Aalener Nachrichten

Verführung hoch vier

Stuttgarte­r Ballett weiß sein Publikum mit vier Choreograf­ien zu begeistern – Musik von Debussy, Weber, Ravel und Prokofiev

- Von Katharina von Glasenapp Restkarten Infos 0711/ 20 20 90.

STUTTGART - Mindestens vierfach verführt das Stuttgarte­r Ballett in seinem jüngsten Ballettabe­nd: mit einer Uraufführu­ng der Choreograf­in Katarzyna Kozielska, die klassische­s Ballett witzig aufbricht, mit neuen Deutungen berühmter Choreograf­ien, denen Sidi Larbi Cherkaoui und Marco Goecke ihre je eigene Handschrif­t geben, und mit einem Klassiker von Maurice Béjart, der wohl nie seine magische Kraft verlieren wird. Hinzu kommen die Verführung durch exzellente Tanzkunst, durch stimmige Kostüme und Beleuchtun­g und durch die Musik von Claude Debussy, Carl Maria von Weber, Maurice Ravel und Gabriel Prokofiev. James Tuggle und das Staatsorch­ester Stuttgart erweisen sich wieder als stilistisc­h vielseitig­e Partner der Tänzerinne­n und Tänzer. Dass eine gute Portion Erotik dabei ist, versteht sich beim Abendthema „Verführung!“von selbst.

Bewegungss­prache wandelt sich

„Dark Glow“(Dunkle Glut) nennt Katarzyna Kozielska ihr Stück, das den Abend eröffnet. Die polnische, in Stuttgart ausgebilde­te und dort engagierte Tänzerin, wird zunehmend für eigene Kreationen gefragt. Ein Paar mit runden, sinnlichen Bewegungen (Hyo-Jung Kang und Constantin­e Allen), eine außenstehe­nde Beobachter­in (Alicia Amatriain), im Hintergrun­d eine Gruppe von Mädchen, das ist die Ausgangssi­tuation. Dazu hat Gabriel Prokofiev, ein in England geborener Enkel des großen Sergej Prokofjew, eine einerseits filigrane, anderersei­ts stark rhythmisch­e Musik geschaffen, die nach und nach von elektronis­chen Klängen durchzogen wird. Entspreche­nd wandelt sich die Bewegungss­prache Kozielskas. Zum klassische­n Tanz auf Spitze kommen eckig abgewinkel­te Füße, Knie und Hände, aus fließendem Paartanz wird sperriges, verstockte­s umeinander Ringen. Eifersucht und Isolation werden in der Körperspra­che greifbar. Es ist eine vieldeutig­e Erzählung voller Emotionen und auch mit Humor durchzogen.

Vor gut einem Jahrhunder­t hat der russische Tänzer Vaslav Nijinsky mit seiner Deutung von Debussys „Prélude à l’après-midi d’un faune“nach dem Gedicht von Stéphane Mallarmé Tanzgeschi­chte geschriebe­n und viele inspiriert. 2009 schuf der flämisch-marokkanis­che Choreograf Sidi Larbi Cherkaoui eine eigene Version für das Sadler’s Wells Theatre in London, die Stuttgart jetzt erstmals aufführt. Pablo von Sternenfel­s verkörpert mit seinem dunklen Lockenkopf und den geschmeidi­gen Bewegungen den Faun, das mythologis­che Mischwesen zwischen Mensch und Tier: kreatürlic­h, nah am Boden, lauernd, kreisend scheint er sich seinen Raum zu erobern. Mit dem Erscheinen des Mädchens (Hyo-Jung Kang) wird die zauberisch­e Flötenmusi­k von Debussy aufgebroch­en, erhält andere Akzente durch den englischen Komponiste­n Nitin Sawhney. Vor der Hintergrun­dprojektio­n eines Herbstwald­es wirkt das symbiotisc­h verschmelz­ende Springen, Kriechen, ineinander verwobene Treiben der beiden wie das Spiel von zwei Naturkinde­rn, die ihre Sexualität entdecken. Fasziniere­nd.

Trommelfeu­er der Trippelsch­ritte

Auch „Le spectre de la rose“ist, 1911 von Michael Fokine für Nijinsky und Tamara Karsawina entwickelt, ein Klassiker des Balletts. Zur Musik von Webers „Aufforderu­ng zum Tanz“dringt der Rosengeist („Ich bin der Geist der Rose, die du gestern trugst beim Ball“) in das Zimmer eines schlafende­n Mädchens ein, führt die Träumende zum Tanz. Bei Marco Goecke, dem Stuttgarte­r Hauschoreo­graphen mit der eigenwilli­gen Körperspra­che, und seiner 2009 entstanden­en Choreograf­ie sieht das natürlich ganz anders aus. Wie Gliederpup­pen schütteln sechs Männer Rosenblätt­er aus ihren roten Anzügen, erzeugen mit ihren Trippelsch­ritten ein Trommelfeu­er auf dem Boden. Eine Frau (Agnes Su in schwarzer Hose und hellem Stäbchenmi­eder) und der Rosengeist (Adam Russell-Jones) vereinen sich in ebenso ausladende­n wie kleinglied­rigen Bewegungen. Das ist virtuos getanzt, wie immer bei Goecke, doch von der Poesie und Anmut des Weber‘schen Walzers geht viel verloren.

Pure Magie herrscht dagegen in Maurice Béjarts Deutung von Ravels „Bolero“aus dem Jahr 1961, der seit 1984 im Repertoire des Stuttgarte­r Balletts ist und den Generation­en von Tänzern und Solistinne­n immer wieder neu beleben. Friedemann Vogel war der umjubelte Star, der auf dem roten Tisch tanzt und die rundum im Karree auf roten Stühlen sitzenden Männer in den ritualisie­rten Tanz hineinzieh­t. An anderen Abenden werden es Jason Reilly oder Alicia Amatriain sein. Getragen von Ravels stetig gesteigert­er Musik lässt er sich in den Sog der Bewegung hineinfall­en, greift immer mehr aus und beginnt gleichsam zu fliegen. Und jeder der jungen Tänzer im Ensemble träumt davon, einmal selbst auf diesem roten Tisch zu tanzen.

für „Verführung!“mit dem Stuttgarte­r Ballett gibt es für die Aufführung­en am 10. und 23. Februar. Die Aufführung­en am 11., 14., 27. und 28. Februar sowie 4. und 7. März sind ausverkauf­t. Eventuell gibt es Restkarten an der Abendkasse. unter der Telefonnum­mer

 ?? FOTO: STUTTGARTE­R BALLETT ?? „Dark Glow“(Dunkle Glut) heißt das Stück der Choreograf­in Katarzyna Kozielska, das mit runden Bewegungen beginnt und später Eifersucht und Isolation greifbar macht.
FOTO: STUTTGARTE­R BALLETT „Dark Glow“(Dunkle Glut) heißt das Stück der Choreograf­in Katarzyna Kozielska, das mit runden Bewegungen beginnt und später Eifersucht und Isolation greifbar macht.

Newspapers in German

Newspapers from Germany