Das sagen Kritiker über das Verfassungsreferendum in der Türkei
AALEN - Das geplante Referendum in der Türkei zugunsten eines Präsidialsystems ist auch in Aalen ein großes Thema. Jasmin Amend hat mit kritischen Aalenern gesprochen, die türkische Wurzeln haben oder sich in dem Land gut auskennen. Viele von ihnen glauben: Die Wahlen werden manipuliert.
„Ich glaube, das ist die letzte Möglichkeit für das türkische Volk, um einem Autokraten Einhalt zu gebieten“, sagt Roland Hamm (Foto: Archiv), Beisitzer für Antakya im Vorstand des Aalener Städtepartnerschaftsvereins. Man wisse aber auch, dass bei der letzten Wahl Stimmzettel verschwunden oder gefälscht worden seien. Deshalb hält er es für denkbar, dass Erdogan trotzdem Erfolg haben könnte. Hamm hofft aber, dass das Referendum mit einer knappen Mehrheit gegen das Präsidialsystem ausgeht. Alles andere wäre für den IG-Metall-Vorsitzenden schlimm: „Der Kurs, der jetzt schon erkennbar ist, wird dann mit noch mehr Kraft geführt“, glaubt Hamm. „Demokratische Rechte werden noch mehr eingeschränkt, Gegner werden ausgeschaltet.“
„Ich bin deutscher Staatsbürger, deshalb darf ich selbst nicht wählen“, sagt Serhat Coban, Vorsitzender des Kultur Klubs Antakya Aalen. „Wir sind uns aber im Kultur Klub einig, dass man beim Referendum mit ,Nein’ stimmen sollte.“Deshalb sollten alle Wahlberechtigten zum Konsulat nach Stuttgart fahren, um zu wählen. Coban glaubt, dass es mehr Nein- als JaStimmen geben wird – dennoch könne das offizielle Wahlergebnis anders ausfallen. „Unser größtes Problem, sollte das Referendum zugunsten Erdogans ausgehen, wäre, dass die Gewaltenteilung nicht mehr gegeben ist, dass es keine kontrollierende Instanz mehr gibt“, sagt Coban. „Die ist ja bereits jetzt vorläufig außer Kraft gesetzt.“
Beim Referendum mit „Nein“stimmen wird Ayhan Karaali (Foto: Jasmin Amend), der aus Aalens Partnerstadt Antakya stammt und in Aalen zwei Imbisse betreibt. Er ist sich sicher: „Auch das Volk wird nein sagen.“Die Wahl, so fürchtet der Gastronom, werde aber höchstwahrscheinlich manipuliert werden. Es dürfe jedoch nicht sein, dass ein einzelner Mann über alles selbst entscheiden kann. „Erdogan ist bereits jetzt zu mächtig geworden“, findet Karaali. Viele Muslime seien trotzdem der Meinung: „Wenn du Moslem bist, musst du für die AKP und für Erdogan sein.“Karaali sagt aber: „Ich bin gar nicht für oder gegen eine Partei oder eine Person. Ich will Demokratie und die Trennung von Staat und Religion.“Jeder müsse zudem die gleichen Rechte haben. Egal, wie das Referendum ausgeht: Im Anschluss werde es noch mehr Krawalle, Schlägereien und Verhaftungen geben, glaubt Karaali. „Das haben wir bei den letzten Wahlen auch erlebt.“
„Sobald Erdogan die Macht verliert, wird er vermutlich vor ein Gericht gestellt. Deshalb klebt er an der Macht“, sagt Turgay Dündar (Foto: Amend), ein politischer Aktivist, der in vielen türkischen Vereinen in Aalen aktiv ist. „Es ist eine Lüge und Täuschung, das Parlament würde mit einem Präsidialsystem stärker. Deshalb sagen wir ,nein’ zum Präsidialsystem.“Dündar befürchtet, dass die Konflikte zwischen den Ethnien in der Türkei, also etwa Aleviten, Sunniten und Kurden, bei einem Erstarken der Erdogan-Regierung zunehmen würde: „Der Terror wird zunehmen.“
Binali Ipek (Foto: privat), Vorsitzender des Alevitischen Kulturvereins Aalen und Umgebung, glaubt, dass „99 Prozent“der Mitglieder seines Vereins gegen Erdogan seien. Sollte sich das Präsidialsystem durchsetzen, fürchtet Ipek eine weiter schwindende Demokratie im Land. „Seit dem Putschversuch werden nicht nur Gülen-Anhänger, sondern auch Aleviten sowie andere Leute verhaftet, die sich für Demokratie einsetzen.“Sie würden einfach als Terroristen bezeichnet.