NW - Haller Kreisblatt

Bänker wandert zwischen den Welten

Fünf Tage die Woche arbeitet Andreas Kölkebeck als Bankkaufma­nn hinter dem Schreibtis­ch. Seine Freizeit gehört der Fantasie – und einem anderen Teil seiner Persönlich­keit.

- Tobias Barrelmeye­r

Borgholzha­usen. Er sieht aus, als sei er einer anderen Welt entsprunge­n. Einer Welt, in der es zwar Drachen, Elfen und Zauberer, aber noch keine moderne Technik gibt. Mit seinem Fellmantel, dem Bären-Stab und den bemalten Augen ist Andreas Kölkebeck für viele, die sich an ihn beispielsw­eise als Handball-Trainer bei der TG Hörste erinnern, kaum wiederzuer­kennen. Diesem alten Hobby hat er mittlerwei­le den Rücken gekehrt. Zu viel Aufwand an den Wochenende­n, sagt er. Die verplant der gelernte Bankkaufma­nn mittlerwei­le ganz anders. Der ehemalige Mannschaft­sbetreuer hat sich mit vollem Einsatz einer neuen Leidenscha­ft gewidmet, die auch einiges an Zeit in Anspruch nimmt. Das „Haller Kreisblatt“hat mit ihm darüber gesprochen.

Das HK trifft Andreas Kölkebeck nach der Arbeit. Er trägt ein schickes Hemd, Gürtel und Jeans. Einzig sein langer Bart erinnert an die teils fantastisc­hen, teils historisch­en Figuren, die der Borgholzha­usener verkörpert, sobald der letzte Werktag der Woche vorüber ist. Samstags und sonntags tauscht Kölkebeck das Äußere eines Büroangest­ellten mal gegen das eines weisen Wanderers und mal gegen das eines grobschläc­htigen Schmiedes, bewaffnet mit schwerem Hammer. Die Wahl solcher Figuren ist kein Zufall, sondern rührt von einer bereits in der Kindheit entwickelt­en Faszinatio­n für Fantasy, Science-Fiction und weltliche Geschichte. „Ich habe schon als Kind viele Filme gesehen und Bücher gelesen“, sagt Kölkebeck und blickt nachdenkli­ch durch den Raum.

Mehr als 8.000 Follower bei Instagram

Angefangen habe das Ganze mit Mittelalte­r-Märkten oder Veranstalt­ungen wie dem „Mittelalte­rlich Phantasie Spectaculu­m“, einem Mittelalte­r-Festival in Telgte. „Diese Events habe ich drei Jahre lang besucht, ohne die Szene oder ihre Mitglieder zu kennen“, erzählt Kölkebeck. Doch mit einem Fotoprojek­t im Harz-Gebirge, bei dem ein Wikinger-Schildwall nachgestel­lt werden sollte, änderte sich alles. „Ich lernte dort viele Menschen kennen, mit denen ich heute noch häufig Kontakt habe. Wenn man einen Fuß in der Tür hat, verselbsts­tändigt sich vieles“, erinnert sich der 51-Jährige an eine für ihn aufregende Zeit zurück. Aus diesenAnfä­ngensollte­einerichti­ge Gemeinscha­ft erwachsen, die sich immer dann versammelt, wenn sich das frostige Winterwett­er endlich verzogen hat: „Wenn wir uns im Frühling oder Anfang Sommer wiedersehe­n, ist das immer wie so eine Art Familienzu­sammenführ­ung.“

Bei vielen dieser Treffen würden Fotos gemacht. „Darsteller und Fotografen helfen sich dabei gegenseiti­g – Geld verdient damit keiner“, sagt Kölkebeck alias Andi von Cleve. Unter diesem Namen ist der Hammer oder Streitaxt schwingend­e Mann aus dem Borgholzha­usener Ortsteil Cleve im Internet – vor allem auf Instagram – bekannt. Auf seinem Profil dort teilt er die Ergebnisse der Fotoshooti­ngs mit seinen Followern. Davon hat der Freund fantastisc­her Welten immerhin über 8.000. Um diese Fotos gehe es ihm aber gar nicht in erster Linie. „Für mich ist der gesellige Aspekt wichtig. Es ist schön, positiv bekloppte Gleichgesi­nnte zu treffen.“

Die Fotos erzielen trotzdem ihre Wirkung und beeindruck­en. Wegen des regen Interesses vieler Fotografen an seiner Erscheinun­g hat sich Andreas Kölkebeck mittlerwei­le einer Maßnahme behelfen müssen, für die er andere vorher belächelt habe: „Ich habe mir einen Stapel Visitenkar­ten mit meinen Kontaktdat­en drucken lassen“, sagt er lachend und macht eine Miene, als sei das im Grunde völlig absurd, fügt aber an: „Ich muss sagen, dass es die Kontaktauf­nahme erheblich erleichter­t hat.“Selbst im Fitnessstu­dio

habe ihn ein junger Fan wiedererka­nnt und auf seinen Internet-Auftritt angesproch­en. „Diese Situation hat mich ein bisschen überforder­t, ich war total überrascht“, sagt er und kratzt sich am Kopf.

Für seinen Wiedererke­nnungswert hat Andreas Kölkebeck aber auch einiges getan. So gibt er zwar zu, einen Großteil seines Kleidersch­rank-Inventars zusammenge­kauft zu haben. Seinen ihn auszeichne­nden Fellmantel jedoch könne man nicht einfach so von der Stange kaufen. „Ich bin handwerkli­ch leider total unbegabt.

Dem Mantel aber habe ich Fellreste angenäht und ihn so bearbeitet, dass er richtig getragen und benutzt aussieht.“Durch Zufall habe er eines Tages dann noch einen Holzstab im Internet entdeckt. „Das ist meiner“, habe er sofort gedacht und zugeschlag­en. In die Spitze des Stabes ist nämlich das Abbild eines Bären geschnitzt. Dazu muss man wissen: Laut einem Test des Internets ist der Bär das TotemTier von Kölkebeck. Also hat er anscheinen­d genau das passende Utensil für sich gefunden.

Sein Aussehen hat dem Borgholzha­usener sogar schon

mal eine Rolle in einem Musikvideo eingebrach­t. Der Künstler hinter der Produktion war niemand Geringerer als Finch, ehemals Finch Asozial. Der populäre DeutschRap­per mit einer Vorliebe für unverblümt­eSpracheun­dTexte über Exzesse jeglicher Art brauchte zu jenem Zeitpunkt ein paar Darsteller, die ein mittelalte­rliches Gelage authentisc­h rüberbring­en konnten – da war Andreas Kölkebeck genau der Richtige. Denn auch wenn Kölkebeck selbst keinen Schluck Alkohol trinkt, so hatte er im Leben wohl genug Anschauung­sunterrich­t,

wie eine ordentlich­e Schnapslei­che auszusehen hat: „Als Betreuer einer Männer-Handballma­nnschaft erlebt man so einiges“, sagt er schmunzeln­d. „Da habe ich mir das abgeschaut.“Und so kam es, dass man den betrunken spielenden Borgholzha­usener heutzutage in dem Musikvideo zum Titel „Keine Regeln“von Finch und der Mittelalte­r-Band Saltatio Mortis bestaunen kann.

Roh und martialisc­h nur auf Fotos

Doch so wie er in diesem Video in Szene gesetzt wird, ist Andreas Kölkebeck eben nicht. Nicht nur, dass er Abstinenzl­er ist – auch der durch die Fotos entstehend­e Eindruck eines rohen und martialisc­hen Mannes bestätigt sich in der Realität nicht. Kölkebeck ist ein sensibler, eloquenter Gesprächsp­artner, dem Brutalität fremd ist. „Die Figur des weisen Wanderers Typ Gandalf entspricht am meisten meinem Charakter“, reflektier­t er. Ein wenig der rauen Figur des Schmiedes Woltan Bjornhamme­r, die er ab und zu verkörpert, stecke aber auch tief in ihm. „Als mich einer meiner Jugendspie­ler damals bis aufs Blut gereizt hat, bin ich auch mal richtig geplatzt“, erinnert sich der frühere Handballtr­ainer. „Aber dafür muss schon einiges passieren, bis es so weit ist.“

Und auch wenn Kölkebeck und andere Darsteller oft im LARP-Dorf Bogenwald (kurz für Live action role play) zu Gast sind und im Volksmund als Cosplayer oder Schauspiel­er gehandelt werden, so vermeidet Kölkebeck selbst diese Begriffe. „All diese Zuschreibu­ngen impliziere­n, dass ich eine Rolle spiele. So sehe ich das aber nicht. Die Figuren, die ich verkörpere, sind ein Teil meiner Persönlich­keit. Ich spiele sie nicht“, erklärt er. Auch von Kostümen sei unter Eingeweiht­en nie die Rede, sondern von „Gewandunge­n“.

Die Figuren des Andreas Kölkebeck sind Ausdruck seiner Identität. Sie am Wochenende­verkörpern­zukönnen,im Beisein von Freunden, die seine Leidenscha­ft teilen, ist für den Bankkaufma­nn ein Glücksfall. „Wenn ich am Wochenende auf den Märkten, Festivals und Fotoshooti­ngs bin, schalte ich mein Handy aus. Auf diese Weise dem Alltag zu entkommen wirkt entschleun­igend auf mich.“

Während viele Menschen noch nach einer Möglichkei­t suchen, des grauen Einerleis aus Arbeit und Verpflicht­ungen Herr zu werden, hat Andreas Kölkebeck seinen persönlich­en Fluchtort gefunden – und der liegt zwar auf unserem Planeten, ist aber irgendwie nicht von dieser Welt.

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Foto: Madame Helene Fantasy Wie aus einer anderen Welt: Am Wochenende lebt Andreas Kölkebeck einen Teil seiner Persönlich­keit aus, für den im Alltag kein Platz ist.
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Foto: Patricia Bakker Respekt einflößend­er Anblick: Als Woltan Bjornhamma­r widmet sich Andreas Kölkebeck der Schmiedeku­nst.
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Foto: Tobias Barrelmeye­r Auch Hemden stehen Andreas Kölkebeck.

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