Hund im Rolli: Doch Pepe ist glücklich
Wenn Janine Kromminga durch die Stadt geht, sind ihr die Blicke der Passanten gewiss. Denn ihr Hund hat nur drei Beine. Dass Pepe trotzdem so lebensfroh ist, dafür hat sie viel auf sich genommen.
Werther. „Er ist einfach mein Seelenhund“, sagt Janine Kromminga. Und wer sieht, wie sich der kleine Pepe währenddessen auf ihrem Schoß sitzend an sie drückt und kuschelt, zweifelt keinen Moment daran, dass zwischen diesen beiden eine ganz besondere Verbindung besteht. Die brauchen sie auch, denn es ist nicht ohne, was die beiden in den vergangenen zwei Jahren gemeinsam durchgestanden und bewältigt haben.
Im Frühjahr 2022 entdeckt Janine Kromminga auf der Internetseite einer spanischen Tierschutzorganisation den kleinen Hund.„Ichhabemichdirektverknallt“, sagt sie. Pepe, der damals noch Pepito heißt, ist von den Tierschützern aus einer Tötungsstation in Andalusien gerettet worden. Im Alter von vier Wochen war er ganz alleine auf der Straße gefunden worden.
Janine Kromminga und ihr Lebensgefährte bewerben sich um den Hund. Drei Videos müssen sie dazu anfertigen. Auf dem einen stellt sich das Paar persönlich vor, auf dem zweiten zeigt es sein Haus und die Umgebung, in der der Hund leben soll, und das dritte Video wird in Werther in Janine Krommingas Fotostudio an der Rosenstraße gedreht, weil Pepe dort einen Großteil des Tages mit ihr verbringen soll.
Sie erhalten den Zuschlag und im Mai 2022 fährt Janine Kromminga aufgeregt nach Oberhausen, wo der Tiertransport ankommt, der Pepe und einige andere Hunde aus Andalusien nach Deutschland bringt. Trotz der langen Reise, die hinter ihm liegt, und der fremden Umgebung, scheint auch Pepe zu spüren, dass er nun in Sicherheit ist. „Er hat sich sofort in meine Jacke gekuschelt und ist eingeschlafen. Da war mir klar, dass wir uns nicht mehr trennen werden“, sagt Janine Kromminga.
Sie lässt den damals vier Monate alten Mischling (Whippet, eine Windhund-Art, und Ratonero-Andaluz, die spanische Jack-Russell-Variante) beim Tierarzt durchchecken. „Bis auf ein bisschen Milbenbefall war er topfit“, sagt sie. Pepe wird mit viel Liebe aufgepäppelt und entwickelt sich prächtig.
Doch im September bricht er sich bei einem harmlosen Spiel mit einem Artgenossen den Zeh.
Kaum ist der Bruch verheilt, ist der nächste Zeh gebrochen. Kurz darauf bricht er sich beim Spielen weitere zwei Zehen. Nach einem Sprung vom Sofa ist die Elle gebrochen und in einer aufwendigen Operation wird ein Fixateur eingesetzt.
Janine Kromminga ist klar, dass irgendwas mit seinem rechten Bein grundsätzlich nicht stimmt. Das Röntgenbild zeigt, dass der Knochen sehr porös ist; eine Knochenprobe ist unauffällig. Die Tierärztin macht deutlich, dass Pepes Bein sein Leben lang bruchanfällig sein wird, und deutet an, dass eine Amputation möglicherweise die bessere Variante sei.
Als Pepe einige Zeit später über eine Teppichkante stolpert, sind erneut Elle und Speiche gebrochen.DienächstegroßeOperation samt langwierigem Heilungsprozess wäre unausweichlich. Eine genaue Diagnose, woher diese ständigen Brüche kommen, gibt es immer noch nicht.
„Zu dem Zeitpunkt hatten wir ein Jahr lang wirklich alles versucht“, sagt Janine Kromminga. Ultraschall- und Blutuntersuchungen, Gentest, Nahrungsergänzungsmittel, Vitamine, regelmäßige Physiotherapie und fast durchgehende Versorgung der Wunden und Verbände. „Ich war ein Jahr lang Hundekrankenschwester. Das war wirklich anstrengend.“Ganz zu schweigen davon, dass natürlich auch Pepe unter den Operationen und Bewegungseinschränkungen leidet.
So soll es nicht weitergehen. „Es war wirklich die schwerste Entscheidung meines Lebens“, sagt die 43-Jährige. Doch eine Amputation des Vorderbeins scheint für Pepe die beste Option zu sein. Die OP im September 2023 verläuft problemlos. Eine anschließende Untersuchung in der Pathologie ergibt, dass die Versorgungskanäle und Knochen in dem Bein nicht richtig ausgebildet sind, wahrscheinlich eine Folge der Mangelernährung in den ersten Lebenswochen.
Pepe erholt sich schnell. Auf drei Beinen laufen kann er sofort. „Tiere nehmen neue Umstände
als gegeben hin und trauernnichtumdenVerlustderUnversehrtheit. Für mich war Pepe in dieser Situation der beste Lehrer: Einfach nach vorne schauen und weitermachen“, sagt die Hundebesitzerin.
Jede Woche geht es seitdem zusätzlichzurHundeschuleauch zur Physiotherapie, wo Pepe zum Beispiel Balanceübungen macht. Von der Physiotherapeutin erlernt Janine Kromminga einige Massagegriffe, mit denen sie die Muskelverspannungen, die durch Kompensation entstehen und Pepe Schmerzen bereiten, gut in den Griff bekommt. Ein Schallwellengerät zur Massage tut sein Übriges. „Ein HandicapHund braucht immer mehr Pflege. Und ich scheue mich nicht davor“, sagt Janine Kromminga.
Nur lange Spaziergänge, die Pepe als Windhund-Mischling natürlich braucht und liebt, sind auf drei Beinen nicht mehr möglich. Hunde tragen zwei Drittel ihres Körpergewichts auf den Vorderbeinen und in Pepes Fall nur noch auf einem Bein. Die Belastung wäre zu groß. Also soll ein Rollstuhl her.
„Aber finden Sie mal in Deutschland einen Hunderollstuhl für amputierte Vorderbeine“, sagt Janine Kromminga und man hört ihr an, wie aufreibend diese Suche war, um etwas zu finden, das zu Pepe passt. Bei „Eddi’s Wheels“, einem Hersteller in den USA, wird sie fündig. Dort werden Rollstühle in guter Qualität für jeden Hund maßangefertigt. Pepe wird nach allen Regeln der Kunst vermessen. „Wir mussten 20 Fotos machen, auf denenwireinenZollstockanverschiedene Körperstellen halten.“
Seit November 2023 ist Pepe nun Rolli-Fahrer. Es dauert einige Zeit, bis er sich daran gewöhnt. „Er musste erstmal begreifen, dass er mit dem Rolli insgesamt breiter ist und dass er um die Kurven mit dem Hintern lenken muss“, sagt Janine Kromminga. Regelmäßiges Rolli-Training gehört nun zur Wochenroutine. Und inzwischen sind auch Spaziergänge von einer Stunde wieder möglich. „Ich habe gleich die Offroad-Bereifung bestellt, so dass wir auch gut über die Wiesen laufen können.“
Es ist nicht nur viel Liebe und Zeit, die Janine Kromminga in Pepe investiert. Die Frage nach den Kosten drängt sich geradezu auf. Die Tierfreundin überlegt einen Moment. „Eigentlich ist es gut, wenn die Leute sehen, dass so ein Hund auch viel Geld kosten kann und man es sich sehr gut überlegen sollte, bevor man sich einen anschafft, denn man hat ja die Verpflichtung, sich auch um ein krankes Tier gut zu kümmern“, sagt sie.
Allein die Tierarztkosten lägen im fünfstelligen Bereich, der Rollstuhl hat etwa 1.000 Euro gekostet. Hinzu kommt seit knapp einem halben Jahr die wöchentliche Physiotherapie plus verschiedeneHilfsmittel.JedenMonat legt sie etwas Geld dafür für Pepe zur Seite.
Aber die Beziehung ist keineswegs einseitig. „Tiere geben ungefiltert Liebe und hinterfragen nicht“, beschreibt Janine Kromminga, das, was sie von Pepe bekommt. „Er sucht grundsätzlich Nähe und Geborgenheit. Er ist ein toller Begleiter und unfassbar lustig.“
Dass sie mit ihrem Einsatz für Pepe nicht bei jedem auf Verständnis stößt, ist ihr bewusst. Manchmal sind die Anfeindungen massiv, wenn sie mit dem dreibeinigen Hund in der Mittagspause durch Werther läuft. „Sollte man den nicht besser einschläfern?“oder „Ist das nicht Quälerei?“bekommt sie öfter zu hören. „Aber einmal hielt eine Frau mit ihrem Auto neben mir, kurbelte das Fenster runter und sagte: Es ist so schön, zu sehen, wie Sie zu Ihrem Hund halten. Da hatte ich wirklich Tränen in den Augen.“
Würde sie Pepe noch einmal zu sich nehmen, wenn sie wüsste, was auf sie zukommt? „Ja“, sagt Janine Kromminga mit fester Stimme und macht dann eine lange Pause. „Um nichts in der Welt würde ich ihn wieder hergeben. Ich weiß, dass nicht jeder all das gemacht hätte so wie ich. Deshalb denke ich oft: Es sollte einfach so sein, dass er bei mir landet.“
Eine Amputation schien die bessere Lösung zu sein „Tiere trauern nicht um den Verlust der Unversehrtheit“