ARCHITEKTUR UND GESUNDHEIT
Interview mit einer Dozentin der TU Berlin
Architektur und Design beeinflussen nachhaltig die Gesundheit, ist sich Dr.-Ing. habil. Katharina Brichetti, freie Architektin und Privatdozentin an der TU Berlin sicher. Doch was bedeutet „Healing Architecture“? Wir haben nachgefragt... Frau Dr. Brichetti, was verbirgt sich hinter „Healing Architecture“?
Bei der Gestaltung von Gesundheitsbauten ist ein Umdenken im Gange, das mehr aus der Perspektive des Patienten plant. Statt der Technik stehen heute die Bedürfnisse des Patienten und sein Erleben im Fokus. Unter Schlagworten wie „Healing Architecture“und „Healing Design“formiert sich eine Bewegung, welche die übliche steril-funktionale Gestaltung von Gesundheitsbauten ablehnt und Räume zum Wohlfühlen fordert. Architektur und Gesundheit sollte sich als ein Grundthema des Bauwesens etablieren – und zwar auch im Bereich des privaten Wohnens.
Zum Thema „Wohnen“. Wie beeinflusst die Raumatmosphäre das Befinden?
Mit der Architektur werden Atmosphären geschaffen, die unsere Stimmungen und Gefühle beeinflussen. Diese Beeinflussung geschieht nicht nur über das Visuelle, sondern über alle Sinne. Das leibliche Spüren mit dem Körpersinn hat wesentlichen Einfluss auf unser Befinden. Wir nehmen beispielsweise die lichte Weite eines Raumes wahr und können durchatmen oder wir fühlen uns von der Enge bedrückt. Negative Gefühle können Gesundheitswarnungen sein. Sie sagen uns beispielsweise, dass wir ohne richtige Rückendeckung sitzen und sich jemand von hinten nähern kann und sie können einfach Stress erzeugen durch schlechte Gestaltung.
Was macht krank?
Eine gestaltete Umwelt, also auch die eigene Wohnung, die Stress erzeugt, ist in besonderer Weise schädlich, da die gestaltete Umwelt einen langfristigen Einfluss hat, dem wir uns nicht entziehen können. Kurzfristiger Stress kann uns besonders leistungsfähig machen und hat keinerlei krankmachende Effekte. Andauernder Stress kann Körper und Seele ernsthaft schaden. Das Immunsystem leidet, das Risiko für Erkrankungen des Herz- und Kreislaufsystems steigt und die Wahrscheinlichkeit für psychische Erkrankungen wird größer. Aber auch Umweltbelastungen wie Lärm und Feinstaub können zu Atemwegs- und Herzkreislauferkrankungen führen. Zu den subjektiven Reaktionen auf Lärm gehören: Belästigung, Unzufriedenheit, Gereiztheit, Kommunikationsund Aufmerksamkeitsstörungen, kognitive Störungen bei Kindern im Schulalter sowie Schlafstörungen. Aber es gibt noch viele andere Aspekte – zum Beispiel, wenn die eigene Wohnung keine Rückzugsorte und Erholungsräume hat, kann sich der Körper auch nicht entspannen.
... und was macht gesund?
Lassen Sie mich beispielhaft eine von mehreren Studien nennen, die im Krankenhausbereich belegt, dass Natur hilft schneller gesund zu werden: Wegbereiter für das Konzept der Healing Architecture war eine 1984 im Wissenschaftsmagazin „Science“veröffentlichte Studie des Architekturprofessors Roger Ulrich. Er verglich zwei Gruppen von Patienten, die im Krankenhaus nach identischen Operationen (Gallenblasen-OP) durch ihre Zimmerfenster entweder auf einen Park mit Bäumen oder auf die Betonmauer des Nachbargebäudes sehen konnten. Patienten, die auf den Park sehen konnten, benötigten deutlich weniger Schmerzmittel, litten seltener an Depressionen und konnten im Schnitt einen Tag früher nach Hause entlassen werden, als die Patienten der Vergleichsgruppe. In der Folgezeit erschienen zahlreiche weitere Studien, die sich mit ähnlichen Fragestellungen befasst haben.
Wie gestaltet man stressfreie Räume?
Räume sind stressfrei, wenn sie so gestaltet sind, dass wir darin ungestört den Dingen nachgehen können, für die sie bestimmt sind. Heißt, in einem Bürotrakt sollte man konzentriert arbeiten können, in den eigenen vier Wänden entspannt liegen können. Wird unsere Umgebung unseren Bedürfnissen nicht gerecht, schlägt sie auf die Stimmung. Erholsame Designelemente bzw. solche mit Bezug zur Natur laden zum Rückzug ein. Wer an seinen Rückzugsort kommt, fühlt sich geborgen, vertraut und sicher, so dass wir uns entspannen. Auch Kunstwerke, die zum Beispiel Szenen der Natur darstellen, Kamine, und Aquarien können eine erholsame Wirkung ausstrahlen.
Welche Rolle spielt das Licht?
Licht beeinflusst uns Menschen auf vielfältige Weise und daher ist natürliches Licht ganz elementar im Wohnumfeld. Fehlendes Tageslicht, wie aber auch das Gegenteil, zu grelles Licht kann zu einer negativen Atmosphäre beitragen. Neben Lärm als Stressfaktor ist das extrem grelle Licht ein weiterer Stressfaktor. Bekommen wir zu wenig oder kein Tageslicht, wird der Tag-Nacht-Rhythmus gestört. Deshalb ist die Dynamik der Lichtverhältnisse entscheidend für das leiblich-seelische Geschehen im Körper und somit für Gesundheit und Wohlbefinden. Viele Menschen unterschätzen den Einfluss, den künstliches Licht auf die biologische Uhr hat. Sie haben dann Probleme beim Einschlafen. Zur Erholung gehört daher auch die richtige Be-
leuchtung am Abend. Warme Lampen mit gelben Lichtanteilen sollten zumindest abends eine gemütlichere Atmosphäre schaffen und beruhigen, um gut schlafen zu können.
... und welche Farben?
Farben können uns synästhetisch beeinflussen. Farben können uns aktivieren, beunruhigen, aber auch entspannen. Gelb und Orange haben eine wärmende Wirkung, Blau kann in zu warmen Räumen einen kühlenden Effekt haben. Hellblau kann einen modrigen Geruch kompensieren. Und ein sandgelb gestrichener Raum kann Feuchtigkeit kompensieren. Auch die energetische Wahrnehmung von Gebäuden oder Räumen wird beeinflusst, helle Farben lassen den Raum leichter erscheinen, dunkle Farben machen den Raum kleiner. Die Vorlieben für bestimmte Farben hängen von der jeweiligen Persönlichkeit ab.
Was bedeutet „Biophiles Design?“
Mittels biophilem Design kann auf vielfältige Weise eine Verbindung zur Natur hergestellt werden und zwar nicht nur über Grünpflanzen. Biophile Architektur bringt die Natur auf eine sehr vielfältige Weise ins Gebäudeinnere und erfüllt die den Menschen angeborene Sehnsucht nach der Natur. Wenn wir z. B. natürliche Materialien verwenden, stellen wir eine indirekte Verbindung zur Natur her. Natürliche tradierte Materialien wie Stein, Ziegel, Reet, Lehmwände und Holz, Bronze aber auch voroxidierte Stahlplatten und Kupferbleche besitzen die Fähigkeit zu altern. Biophiles Design trägt damit wesentlich zu Gesundheit und dem eigenen Wohlbefinden bei.
... und warum spielt es eine immer größere Rolle?
Wir sehnen uns nach Wohlfühlräumen und entschleunigten und entstressten Räumen, da Stress ein Kernproblem unserer Zeit ist. Durch das Internet und die Digitalisierung im Informationszeitalter leben wir in einer massiven Beschleunigungswelle. Gleichzeitig sind wir in großen Städten zahlreichen Belastungen ausgesetzt wie schlechter monotoner architektonischer Gestaltung oder zu großer Dichte sowie sozialem Stress. Stress ist ein Kernproblem unserer Gesellschaft. Je hektischer und stressiger die Städte werden, desto notwendiger ist es, mittels biophilen Designelementen einen erholsamen Ausgleich zu schaffen.
Letzte Frage: Was kann demnach Menschen mit Depressionen helfen? Worauf kommt es im eigenen Zuhause an?
Wer eine Neigung zu depressiver Stimmung hat, sollte möglichst in einer hellen Wohnung oder einem hellen Haus mit morgendlicher Ost-Sonne und einem Blick ins Grüne leben. Studien haben nämlich ergeben, dass Licht einen großen Einfluss auf Patienten mit Depressionen hat.