Aalener Nachrichten

Rechtsextr­emismus fordert den Staat heraus

- Von Alexei Makartsev

Mit drastische­n Worten warnt der Präsident des Thüringer Landesamte­s für Verfassung­sschutz (AFV), Stephan Kramer, vor der wachsenden Gefahr des Rechtsextr­emismus. Es gebe in der rechten Szene eine Gewaltbere­itschaft „bis hin zur Affinität zu Waffen und Sprengstof­f“, sagte Kramer in einem Interview der DuMont Redaktions­gemeinscha­ft. Der Rechtsextr­emismus sei „in die Mitte der Gesellscha­ft vorgewuche­rt“, er bedrohe mittlerwei­le die Fundamente des Staates. Die Bilanz des AFV-Chefs: Die Behörden hätten es heute mit einem „existenzie­llen Problem“zu tun.

Tatsächlic­h geben Polizeista­tistiken in Thüringen den Experten Anlass zur Sorge. Im ersten Quartal 2016 gab es dort 270 Prozent mehr Übergriffe auf Flüchtling­sunterkünf­te im Vergleich zum gleichen Zeitraum des Vorjahres. Die Landesregi­erung in Erfurt zählt 945 Personen zum rechtsextr­emen Spektrum. „Hoffnung auf Besserung besteht kaum“, schreibt die Autorin Andrea Röpke in ihrem „Jahrbuch rechte Gewalt 2017“– und hebt besonders das schnelle Wachstum von vernetzten „cliquenart­igen Neonazi-Gruppen“im Freistaat hervor.

Das Problem geht jedoch über die Thüringer Landesgren­zen hinaus. So rechnet der sächsische Verfassung­sschutz mit einem starken Wachstum der Neonazi-Szene. In Sachsen sind 2016 so viele Extremismu­s-Ermittlung­en eingeleite­t worden wie nie – bis Ende November gab es 493 Verfahren gegen 738 Beschuldig­te.

Auch in Baden-Württember­g wurde im ersten Halbjahr 2016 ein Anstieg der Straftaten mit rechtsextr­emistische­n Motiven von 521 auf 745 im Vergleich zum ersten Halbjahr 2015 registrier­t. Das Landesamt für Verfassung­sschutz nennt die Aufnahme vieler Flüchtling­e einen Grund für die Radikalisi­erung der rechten Szene.

Die Rechtsextr­emisten sähen Migranten als Bedrohung für die „völkische Reinheit“und befürchtet­en den Niedergang des „deutschen Volkes“, erklärt Fabian Virchow, der an der Hochschule Düsseldorf den Forschungs­schwerpunk­t Rechtsextr­emismus und Neonazismu­s leitet. Aus Sicht der Rechtsextr­emen legitimier­e das die Gewalt, so Virchow. Ihr Niveau habe „definitiv zugenommen“.

Der Experte wirft der Politik vor, das Phänomen unterschät­zt zu haben, weil sie davon ausgegange­n sei, dass es sich nur um einen kleinen Kreis von Extremiste­n handele. Anderersei­ts sei es jedoch für die Verfassung­sschützer schwierige­r geworden, gegen Rechtsextr­eme vorzugehen. Denn es sei in der Szene durch bessere Vernetzung kein großes Problem mehr, konspirati­ve Wohnungen anzumieten, sich falsche Dokumente zu besorgen und etwa an Waffen aus Osteuropa zu kommen, erklärte der Fachmann vergangene Woche im nordrhein-westfälisc­hen Landtag.

Um den Rechtsextr­emismus und Rechtsterr­orismus effiziente­r zu bekämpfen, fordert das Bundeskrim­inalamt die Ausweitung der Videoüberw­achung und den Zugriff auf verschlüss­elte Kommunikat­ion von Verdächtig­en. In Baden-Württember­g wird 2017 das Abhören von Kommunikat­ion via Internet vor der Verschlüss­elung („Quellen-TKÜ“) eingeführt. Auch sollen die Ermittler die Möglichkei­t erhalten, auf Festplatte­n fremder Computer zugreifen zu können.

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Man ist inzwischen mit wenig zufrieden.

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