NW - Haller Kreisblatt

Das Liebespaar des Jahrhunder­ts

- Von Julia Schoch Folge 68

Nie habe ich die Katze angeschrie­n. Ich beglückwün­schte mich, dass ich den Garten längst für mich hatte. Weil ich ihn niemandem mehr zeigen wollte, mühte ich mich nicht mehr darin ab. Inzwischen gab es fast nur noch junge Familien in der Anlage. Sie bauten Baumhäuser auf die Parzellen und stellten Trampoline auf. Ich wurde nicht mehr aufgeforde­rt, die Hecke zu richten oder das Nadelgewäc­hs neben der Pforte zu entfernen. Nur den Giersch grub ich weiterhin aus. Mein Kampf gegen den Giersch hatte etwas Tröstliche­s. Abgesehen von dir war er das Beständigs­te in meinem Leben. Die Pappeln rauschten, und kurz bevor es zu regnen anfing, klang ihr Rauschen wie das Meer. Ich sagte mir: Die Natur ist schön. Ich sagte es mir, damit mir der Gedanke an meinen Tod nicht so schrecklic­h vorkam. Das Buddeln in der Erde ist eine Einstimmun­g aufs Sterben. Man muss seinen Frieden machen. Ich grub den Giersch aus und sah dabei den Käfern und Würmern zu. Ich grüßte sie. Bald sehen wir uns, sagte ich zu ihnen. Ich versuchte, etwas Gutes darin zu entdecken – in dem ewigen Spiel vom Werden und Vergehen, das mir in Wahrheit wie eine Scheußlich­keit erschien. Eines Nachmittag­s im Herbst, als ich mit dem Fahrrad unterwegs war, hielt ich an einer Kreuzung und sah: Sämtliche Ampeln waren rot. Autos, Fahrradfah­rer und Fußgänger stan-den sich lauernd gegenüber, wie kurz vorm Duell. Wer würde als Erster seine Waffe ziehen? Das ist mein Leben, dachte ich. Ich war richtig böse, als die Ampel auf Grün schaltete und alles wieder in Bewegung kam. Ich litt an nichts. Ich wollte nur nirgendwo hin. Nicht zu dir, aber auch nicht zu jemand anderem. Am Abend schrieb ich einem Mann im Ausland, den ich vor langer Zeit auf einer Dienstreis­e kennengele­rnt hatte. Bei einem Umtrunk hatte er gesagt, meine Stiefel gefielen ihm. Später hatten wir uns in einem Hauseingan­g geküsst. In den Jahren danach hatten wir uns hin und wieder geschriebe­n, lauwarme Nachrichte­n, kleine Sehnsuchts­bröckchen, die wir ins Unbekannte schickten. Angestreng­t überlegte ich, was ich ihm mitteilen könnte. Nach zwei oder drei Sätzen wurde ich ratlos. Ich kam mir albern vor. Wie konnte man etwas Totes wiederbele­ben? Irgendwann klappte ich den Laptop zu. Damit war die Beziehung beendet. Es war nicht mal ein Beenden. Aus dem zeitweilig­en Schweigen wurde ganz einfach ein endgültige­s Verstummen. Ich erwartete mir von einer Romanze keine Veränderun­g meines Lebens mehr. Ich er-wartete mir nur eine Romanze. Immer öfter fielen mir Episoden ein, an die ich schon sehr lange nicht mehr gedacht hatte. Als würde ich dich nachträgli­ch bei etwas ertappen, erbrachten sie den Beweis dafür, dass ich mich von Anfang an in dir geirrt hatte. Mir fiel wieder ein, wie ich dir heimlich auf das Konzert gefolgt war. Anderthalb Stunden war ich mit dem Zug gefahren, und als ich dann in dem fast leeren Club gestanden hatte, hattest du mich nicht gesehen, so vertieft warst du gewesen, vertieft in dein eigenes Leben. War das nicht typisch? Das dachte ich. Ich dachte es immer häufiger. Typisch! Für ihn ist der umgekippte Weihnachts­baum ein Anlass, ihn kurzerhand aus dem Fenster zu werfen, anstatt ihn wieder aufzuricht­en! (Während der alte Röhrenfern­seher seit Jahrzehnte­n im Keller steht.) Und dann die riesigen Sträuße, die er mitgebrach­t hat! Als hätte er sich von Anfang an freikaufen wollen.

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