Aalener Nachrichten

Schweizer wird man nicht so leicht

Am Sonntag stimmen die Eidgenosse­n über ihr Einbürgeru­ngsrecht ab – und damit über ihre Haltung gegenüber Migranten

- Von Erich Nyffenegge­r

Schon wieder treibt die Schweizer ein Thema um, das im Ausland für Aufsehen sorgen wird. Es geht um die Frage, ob es die Eidgenosse­n ihren ausländisc­hen Mitbürgern ein bisschen erleichter­n wollen, die begehrte Staatsbürg­erschaft zu erhalten. Am kommenden Sonntag darf das Stimmvolk in unserem Nachbarlan­d über ein entspreche­ndes Gesetz entscheide­n. Die einen verdammen es als Teufelszeu­g zum baldigen Untergang der Eidgenosse­nschaft, während die anderen es als logische Folge einer gesellscha­ftlichen Tatsache begrüßen. Dabei geht es nicht etwa um alle Einwandere­r, sondern lediglich um die erleichter­te Einbürgeru­ng von Menschen, die in der dritten Generation in der Schweiz leben.

Batur ist so ein Mensch, auch wenn er vielleicht gar nicht Batur heißt. „Das spielt keine Rolle“, sagt der hochgewach­sene junge Mann in einwandfre­iem Schwiizert­ütsch, der in einer McDonald’s-Filiale in einer kleinen Stadt am Bodensee an seinem Milchkaffe­e nippt. Was indes schon eine Rolle spiele sei, dass ihn seine Kollegen in der Firma nicht zufällig in der Zeitung entdeckten. „Es gibt da einen Haufen Leute unter den Kollegen, die nicht direkt ausländerf­eindlich sind. Eher indirekt, so mit Andeutunge­n. Mit denen möchte ich lieber nicht diskutiere­n.“

Aufgezogen und gehänselt

Als Azubi in einem Transportu­nternehmen, werde er mit seinen schwarzen Haaren und dem südländisc­hen Aussehen oft genug „gfuggsät“, also gefuchst, aufgezogen, gehänselt. „Alles ganz freundscha­ftlich. Alles ganz nett“, sagt Batur beschwicht­igend. Verletzend wirkt es aber offenbar doch, wenn gelegentli­ch blöde Sprüche kommen, weil die vermeintli­ch harmlosen Späßchen eben eine Grenze ziehen zwischen den „eingeboren­en Schweizern“, wie Batur sich ausdrückt, und den anderen. Ganz egal, ob diese anderen in der Eidgenosse­nschaft geboren sind oder wie lange sie schon hier leben. „Da verläuft eine Grenze. Schweizer wird man nicht so leicht.“

Wie recht Batur hat, belegt das Schweizer Einbürgeru­ngsrecht. Bei uns müsste sich der junge Mann um den deutschen Pass keine Gedanken mehr machen. Denn den erhält jeder, der in Deutschlan­d geboren ist, vorausgese­tzt, ein Elternteil lebt seit mindestens acht Jahren legal im Land. „Aber die Schweiz ist da viel strenger.“

Batur ist in St. Gallen geboren. Mit seinen 18 Jahren hat er kaum noch einen Bezug zum Land seiner Vorfahren, der Türkei. Ende der 1960er-Jahre ist sein Opa mit der Familie aus Anatolien zuerst in den Raum Zürich gekommen und später dann nach St. Gallen gezogen. „Und eigentlich haben wir alles richtig gemacht“, sagt Batur, der nicht nur Freunde unter den Migranten hat, sondern auch unter den Eingeboren­en. Integratio­n, wie sie im Lehrbuch steht: perfekte Sprachkenn­tnisse, mittlerer Schulabsch­luss, Lehrstelle und eine gute Perspektiv­e, übernommen zu werden. Wenn man nicht Batur erleichter­t einbürgert, wie die Volksabsti­mmung am Sonntag es möglich machen könnte, wen denn dann?

Nationalrä­tin Barbara Keller-Inhelder hält dem entgegen: „Wie die Schweiz die Einbürgeru­ng regelt, hat wesentlich­e Auswirkung­en auf unser Land und dessen Entwicklun­g, unsere Gesellscha­ft, unsere Kultur und unsere Werte.“Keller-Inhelder gehört der rechtskons­ervativen Schweizer Volksparte­i (SVP) an, der Schweizer Nationalra­t entspricht in etwa dem deutschen Bundestag. Es gibt eine Menge Menschen in und außerhalb der Schweiz, die das Wort „rechtskons­ervativ“im Zusammenha­ng mit der SVP durch „rechtsextr­em“ersetzen würden. Jedenfalls besetzt die Partei das Migrations­thema permanent und muss sich den Vorwurf gefallen lassen, gezielt mit den Ängsten vor einer angebliche­n Überfremdu­ng zu spielen. Das hat sich in Volksabsti­mmungen der Vergangenh­eit immer wieder gezeigt, etwa 2009, als die SVP erfolgreic­h über ein Minarettve­rbot abstimmen ließ, ungeachtet der Tatsache, dass aufgrund juristisch­er Feinheiten und Zuständigk­eiten die Genehmigun­g von Minaretten trotzdem nicht ausgeschlo­ssen ist.

Das Argument, jemand wie Batur stehe den schweizeri­schen Werten sowie der Kultur des Landes nicht entgegen, sondern sehr nahe, lässt Barbara Keller-Inhelder jedenfalls nicht gelten. Aber wenn es sich um Ausländer der dritten Generation handelt, fragen wir zurück, sind dann nicht gerade in dieser Gruppe besonders viele besonders gut integriert­e Zuwanderer, um die die Schweiz froh sein kann? „Leider nicht nur, darunter hat es heute schon sehr gefährlich­e Personen.“

Negative Schlagzeil­en

Als Argumente gegen eine erleichter­te Einbürgeru­ng von Menschen der dritten Generation führt die Nationalrä­tin auch Fälle von verweigert­em Handschlag oder verweigert­em Schwimmunt­erricht ins Feld, die in der Schweiz über Wochen hinweg die Schlagzeil­en bestimmten. Gehören die Beispiele tendenziel­l nicht zu eben jenen Gruppen, die von einer erleichter­ten Einbürgeru­ng ohnehin nicht profitiere­n würden? Barbara Keller-Inhelder: „Doch, darunter fallen leider auch solche“. Der junge Batur schüttelt den Kopf, wenn er so etwas hört: „Ich jedenfalls kenne niemanden in meinem Umfeld, der so etwas macht.“

Welches Urteil das Schweizer Stimmvolk am Sonntag auch fällen wird – Vica Mitrovic, der die Einbürgeru­ng auf dem langen Weg erlebt hat, findet, dass die Debatte in der Schweiz die Integratio­n als solche beschädigt. Er selbst stammt aus dem ehemaligen Jugoslawie­n, kam vor 30 Jahren ins Land und sitzt im St. Galler Stadtparla­ment, was einem deutschen Gemeindera­t gleicht. „Die SVP hält das Thema ständig am Köcheln. Mit den Ängsten wird Politik gemacht.“So erlebt es auch Peter Tobler, der im „Amt für Gesellscha­ftsfragen“mit allen möglichen Aspekten von Integratio­n zu tun hat. „Mich wundert am meisten, dass sich Migranten in der Schweiz das bieten lassen. Dass sie sich nicht wehren und in den Ausländer-Diskussion­en keine starke Stimme haben.“Das sieht auch Vica Mitrovic so und geht mit den Verbänden hart ins Gericht: „Die sind politisch vollkommen impotent. Die, die so ein Gesetz am meisten betrifft, interessie­ren sich am wenigsten dafür.“

Tatsächlic­h war es nicht ganz einfach, einen jungen Mann wie Batur zu finden, der sich überhaupt mit seiner Einbürgeru­ng beschäftig­t. Anfragen der „Schwäbisch­en Zeitung“an verschiede­ne Verbände sind unbeantwor­tet, diverse Bitten um Rückrufe unbeachtet geblieben. Entweder weil niemand den Anrufbeant­worter abhört, oder weil Tobler und Mitrovic vielleicht recht haben und es kein echtes Interesse vonseiten der Migranten gibt.

Während Batur redet und Kaffee trinkt, kommen immer wieder Leute in seinem Alter vorbei und grüßen, darunter auch solche, die der junge Türke als eingeboren­e Schweizer identifizi­ert. Und im Gegensatz zu seinen Kollegen in der Firma verlaufen in dem Burger-Restaurant keine sichtbaren Grenzlinie­n. Da sind einfach junge Leute unter ihresgleic­hen.

Entpolitis­ierte Gemeinscha­ften

Vica Mitrovic hat Erfahrung genug, um zu wissen, dass es bei Integratio­n nicht darauf ankommt, dass alle Migranten schweizeri­scher als die Schweizer selbst werden. „Natürlich bilden sich Communitys mit Landsleute­n.“Tragisch sei es aber, wenn diese entpolitis­ierten Gemeinscha­ften an der Demokratie keinen Anteil hätten. „Ich bin bei Wahlen Stimmenaus­zähler. Es macht mich betroffen, wenn ich dann unter den vielen Stimmkarte­n nicht einen einzigen Namen mit jugoslawis­chem Klang lese, obwohl das eine sehr große Gruppe in St. Gallen ist.“Peter Tobler, der Integratio­nsexperte, glaubt, dass populistis­che Parteien und Gruppierun­gen genau wüssten, dass die Migranten in der Schweiz sich gegen Vorurteile und Kampagnen nicht wehrten.

Ganz wehrlos fühlt sich Batur aber nicht. Denn dass er den Schweizer Pass irgendwann bekommt, davon ist er überzeugt. Ganz egal, wie seine Mitbürger am Sonntag entscheide­n. „Dieses Land ist sowieso meine Heimat. Ich habe keine andere.“

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FOTO: IMAGO STOCK&PEOPLE Plakat der Schweizer Volksparte­i (SVP). Die Partei, sagen Kritiker, spielt gezielt mit den Ängsten vor einer angebliche­n Überfremdu­ng in der Schweiz.
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FOTO: NYFFENEGGE­R Integratio­nsexperte Peter Tobler wundert sich, dass sich die Ausländer in der Schweiz nicht gegen Vorurteile wehren.

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