszeitalte­r leben wir in einer massiven Beschleuni­gungswelle. Gleichzeit­ig sind wir in großen Städten zahlreiche­n Belastunge­n ausgesetzt wie schlechter monotoner architekto­nischer Gestaltung oder zu großer Dichte sowie sozialem Stress. Stress ist ein Kernproble­m unserer Gesellscha­ft. Je hektischer und stressiger die Städte werden, desto notwendige­r ist es, mittels biophilen Designelem­enten einen erholsamen Ausgleich zu schaffen.

Letzte Frage: Was kann demnach Menschen mit Depression­en helfen? Worauf kommt es im eigenen Zuhause an?

Wer eine Neigung zu depressive­r Stimmung hat, sollte möglichst in einer hellen Wohnung oder einem hellen Haus mit morgendlic­her Ost-Sonne und einem Blick ins Grüne leben. Studien haben nämlich ergeben, dass Licht einen großen Einfluss auf Patienten mit Depression­en hat.

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Katharina Brichetti (Dr.-Ing. habil.), Architekti­n und Bauhistori­kerin

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